Der FDP-Fraktionschef sprach mit unseren Lesern über Studiengebühren, EU-Erweiterung und Arbeitslosigkeit

Laura Kroschewski: Viele junge Leute schreckt ein Studium ab, wenn sie hohe Studiengebühren zahlen müssen. Die FDP ist dafür. Wieso?

Es geht uns um mehr Autonomie der Hochschulen und bessere Studienbedingungen. Die Hochschulen sollten allein entscheiden, ob sie Studiengebühren einführen wollen oder nicht, und sie sollten sich auch ihre Studenten selbst aussuchen dürfen, übrigens sollten auch die Studenten sich ihre Uni selbst aussuchen dürfen.

Die Hochschulen können mit den Gebühren kürzere, attraktive Studiengänge anbieten. Wir müssen natürlich ein Stipendien- und Darlehenssystem entwickeln, damit niemand aus finanziellen Gründen vom Studium ausgeschlossen wird.

Laura Kroschewski: Ich befürchte, durch Studiengebühren wird Bildung eine Ware, die sich bald nur noch Reiche leisten können.

Jeder, der gut ist, soll studieren können. Zum Beispiel gibt es an amerikanischen Hochschulen viele Studenten, deren Familien das Geld für Studiengebühren nicht besitzen. Für diese jungen Leute gibt es Stipendien, und wenn das Studium es zulässt, arbeiten sie noch nebenher – was gar nicht so schlecht ist. Das erhöht später die Einstellungschancen, weil man praktische Erfahrungen gesammelt hat.

Laura Kroschewski: Sie sagen, es ist gut nebenbei zu arbeiten. Es ist aber nicht gut, wenn ich meine Familienplanung über den Haufen werfen muss, weil ich erst mit 35 fertig bin.

Ich glaube, dass man dadurch eher schneller studiert. Wer für ein Studium bezahlt, hat auch ein Interesse, schnell zum Abschluss zu kommen. Und die Hochschulen wissen, dass sie diese Studenten nicht ellenlang im Studium halten können. Wichtig ist, dass niemand aus einkommensschwachen Haushalten vom Studium fern gehalten wird. Aus einem solchen kam ich übrigens auch. Aus meinem Dorf war vor mir noch nie jemand zur Uni gegangen.

Ulrich Menzel: Wenn Schwarz-Gelb die Wahl gewinnt, werden Sie wohl Außenminister. Europa steckt in einer Krise: wegen des Erweiterungsprozesses und weil sich viele fragen, wozu Europa eigentlich da ist. Wie gehen Sie damit um?

Ich beteilige mich nicht an Kabinettsspekulationen. Richtig ist: Der Verfassungsvertrag ist gescheitert. Wir brauchen den aber für eine größere europäische Union, damit es zum Beispiel endlich das Amt des europäischen Außenministers geben kann.

Ich würde den Verfassungsvertrag für die Menschen begreifbar machen und einen zweiten Anlauf mit einem schlankeren Entwurf vielleicht 2008 wagen – vorausgesetzt die wirtschaftliche Lage ist dann besser! Die Menschen in Frankreich und den Niederlanden haben den Vertrag auch abgelehnt, weil sie ihre sozialen Sicherungschancen und ihre Beschäftigungslage als nicht so günstig angesehen haben...

Ulrich Menzel: ...in Deutschland wäre ein Referendum auch gescheitert...

...ja, das wäre zu befürchten gewesen. Wir wären in eine sehr problematische Lage gekommen. Ich bin aber dennoch für ein Referendum.

Auf Dauer kann man Europa nicht nur zu einem Projekt der politischen Eliten machen. Wir müssen die Gesellschaften von Europa überzeugen.

Die Menschen haben Bedenken gegen eine Tempo-Entwicklung zu immer mehr Vollmitgliedschaften in der EU bis hin zur Türkei. Sie wollen wissen, welches Europa wir meinen. Deshalb muss die EU neben Vollmitgliedschaften auch eine Politik entwickeln, die in Nachbarschaftsverträgen besteht.

Ulrich Menzel: Werden die Beitritts-Absprachen mit Bulgarien und Rumänien noch einmal überdacht?

Da geht es nur noch um die Entscheidung, ob sie am 1. Januar 2007 oder 1. Januar 2008 dazukommen. Die Türkei ist eine andere Frage. Mit der beginnen die Verhandlungen am 3. Oktober und sie werden einige Jahre dauern. Im Fall der Türkei wird sich auch zum ersten Mal die Frage stellen, ob das in einer Vollmitgliedschaft endet oder in einer anderen Vertragsform.

Ulrich Menzel: Wo sind für Sie die Grenzen Europas? Wer soll und kann denn überhaupt dazugehören?

Ich mache eine Grenze in einem Europa, wie wir es aus der Kultur- und Philosophiegeschichte kennen.

Ulrich Menzel: Gehört die orthodoxe Welt dazu?

Ich glaube, dass Europa christlich-jüdische Wurzeln hat. Nach denen ist jeder Mensch vor Gott gleich, nicht nur die Katholiken und
die Protestanten. Europa ist des-
halb aber nicht nur ein christlicher Club.

Ulrich Menzel: Was ist mit muslimischen Ländern wie Bosnien oder Albanien?

Die gehören zu Europa. Die Türkei ist deshalb auch ein Problem, weil sie neben den zahlreichen kulturellen Unterschieden, denken Sie beispielsweise an die Zwangsverheiratungen, außerhalb des früher üblichen Begriffs des geografischen Europas liegt. Wir dürfen die EU nicht überdehnen, sonst wird das ein allgemeiner Mitgliederverein.

Ulrich Menzel: Wozu soll Europa denn da sein: Gemäß der Tony Blair-Vorstellung, fit für die Globalisierung?

Eine abgehobene Freihandelszone halte ich nicht für die Antwort. Ich stelle mir die Europäische Union in den großen Fragen der geostrategischen Entscheidungen als Global Player vor, die erst mit sich Entscheidungen vorbereitet und dann ihr Gewicht in die internationale Waagschale wirft.

Frank Raabe-Lindemann: Wenn ich mir im FDP-Wahlprogramm den Punkt Tarifpolitik anschaue, dann glaubt Ihre Partei wohl auch, dass Sie über den Weg von Lohnverzicht Arbeitsplätze schaffen kann.

Nein, das steht da nicht. Ich entscheide nicht über Löhne und Gehälter, das soll allein Sache der Tarifparteien sein. Ich möchte nur mehr Flexibilität und Rücksicht auf betriebliche Besonderheiten.

Der Flächentarif sollte geöffnet werden, so dass in den Betrieben über den Tarif abgestimmt wird. Ich halte die Abstimmung der Belegschaft eines Betriebes, die vielleicht zu längerer Arbeitszeit bei Lohnverzicht führt, für ökonomisch vernünftig, wenn so Arbeitsplätze gesichert werden können.

Frank Raabe-Lindemann: Ich muss noch mal nachhaken. Kern unserer Arbeitslosigkeit ist doch, dass immer weniger Leute immer mehr produzieren. Wie wollen Sie da die Arbeitslosigkeit senken?

Wer investieren will, schaut sich weltweit um, welche Bedingungen es gibt. Eine der Bedingungen sind die Steuern, die sind in Deutschland überkompliziert und höher als in anderen Ländern. Zweitens haben wir einen überregulierten Arbeitsmarkt. Drittens: Ihre Kollegen schauen am Monatsende schon verdutzt, was beim Lohn übrig bleibt. Zwischen Brutto und Netto sitzt nicht nur die Steuer, sondern auch die Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen. Die sind nie gesenkt worden, die sind immer nur gestiegen.

Diese umlagenfinanzierten Sicherungssysteme sind eine Barriere gegen Arbeitsplätze geworden. Wenn wir die nicht umbauen, werden immer mehr Stellen gestrichen werden. Sozialpolitik kann nicht nur soziale Begleitung von Arbeitslosigkeit sein. Sondern muss zuallererst die Grundlagen für neue Arbeitsplätze schaffen.

Den Weg der Riester-Rente, neue Formen der sozialen Sicherheit zu schaffen, halte ich für gut. Ich will ihn ausbauen. Das kann die Umlagefinanzierung abbauen und Arbeitsplätze in Deutschland wieder wettbewerbsfähiger machen.

Ulrich Menzel: Bei der Wahl wird es auf jeden Prozentpunkt ankommen. Was ist, wenn es für Schwarz-Gelb nicht reicht, aber für Schwarz-Grün?

Ich habe mich selten in einer strategisch so guten Situation befunden. Alles deutet darauf hin, dass Rot-Grün keine Mehrheitschance besitzt. Eine Große Koalition wird als Hilfskonstruktion diskutiert, für mich wäre das nur ein Schulterschluss im Stillstand.