Nahverkehrs-Dilemma wird von Gifhorn bis Goslar kontrovers diskutiert

Der erneute Aufschub des Starttermins hat eine Schuld-Debatte und Zweifel an der Realisierbarkeit ausgelöst. Es überwiegen aber die Stimmen, die das regionale Nahverkehrsprojekt als zwingend notwendig erachten.

"Am Wochenende mit der Mühlenbahn in 47 Minuten vom Schloss in Braunschweig zum Mühlenmuseum nach Gifhorn – stündlich, umsteigefrei." So macht eine Imagebroschüre des Großraum-Zweckverbands die Regio-Stadtbahn schmackhaft.

Und Niedersachsens Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) lobt: hervorragend, positiv für die Region. Aber schon in dem Interview zu Jahresbeginn mahnt er: Vom Zweckverband sind noch einige Voraussetzungen zu erfüllen, damit das Land das Vorhaben weiter fördern kann.

Gestern erinnerte das Ministerium den Zweckverband an diese "Hausaufgaben", hielt sich ansonsten aber zurück. "Wir sind nur Geldgeber, wenn der Träger für ein gesichertes Konzept mehr Zeit braucht, haben wir das so hinzunehmen."

Zeit ist aber genau das, was die Regio-Bahn nach Ansicht vieler Politiker und Verwaltungschefs nicht mehr hat. Goslars Landrat Stephan Manke (SPD) will das Thema auf die Tagesordnung des Verbandsausschusses bringen, um "mit dem nötigen Druck die Planung des Verbandes wieder zu beschleunigen". Mit Verärgerung und Unverständnis kommentierte Manke die Verschiebung des Starttermins: "Es ist absolut nicht nachvollziehbar, wie es zu diesen Verzögerungen kommt und warum die Betroffenen immer nur stückweise die notwendigen Informationen bekommen. Schließlich geht es hier nicht um ein oder zwei Monate sondern gleich um Jahre."

Wolfenbüttels Bürgermeister Thomas Pink (CDU), ebenfalls verärgert, ging noch weiter: "Man muss sich wirklich fragen, ob das Projekt noch zu verwirklichen ist – und man muss überlegen, wie man den Nahverkehr aufstellt, wenn es keine Regio-Bahn gibt." Landrat Jörg Röhmann (SPD) hat fest auf den Starttermin 2012 gesetzt. "Ich befürchte, dass das Projekt eine Verzögerung um weitere zwei Jahre nicht übersteht."

Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel (CDU) sieht seine früheren Befürchtungen bestätigt: "Ich hatte schon vor zwei Jahren bezweifelt, dass der Kostenrahmen eingehalten wird. In der Tat sind die Kosten enorm gestiegen. Auch der Zeitrahmen hat sich als nicht verlässlich erwiesen." Die Stadt hatte seinerzeit den Ausstieg aus dem Projekt geprüft. "Doch wir kommen aus der Sache nicht heraus, werden vertragstreu bleiben und nichts blockieren."

Der Gifhorner CDU-Landtagsabgeordnete Matthias Nerlich hat kein Verständnis für die neuerliche Verschiebung: "Obwohl das Land finanziell alles geregelt hat."

Wolfsburgs Stadtbaurätin Monika Thomas sagte: "Wir hoffen, dass sich damit nicht auch die – für die zweite Ausbaustufe geplante – Anbindung Wolfsburgs verschiebt." Die Stadt gehe davon aus, dass die Planungen fortgesetzt werden. Der Zweckverband sei von herausragender Bedeutung für die regionale Kooperation. Nun über alternative Nahverkehrsmodelle nachzudenken, sei allerdings nicht zielführend, so Thomas.

Verbitterung auch in der Peiner Gemeinde Wendeburg, die ebenfalls auf der Fahrplan der zweiten Ausbaustufe der Regio-Stadtbahn steht. Gemeindebürgermeister Hans Peter Reupert: "Die Anbindung an die Schiene wäre für uns ein wichtiger Standortvorteil und auch Infrastrukturbestandteil gewesen. Und auch für Niedersachsen hätte die Bahn eine tolle Entwicklung dargestellt. Da hat Braunschweig eine große Chance vertan."

Im Landkreis Helmstedt machte Schöningens Bürgermeister Matthias Wunderling-Weilbier auf besondere Probleme aufmerksam: Mit Hilfe der Regio-Bahn könnte die Abwanderung aus dem strukturschwachen ländlichen Raum eingedämmt werden. Bestimmte Angebote werde es künftig nur noch in Großstädten wie Braunschweig geben, diese Angebote müssten für die Landbevölkerung erreichbar sein. "Junge Schöninger, die in Braunschweig eine Ausbildung machen, müssen umziehen, weil sie nicht mehr gut dorthin kommen."

"Wir brauchen die Stadtbahn schon in naher Zukunft, damit auch unsere touristischen Partner etwas von unserem geplanten Speere-Zentrum haben", forderte der Schöninger Bürgermeister. Das Zentrum sei ein Leuchtturm-Projekt für den Kulturtourismus der Region. Es müssten klare Perspektiven her, um vernünftig planen zu können.

Wunderling-Weilbier sieht die Regio-Stadtbahn aber nicht in Gefahr. Die zweite Ausbaustufe sei durch die Verzögerung nicht aufgehoben. "Der Zweckverband hat sich aus diesem Konzept nicht herausgelöst."