Arved Fuchs erzählt vom Überleben in der Natur, über die Inuit in Alaska und das Leben im Forschungs-Team

Ines Kulka: Was hat sie bewegt,
Expeditionen zu unternehmen?

Ich hatte immer Spaß an Natursportarten und am Leben draußen. Und dann bin ich mit Büchern groß geworden. Wir sind eine lesende Familie gewesen. Unter den Büchern befanden sich auch viele Reisebeschreibungen und Expeditionsberichte, unter anderem von Fridtjof Nansen, dem norwegischen Polarforscher. Und so unbefangen, wie ich als Kind und Jugendlicher war, habe ich mir gesagt, wenn du groß bist, machst du das auch. Das habe ich irgendwie verinnerlicht.

Lutz Stöter: Gibt es etwas, dass Sie nicht wiederholen möchten?

Ich habe keine Tour zweimal gemacht. Das gibt mir nichts.

Kulka: Sie mussten bei einer Expedition aufgeben, weil es zu kalt war. Was treibt Sie an, weiterzumachen?

Wir gehen in die große Natur hinein. Wir nabeln uns ab von der technisierten Welt. Wenn man in der Natur ist, lebt man nach anderen Regeln. Da ist das Eis, das Wetter, der Sturm, die Instanzen, die ganz klare Vorgaben machen. Wir laufen, wir paddeln, wir segeln durch die Eisfelder, und da sind die Möglichkeiten eines Gefährtes sehr schnell begrenzt. An der Natur zu scheitern ist für mich nie ein Problem gewesen. Maßlos würde ich mich ärgern, wenn ich scheitere, weil ich einen Fehler in der Planung oder in der Umsetzung gemacht habe. Wenn uns die Natur nicht durchlässt, dann hat man das zu akzeptieren. Man lernt wieder, Demut vor der Natur zu haben.

Kulka: Wie findet man den Punkt, an dem man sagt: Die Natur hat mich besiegt?

Die Kunst, eine Expedition zu unternehmen, besteht darin, die Grenzen seiner Kräfte zu erkennen. Das hat mit Intuition und Erfahrung zu tun. Und ich bin ja nicht nur für mich allein verantwortlich, sondern für das Team, das mit mir unterwegs ist. Keine Expedition ist so wichtig, dass dabei einer sterben darf.

Hendrik Mann: Ihre Expeditionen werden immer größer, immer mehr Menschen sind dabei. Wie kommt das?

Als ich anfing, hatte ich zwei Freunde mit ähnlicher Denkweise. Wir hatten alle wenig Geld. Wir haben in unserer Freizeit mit ganz wenigen Mitteln die ersten Projekte durchgezogen. Ich bin aber der gewesen, der diesen Weg konsequent weitergegangen ist. Ich habe dann Solo-Expeditionen gemacht. Ich habe schnell gemerkt, dass ich allein mit mir gut klar kam. Ich fand es nur langweilig. Ich finde es ungleich interessanter, mit Menschen zusammenzuarbeiten. Es macht mehr Spaß, sich über einen tollen Eisberg gemeinschaftlich zu freuen, als es einem Tagebuch anzuvertrauen. Oder gemeinschaftlich eine Krise zu meistern. Ich arbeite gern im Team.

Stöter: Was ist so reizvoll an der Nordwest-Passage?

Sie ist ein Mythos, weil man seit Jahrhunderten nach einer möglichen Route gesucht hat. Hunderte von Expeditionen sind gescheitert, und viele Menschen sind zu Grunde gegangen. Dabei ging es ganz profan nur darum, den kürzesten Weg nach Asien zu finden.

Stöter: Sie müssen als Expeditionsleiter ein Multitalent sein. Wie bereiten Sie sich sportlich vor?

Kernpunkt ist das Kraft-Ausdauer-Training. Das braucht man gerade auch beim Segeln. Ich habe mir vor vielen Jahren eine Halle gekauft, umgebaut und mein eigenes Fitness-Studio eingerichtet. Und jeder aus der Crew hat einen Schlüssel dazu.

Mann: Sie haben bei den Inuit gelebt. Was haben Sie von denen übernommen? Die Kleidung?

Früher habe ich auch Fellkleidung getragen. Heute benutzen wir moderne High-Tech-Kleidung. Das tun die Inuit mittlerweile auch. Es war kurios. Ich war begeistert von dem, was ich machen wollte, und habe erwartet, dass sie das ganz toll finden, dass ich zu ihnen komme, um von ihnen zu lernen. Die hatten aber gar kein Interesse, etwas mit mir zu machen.

Ich merkte, dass ich mich auf die Menschen einstellen musste. Sie nahmen mich mit auf eine Jagd-Reise und haben zwei Wochen lang nur auf Inuktitut gesprochen. Ich habe nichts verstanden. Erst nach Ablauf dieser zwei Wochen haben sie mich angeguckt, brachen in schallendes Gelächter aus und sagten, sie hätten sich nicht vorstellen können, dass ich so lange aushalte würde. Das war die Aufnahmeprüfung. Ich habe dort viel gelernt.

Stöter: Wie ist das mit der Stille?

Die Stille ist physisch spürbar. Sie ist allgegenwärtig. Das kann sich aufs Gemüt legen. Es ist aber auch toll, ein unverfälschtes Erlebnis.

Mann: Sie haben sich einen Fischkutter, Baujahr 1931, gekauft. Was ist an dem Schiff noch original, was wurde modernisiert?

Es ist in Dänemark gebaut worden. Man hat viele Schiffe für die Grönlandfahrt gebaut. Sie sind von der Konstruktion, vom Material her sehr solide. Nach so einem Schiff hatte ich gesucht, das zwar schon motorisiert war, aber noch einen Segelschiff-Rumpf hat. Wir haben viel umgebaut. Es kam ein moderne
Maschine rein, moderne Navigationselektronik, eine ganz Menge Technik eben bis hin zu einer Seewasser-Entsalzungs-Anlage, um autark zu sein. Spanten wurden verdoppelt, zusätzliche Schotten kamen dazu, um bei Wassereinbruch schwimmfähig zu bleiben, und vieles mehr.

Stöter: Was kostet eine Expedition?

Das bewegt sich immer im sechsstelligen Bereich.

Mann: 12 Mann auf einem 18 Meter langen Kutter – wie verhindern Sie da einen Lagerkoller?

Es hängt mit der Zusammensetzung der Crew zusammen. Was man nicht braucht, sind Selbstdarsteller. Es muss soziale Kompetenz da sein, es muss ein Zuständigkeitsbereich da sein und die Leute müssen ganz genau wissen, auf was sie sich einlassen. Die Crew besteht zum großen Teil aus Leuten, die schon bei früheren Projekten dabei waren und Erfahrung haben. Bewusst sind junge Leute dabei, für die es zwar neu ist, die aber neue Ideen einbringen.