Stasi-Chef Erich Mielke nutzte den Todesfall des früheren Eintracht-Braunschweig-Spielers als Drohmittel

Erich Mielke, der allmächtige Chef des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, war ein brutaler und rachsüchtiger Mann. In kleinem Kreis vor SED-Funktionären nahm Mielke kein Blatt vor den Mund und machte deutlich, dass er die Liquidierung von Überläufern in den verhassten Westen für ein legitimes Mittel hielt.

Thomas Auerbach, Leiter der Außenstelle Schwerin der Berliner Stasi-Unterlagen-Behörde, zitiert in der Zeitschrift "Horch und Guck" aus einer Mielke-Rede von 1979 vor Mitarbeitern der Bezirksverwaltung Cottbus: "Man muss solche jungen Tschekisten heraussuchen, herausfinden und erziehen, dass man ihnen sagt, du gehst dorthin, den erschießt du dort im Feindesland. So muss es sein!"

Der Braunschweiger Oberstaatsanwalt Dr. Hans-Jürgen Grasemann sagt im Gespräch mit unserer Zeitung: "Zweifellos war der Wille zum politischen Mord vorhanden, wobei natürlich – wie beim Schießbefehl für die Grenzsoldaten – nichts schriftlich fixiert wurde."

Der langjährige Sprecher der früheren Zentralen Erfassungsstelle in Salzgitter gegen DDR-Unrecht fügt hinzu: "Erich Mielke hat einmal vor DDR-Sportlern, die ja oft ins Ausland reisen konnten, gedroht: ,Und wenn einer von euch abhauen will, denkt immer an Eigendorf!’ "

Der Fall Eigendorf

Der Eintracht-Braunschweig-Spieler Lutz Eigendorf verunglückt am 5. März 1983 mit hohem Blutalkoholwert in seinem Sportwagen auf regennasser Straße in Braunschweig-Querum; der 26 Jahre alte Fußballer erliegt zwei Tage später seinen schweren Verletzungen.

Grasemann zufolge spricht im Todesfall Eigendorf vieles für einen Unfall. Sicher sei aber auch, dass sich der Fußballer vom BFC Dynamo Ost-Berlin den Zorn Mielkes zuzog, als er sich absetzte. Grasemann resümiert: "Wie immer die wahren Hintergründe sein mögen, Mielke hat den Todesfall für Einschüchterungen eiskalt genutzt."

Der Jurist nennt Beispiele, bei denen es definitiv Mordpläne gab bzw. ein Mord auch vollzogen wurde:

Der Fall Welsch

Der Schauspieler und Stasi-Gegner Wolfgang Welsch (geb. 5. März 1944) sitzt sieben Jahre in Haft; er wird isoliert und gefoltert. Die Regierung Brandt kauft ihn frei. Welsch baut eine Fluchthelfer-Organisation auf und hilft rund 200 Menschen bei der Flucht.

Mielke ordnet die "Operation Skorpion" an. Auf Welsch wird geschossen, er entgeht einem Anschlag. Stasi-Mitarbeiter "Alfons" erschleicht sich das Vertrauen Welschs. Es ist eine beinahe tödliche Freundschaft: IM "Alfons" vergiftet 1981 während eines gemeinsamen Israel-Urlaubs Buletten mit Thallium. Das Opfer überlebt.

Der Fall Thurow

Der Unteroffizier Rudi Thurow (geb. 16. August 1937) setzt sich 1962 während des Grenzdienstes nach Westberlin ab. Dabei verhilft er auch anderen zur Flucht; die Grenzer hält er mit Schüssen in Schach. Mielke kocht vor Wut.

Geheime Mitarbeiter (GM) der Stasi sollen Thurow töten. Laut Operations-Plan vom November 1963 soll Thurow in dem Park in der Nähe seines Hauses vom GM "Kurt Luft" von hinten lautlos überwältigt und liquidiert werden. Wörtlich heißt es in dem Stasi-Papier: "Hierbei wird vom GM ,Kurt Luft’ ein 1000-Gramm-Hammer benutzt." Und weiter: "Beide GM transportieren den liquidierten Th. ins Gebüsch und nehmen dort an Th. solche Handlungen wahr, die anschließend auf einen Raubmord schließen lassen." Der Plan wird nicht ausgeführt, weil einer der für den Mord vorgesehenen Täter ausfällt.

Der Fall Hirsch

Der Bürgerrechtler und Kirchenmitarbeiter Ralf Hirsch (geb. 25. Juli 1960) gehört neben der Regisseurin Freya Klier und dem Liedermacher Stephan Krawczyk zu den führenden Köpfen der Opposition der 80er Jahre. Sie haben eine neue Strategie entwickelt. Listig fordern sie die in der DDR-Verfassung garantierten Bürgerrechte ein. Die Staatsführung fürchtet breiten Protest, der sich auf die Verfassung beruft und deshalb besonders unkalkulierbar ist. Die Dissidenten werden ausgewiesen.

Im Fall Hirsch ist bekannt, dass Stasi-Mitarbeiter vor der Abschiebung noch planten, den Bürgerrechtler umzubringen. Es wird erwogen, Hirsch in einer Winternacht Alkohol einzuflößen und ihn bei klirrender Kälte im Freien liegen zu lassen, er sollte erfrieren – ein Unfall eben, Pech gehabt!

Der Fall Gartenschläger

Michael Gartenschläger (geb. 13. Januar 1944; erschossen am 30. April 1976) wird im August 1961 verhaftet. Der Autoschlosserlehrling aus Strausberg bei Berlin hatte gegen den Mauerbau protestiert. Im September wird er zu lebenslanger Haft verurteilt, nach zehn Jahren Haft freigekauft.

Er macht sich in Hamburg als Pächter einer Tankstelle selbstständig. Gartenschläger bleibt politisch aktiv. Er beteiligt sich nicht nur an Fluchthilfen, sondern montiert am 30. März und am 23. April 1976 zwei Selbstschussanlagen vom Typ SM 70 ab. Er will die Propaganda der DDR entlarven, die den Einsatz dieser Anlagen bestritt. Mielke ist außer sich, Gartenschlägers Liquidierung wird beschlossen.

In der Nacht zum 1. Mai 1976 will Gartenschläger an der innerdeutschen Grenze zwischen dem Bezirk Schwerin und Schleswig-Holstein erneut eine SM 70 abbauen. Er wird bereits von einem Kommando erwartet. Dass er noch einmal kommen würde, war der Stasi durch Spitzel bekannt. Gartenschläger wird ohne Vorwarnung erschossen.