Autor will mit Erfolgsbiografien Einwanderer motivieren und das Bild von Deutsch-Türken zurechtrücken

Der in Braunschweig aufgewachsene Murat Ham hat ein Buch mit dem überraschenden Titel "Jung, erfolgreich, türkisch" geschrieben. Er ist oft in der Schweiz. Im Interview äußert er sich auch zum Thema Minarette.

Murat Ham (34) aus Braunschweig arbeitete zunächst als Journalist, unter anderem bei unserer Zeitung, bevor er sich als Kommunikationsberater in Berlin selbständig machte.

In seinem mit Erkan Arikan geschriebenen Buch "Jung, erfolgreich, türkisch" schildert er beeindruckende Karrieren von Deutsch-Türken: Der 1972 in der Türkei geborene Ali Aslan zum Beispiel macht in Deutschland sein Abitur, studiert an angesehenen Universitäten in den USA, Bundesminister Wolfgang Schäuble holt ihn in sein Presseteam.

Murat Ham stammt selbst aus einer türkischstämmigen Familie. Mit ihm sprach unser Redakteur Uwe Hildebrandt.

Sie sind als Journalist und Kommunikationsberater oft beruflich in der Schweiz. Hat Sie der Volksentscheid der Schweizer gegen den Bau von Minaretten schockiert?

Als ich kürzlich in Zürich gewesen bin, habe ich mit vielen Schweizern darüber gesprochen. Der Volksentscheid hat mich nachdenklich und betroffen gemacht. Ich nehme die Ängste der Schweizer ernst. Auch heute gilt noch: Die Kommunikation zwischen Christen und Muslimen muss intensiviert werden. Die Muslime sind nun mal da, ob wir wollen oder nicht.

Wir sollten zur eigenen Aufwertung nicht die muslimische Religion abwerten. Niemandem ist geholfen, wenn Muslime in den Hinterhöfen beten – und wir das Problem vernachlässigen.

Wie erklären Sie sich diese Entscheidung? Haben die muslimischen Einwanderer in Europa eher Ängste geschürt, anstatt sich zu integrieren?

Wir reden wieder über eine diffuse Gefahr, die Ängste hervorruft. Denn die Angst vor Minaretten war dort am größten, wo die wenigsten Muslime leben. Wir fördern keine Integration durch Ausgrenzung. Das sind alte Muster – und es ist auch nicht neu, dass Politik die Religion instrumentalisiert. Scheinbar haben viele Menschen in Zeiten der Finanzkrise und Globalisierung den Glauben an Gerechtigkeit und Solidarität verloren. Die Angst vor Jobverlust und Überfremdung – die ist auch ein Nährboden für Ängste.

Wollen Sie mit Ihrem Buch über erfolgreiche türkische Karrieren dem Leser vorgaukeln, die Integration funktioniere hervorragend?

Ich denke, es gibt da doch ein Bild geradezurücken. Die Deutsch-Türken sind ja schon seit knapp 50 Jahren in Deutschland. Trotzdem hat man sie noch gar nicht richtig kennen gelernt, in der Gesellschaft werden Klischees gepflegt. Natürlich waren die meisten, die hier herkamen, sogenannte Gastarbeiter. Aber einige Einwanderer waren auch Akademiker, zum Beispiel Ärzte. Ich will zeigen, dass es in den Einwandererfamilien ganz unterschiedliche Biografien gibt, unter anderem auch sehr erfolgreiche.

Warum ist Ihnen die Botschaft so wichtig, dass türkischstämmige Bürger auch erfolgreich sein können?

Es gibt ja genug Studien, die belegen, dass Migranten Schwierigkeiten bei der Job-Suche haben, dass bei gleicher Qualifikation lieber andere Bewerber genommen werden. Das zeigt doch, dass man den Deutsch-Türken immer noch nicht richtig was zutraut. Ich hoffe, dass es bald nicht mehr nötig ist – aber heute ist es doch noch erforderlich, dieses Bild geradezurücken und zu zeigen, was Deutsch-Türken drauf haben.

Ist Ihr Buch also auch eine Anklageschrift an eine Gesellschaft, die andere ausgrenzt?

Es wird im Gegenzug ja auch den Deutsch-Türken vorgeworfen, dass sie sich hier nicht integrieren wollen. Und ich richte mich auch an die Menschen, die wirklich mehr Interesse an der deutschen Gesellschaft zeigen sollten. Die Botschaft ist: Da sind Vorbilder, streng dich an, dann kannst du aufsteigen. Das ist doch ein Signal an alle, dass eben Einwanderung nicht nur etwas mit Begriffen wie Arbeitslosigkeit, Kriminalität oder Ehrenmord zu tun hat, sondern dass damit auch unheimlich viele Chancen verbunden sind.

Man kann Ihr Buch auch so verstehen, dass die Einwanderer endlich aufhören sollen, an der gesellschaftlichen Ausgrenzung herumzumäkeln. Ist jeder, der scheitert, selbst schuld?

Natürlich ist jeder auch ein Stück weit seines Glückes Schmied, aber darauf darf man es nicht reduzieren. Die Gesellschaft muss parallel auch die Aufstiegschancen verbessern. Die Politik hat ja sehr lange geschlafen. Eine spezielle Förderung für Deutsch-Türken gab es nicht, das Angebot an Sprachkursen war mau. Ursprünglich war ja geplant, die Migranten wieder zurückzuschicken. Und dieses Ziel blieb noch jahrzehntelang in den Köpfen.

Wie die Integration der Einwanderer gelingen kann, darüber wird viel diskutiert. Kennen sie den Königsweg?

Wir müssen uns bei diesem Thema zu allererst einmal Zeit geben. Das wird bei der ganzen politischen Debatte verkannt. Eine Integration auf einen Schlag wird es nicht geben. Wer solch ein Ziel formuliert, der sorgt für ständige Enttäuschungen. Es dauert noch einige Jahre, bis man so weit ist, dass man gemeinsame Lieder, Tänze und Gedichte hat. Es wäre doch ein großer Schritt, wenn sich die Kulturen bereichern statt sich zu bedrohen.

Die politischen Voraussetzungen lassen sich viel schneller schaffen, dass es etwa echte Chancengleichheit gibt, und zwar von der Schule an. Andererseits sollten auch viele Migranten sich mehr in Deutschland einbringen, zum Beispiel in Vereinen. Und sie sollten mehr in die Bildung der eigene Kinder investieren statt beispielsweise in irgendwelche Immobilien in der Türkei.

Was können die Bürger zu einer gelungenen Integration beitragen?

Es fängt ja schon an bei der Sprachwahl. Ständig ist von "Türken" die Rede. Aber es handelt sich meist um Deutsche, deren Familien ursprünglich aus der Türkei stammen.

Sie selbst sprechen von Deutsch-Türken, das klingt auch komisch...

Das Leben besteht aus Kompromissen. Ich will ja nicht mit dem Kopf durch die Wand. Das ist eine Art Verkehrssprache, damit es nicht zu kompliziert wird.

Was haben die, deren erfolgreiche Karrieren Sie beschreiben, besser gemacht als ihre Landsleute?

Es ist wichtig, dass man nicht so viel jammert, zum Beispiel darüber, dass einem der deutsche Staat nicht hilft und man nicht integriert wird. Die Menschen, die Erfolg haben, sind aktiver, sie nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand.

Gibt es auch ganz konkrete Erfolgsfaktoren?

Auf jeden Fall. Zum Beispiel zählt die Sprache dazu. Wer richtig gutes Deutsch spricht, der hat auch mehr Erfolg im Job. Die erste Generation, die "Gastarbeiter", haben meist schlechtes oder kein Deutsch gesprochen. Die zweite Generation war dann in der Schule schon recht erfolgreich. Komischerweise kippt es nun wieder bei der dritten Generation: Die Abschlüsse werden schlechter, obwohl diese jungen Leute doch komplett hier in Deutschland aufgewachsen sind. Man möchte doch meinen, dass es von Generation zu Generation besser wird. Es ist noch nicht zu 100 Prozent klar, warum das nicht so ist. Aber es zeigt, dass etwas passieren muss. Ein Instrument ist sicher, diese jungen Menschen besonders zu fördern und ihre Leistung gebührend anzuerkennen.

Einfach nur die Ärmel hochzukrempeln reicht also nicht aus?

Meine Schwester ist Lehrerin. Es gibt Studien, die belegen, dass manche Lehrer die Kinder schon allein nach ihrem Namen und ihrer sozialen Herkunft in Schubladen stecken. Es gibt noch große Widerstände, die die Einwanderer ausbremsen. Auch die erfolgreichen Deutsch-Türken haben solche Erfahrungen gesammelt, da hat der Lehrer gesagt: "Aus dir kann ja nichts werden!" Es gibt sicherlich viele Kinder, die da nicht gegen ankommen, die also ohne eigenes Verschulden scheitern.

Doch manche Menschen schöpfen daraus auch Kraft, dass sie Widerstände überwunden haben. Es gibt solche Stehaufmännchen. Und dann gibt es vor allem den Erfolgsfaktor Eltern. Wenn die einen unterstützen, wie es bei mir der Fall war, dann kann man sich durchkämpfen.

Und wenn die Eltern dieser Aufgabe nicht gerecht werden können?

Wir brauchen mehr Vorbilder für Deutsch-Türken. Sie sollten auch in die Vorstände der Parteien und Wirtschaft aufgenommen werden. Einwanderer werden in der Gesellschaft ja jetzt schon mehr beachtet, wenn sie etwas leisten. Es geht also in die richtige Richtung. Auch die Politik muss einen Beitrag dazu leisten, dass wir aus der Gleichgültigkeit gegenüber den Einwanderern herauskommen.

Bewirkt ein türkischstämmiger Politiker wie Cem Özdemir, der Chef der Grünen, also mehr als der hundertste Kongress zum Thema Integration?

Er macht den Deutsch-Türken Mut und motiviert sie. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte ja kürzlich zu den Türkischstämmigen: "Wir danken euch!" Vielleicht glauben viele, solche Worte verpuffen. Aber in Wirklichkeit tun sie den Deutsch-Türken unheimlich gut.

Ist Ihr Buch in den türkischen Medien besprochen worden, wie sind die Reaktionen ausgefallen?

Es kam in den türkischen Zeitungen wie etwa der Hürriyet sehr gut an. Die Redakteure sind es ja auch leid, ständig über Migranten als Opfer zu schreiben. Sie wollen nicht ständig über Benachteiligungen oder Anschläge berichten. Die erfolgreichen Biografien ermöglichen den Blick nach vorne, sie eröffnen die Aussicht auf Zeiten, in denen den Deutsch-Türken alle Türen offen stehen.

Warum hatte diese zukunftsgewandte Perspektive denn bisher überhaupt keine Chance?

Es gibt unter den Deutsch-Türken doch inzwischen viele Akademiker, die man als gut integriert bezeichnen könnte, auch wenn sie ihre Wurzeln natürlich nicht verleugnen. Aber diese Menschen fallen doch gar nicht auf. Es sind doch oft die Randalierer, die auffallen und die für Schlagzeilen sorgen. Die stille Mehrheit sieht man kaum.