Leser-Gespräch über die Schloss-Fassaden in Braunschweig – Kritik an Kombination mit Kaufhaus im Innern

Bernd Wedemeyer: Ich habe als erklärter Schloss-Befürworter in Braunschweig, Berlin und Potsdam zunächst eine simple Frage. Wann wird das Schloss in Berlin kommen?

Der deutsche Bundestag hat auf Vorschlag der internationalen Kommission "Historische Mitte Berlin" beschlossen, das Humboldt-Forum im rekonstruierten Berliner Schloss zu bauen. Es soll zusammen mit der Museumsinsel ein Ort der Weltkultur werden. Es könnte dort, wie der Generaldirektor des British Museums in London, Neil McGregor, sagt, ein neues Weltwunder der Künste entstehen.

Der Bundestag hat mit Zweidrittel-Mehrheit beschlossen, dass dieses Forum als Neubau mit drei der vier historischen Fassaden des Berliner Schlosses entstehen soll. Der Mehrpreis der Fassaden gegenüber einem modernen Gebäude soll ausschließlich über Spenden finanziert werden. Und er hat auch beschlossen, dass, wo immer möglich, die wichtigsten historischen Räume in ihrer Grundform wieder zu errichten sind. Ein spätere Vollendung ist dann möglich.

Wedemeyer: Wie wird es zeitlich weitergehen?

Der Wiederaufbau des Berliner Schlosses soll so zügig wie möglich erfolgen, so der Plan der Bundesregierung. Jetzt arbeitet das Bauministerium an der Ausschreibung für die Wettbewerbe, beispielsweise, um die Ost-Fassade und das Innere zu definieren.

Das ist natürlich eine Riesenherausforderung für unsere Architekten, da sie aufgrund der historischen Rekonstruktion des Gebäudes viel Können brauchen, um der Qualität des Alten etwas gleichwertig Neues hinzuzufügen. Es wird so entweder ein Ort der Blamage oder ein Triumph der Interpretationsfähigkeit der Moderne.

Berthold Burkhardt: Ich habe mich gewundert, dass Sie jetzt nach Braunschweig kommen, denn Sie wissen doch, dass das hiesige Vorhaben mit Ihrem Humboldt-Zentrum im Berliner Schloss und sogar mit der Dresdner Frauenkirche verglichen wird. Es muss Sie doch erschrecken, wenn man eine Schlossfassaden-Konstruktion mit einem Shopping-Center verbindet. Der Berliner Senatsbaudirektor Dr. Hans Stimmann hat zu Braunschweig gesagt: Das ist eine Horror-Vorstellung. Was sagen Sie?

Man muss klar unterscheiden zwischen der Metropole Berlin, die strahlender Mittelpunkt unserer Republik werden soll, und Braunschweig. In der Mitte Berlins ist es damit natürlich leichter, ein Kulturkonzept durchzusetzen. Hier soll ein Ort der Weltkunst und Weltkultur entstehen.

Braunschweig ist eine alte Residenz-und Handelsstadt mit einem stolzen Bürgertum. Doch diese Stadt ist nie mehr als eine Regional-Metropole gewesen. Deswegen sind die Möglichkeiten, dass hiesige Schloss originalgetreu zu rekonstruieren, schon durch die finanziellen Möglichkeiten der Stadt sehr eingeengt.

Ich sehe aber die Wiederherstellung dieses Gebäudes nur als den Beginn eines Prozesses. Auf Braunschweig bezogen: Momentan haben wir eine Zeit des Kommerzes und immer weniger Geld für Kultur. Zur Zeit ist es daher finanziell nur möglich, dass man hier ein Schlossmuseum und die Bibliothek ansiedelt. Dieses ECE-Einkaufszentrum ist für mich nur ein Anfang.

Es besteht doch durchaus die Chance, dass in 30 Jahren in einem Teil des Einkaufszentrums eine Konzerthalle eingerichtet wird. Der Wiederaufbau des Schlosses kann damit langfristig eine Initialzündung sein, um die Kulturstadt Braunschweig auf Dauer aufzuwerten.

Burkhardt: Jetzt winden Sie sich aber gehörig.

Nein, ich sehe die Chance wirklich. Leider ist die Architektur gegenüber dem Schloss unglaublich banal. Langweiliger, provinzieller, spießiger geht es ja wohl nicht. Für diese Umgebung wird das Schloss Qualitätsmaßstäbe setzen. Die meisten dieser Bauten werden deswegen in Zukunft besserer Architektur weichen und die Stadt so anspruchsvoller gestalten.

Burkhardt: Ich höre daraus, dass Sie den architektonischen Wert dieses Anbaus nicht gerade hoch einschätzen. Ist das richtig?

Ich bezog mich nur auf die bisherige Bohlweg-Bebauung. Die Fassaden des ECE-Centers finde ich angemessen, neutral – und die Würde der Schloss-Fassaden respektierend, hanseatisch anständig. Mit den Fassaden kann ich leben, da sie zeitlos und nicht anstrengend sind.

Eine Firma, wie ECE, denkt kaufmännisch. Man baut kundenorientiert. Und wenn sich das Zentrum nicht mehr rechnet, wird man es dem geänderten Bedarf anpassen oder über eine gänzlich neue Nutzung, vielleicht auch eine kulturelle, nachdenken.

Olaf Jaeschke: Den Einzelhandel interessiert die Auseinandersetzung, wie man einerseits die historische Bedeutung des Gebäudes und andererseits den Konsumtempel verbinden kann.

Für den Handel ist es wichtig, dass er ein Alleinstellungsmerkmal entwickelt, das der Konkurrent nicht hat. Diese Bedingung erfüllt die Schloss-Fassade geradezu ideal. Der innerstädtische Einzelhandel muss diese Herausforderung annehmen und sich auf passende neue Angebote spezialisieren.

Wenn das passiert, kann eine sehr befruchtende Wettbewerbs-Situation entstehen, die der Stadt insgesamt gut tut. Denn durch die Attraktivität dieses Zentrums werden auch viele Menschen aus der Umgebung kommen, die sehen wollen, was sich hier in Braunschweig tut.

Wedemeyer: Ich möchte noch einmal auf die kulturelle Nutzung des Gebäudes zurückkommen, und ich muss Herrn Burkhardt dabei deutlich widersprechen: Das ist kein Schloss-Kaufhaus, sondern ein Kulturforum, denn 75 Prozent der Fläche werden kulturell genutzt und nur 25 Prozent als Einkaufsbereich. Und es wird immer gesagt: Das kostet doch so viel Geld. Aber Sie in Berlin haben die Fassaden über Spenden finanziert, und es wird auf Dauer sehr viel Geld durch die zusätzlichen Besucher in die Stadt gespült. Das wird sich doch auch für Berlin rechnen, oder?

Wenn später alle bedeutenden Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Zentrum präsentiert werden, wird als Langzeitwirkung die neue Mitte Berlins einen Touristenboom erleben. Davon werden natürlich auch die Hotels und der Einzelhandel profitieren. Und kurzfristig gesehen ist der Bau für 600 Millionen Euro auch ein Konjunkturprogramm für die Stadt.

Wir sehen dabei unseren 80-Millionen-Euro-Beitrag für die Rekonstruktion der Schloss-Fassaden als eine gute Investition in das wiedergewonnene Wissen und Können der Steinmetze und Bildhauer über die alten Bautechniken. Allerdings haben wir das Geld noch nicht zusammen.

Dieses Wissen kann bundesweit in der Denkmalpflege weitergenutzt werden, etwa bei der Restaurierung historischer Bauten in Braunschweig.

Jaeschke: Haben Sie Statistiken darüber, ob Städte, die diese Großprojekte gewagt haben, später auch nachhaltig davon profitiert haben? Hat der Tourismus, auch mit Blick auf die Region, dort zugenommen?

Es gibt darüber nur Annahmen. Wenn Sie zum Beispiel sehen, dass das Museumszentrum Berlin-Dahlem vor der Wende jährlich 1,3 Millionen Besucher hatte und heute nur noch 125 000 Menschen kommen, dann ist das dramatisch. Man kann diese fehlenden Besucher mit neuen Ausstellungskonzepten, großen Wechselausstellungen dort kaum zurückgewinnen. Im Zentrum Berlins jedoch ist dies möglich – und eine Steigerung der Besucherzahlen darüber hinaus, wie die Ergebnisse der Museen in Paris und London zeigen.

Und noch etwas: Von den zwölf Millionen Berlin-Besuchern pro Jahr sind die meisten Bus-Touristen, die nur für ein Wochenende kommen. Machen wir uns nichts vor: Das sind nicht die Leute, die große Umsätze für die Läden bringen.

Jaeschke: Das heißt konkret?

Wenn es uns gelingt, die Qualität der Besucher über das Niveau des Angebotes zu steigern, dann profitiert davon auch der gehobene Einzelhandel – und das prophezeie ich auch für Braunschweig. Ich sage voraus, dass dieses neue Einkaufszentrum in der Zeit nach der Eröffnung viele neue Besucher anziehen wird.

Die Schloss-Fassaden werden in den nächsten 20 Jahren wirtschaftliche Akzente setzen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Alle Braunschweiger werden davon profitieren, auch die Kultur.