Noch heute bewegt der Tod von Veronika Geyer-Iwand die Menschen im beschaulichen Beienrode

BEIENRODE. Dieses Urteil schrieb Geschichte: Klaus Geyer war der erste Geistliche, der in der Bundesrepublik wegen eines Tötungsdelikts angeklagt und verurteilt wurde. Entsprechend war der monatelange Presserummel, der auch nicht vor der Beerdigung des Opfers halt machte.

Der Fall Geyer war vor dem Urteilsspruch vom 16. April 1998 am Braunschweiger Landgericht in der Region das Gesprächsthema Nummer eins, er brachte die Menschen in Wallung. Es ging um die vielen Gesichter des 57-Jährigen, die sich im Prozessverlauf zeigten: Vom angesehenen Pastor, Vize-Superintendenten des Kirchenkreises Wolfsburg und Bundesvorsitzenden der Aktion Sühnezeichen bis zum Ladendieb und Ehebrecher. Es ging um das, was Gerichtsmediziner aus Maden und Ameisen deuteten. Es ging um menschliche Abgründe.

Wie konnte all das passieren, wo sich die Menschen in Beienrode im Kreis Helmstedt doch in einer kirchlichen Idylle wähnten? Klaus Geyer und Veronika Geyer-Iwand engagierten sich für die Menschen, erschienen wie das ideale Pastorenpaar. Ihre Ehe wirkte harmonisch, sie lebten die christliche Nächstenliebe – er als Pastor, sie als Bürgermeisterin. Veronika Geyer-Iwand war Tochter des bedeutenden Theologen Hans Joachim Iwand. Sie führte sein schlossartiges "Haus der helfenden Hände" weiter, das heute ein Altenheim ist. Geyer genoss diese Aura, die sein namhafter Schwiegervater hinterlassen hatte.

Erst im Verlauf der Ermittlungen und im späteren Prozess kam die andere Seite des Klaus Geyer zum Vorschein. So hatte er mehrere Geliebte, allein drei mussten vor Gericht aussagen. Seine Frau belastete dieser Zustand. Schließlich kam es, so die Erkenntnis des Gerichtes, am 25. Juli 1997 zu jenem folgenschweren Spaziergang am Braunschweiger Pastorenkamp. Es ging richtig zur Sache, Veronika Geyer-Iwand wollte die Ehe vermutlich beenden.

Geyer mag in diesem Moment realisiert haben, dass seine Welt des schönen Scheins zusammenbrechen würde, dass er alles verliert: Frau, Pfarrstelle, die ihn verehrenden Menschen, den guten Ruf. In diesem emotionalen Ausnahmezustand, so nahm das Gericht an, schlug er mit zwei Hieben zu – "Totschlag" lautete das Urteil der Schwurgerichtskammer unter Richter Peter Kriebel. Geyer beteuerte seine Unschuld.

Die Zweifel, ob Geyer der Täter ist, werden bleiben – besonders unter den Beienrodern. "Wir brauchen nicht zu urteilen, das ist unser großes Glück", sagt Irmgard Gaßner (82) heute. Sie erlebte als Kirchenvorstands-Vorsitzende damals turbulente Zeiten. Und sie litt auch persönlich, denn sie schätze die Geyers sehr: "Die Seelsorge, wie er sie betrieben hat, die fehlt uns heute. Er hat uns so sehr geholfen, war immer da, wenn er gebraucht wurde", sagt Gaßner. "Ob er schuldig war? Ich weiß es nicht. Aber ich bin mir sicher, dass er Gnade bei Gott gefunden hat."

Gaßner besuchte ihren ehemaligen Pastor nach der Verurteilung immer wieder im Gefängnis, und sie war auch bei seiner Beerdigung nach Geyers Krebstod vor fünf Jahren.

Der Fall Geyer hat bei den Menschen im Ort Narben hinterlassen. Dabei geht es nicht in erster Linie um den Totschlag. Es geht um die schmerzvolle Erfahrung, dass man sich in einem geliebten Menschen so sehr täuschen kann: Wer war dieser Mann wirklich, der Friedenscamps abhielt, der bei Klavierabenden bezauberte, der so vielen Menschen Selbstvertrauen schenkte, der sich so sehr für die Aussöhnung mit Osteuropa einsetzte? Wer war dieser Mann, der beim CD-Klau erwischt wurde, der fremd ging, der seine Frau erschlug, der also gegen selbst gepredigte Gebote verstieß?

Es war Geyer selbst, der viele seiner Anhänger mit Ungereimtheiten verprellte: Er musste entgegen seiner ersten Aussage einräumen, von einer Telefonzelle nahe des Tatortes telefoniert zu haben. Eine Vertraute stiftete er zum Meineid an: Seine Gummistiefel mit Erde und besagten Ameisen vom Tatort sollten auch von seiner Frau getragen worden sein. Und es waren die Liebschaften, die seine Fans verstörten: Warum hatte er ausgerechnet am Abend des Tages, an dem seine Frau verschwand, im Ehebett Geschlechtsverkehr mit einer Hamburger Freundin? Er musste sich sicher gewesen sein, dass seine Veronika nicht mehr zurückkommen würde

In einer ach so friedlichen Welt hatte sich Schreckliches zugetragen. Die Leiche war in ein nahes Waldstück gebracht worden, wo ein Jäger sie fand. Mit sieben weiteren Schlägen war das Gesicht der so lange geliebten Frau zertrümmert worden. Ein Psychologe sagte später: Der Täter wollte nicht töten – er wollte eine Persönlichkeit auslöschen. Am Grab von Veronika Geyer-Iwand standen gestern eine große Wurzel und eine rosa Hyazinthe.