Berlin. . Kein Anschluss unter dieser Nummer: Warum viele Nato-Partner mit der Bundeswehr nur auf Zuruf kommunizieren. Ein General packt aus.

Für das geplante "Sondervermögen" zugunsten der Bundeswehr gilt das Toyota-Prinzip "nichts ist unmöglich". An Verwendungszwecken und Investitionsideen für das 100 Milliarden-Euro-Programm mangelt es nicht: Von Flugzeugen und Panzer bis hin zu einer ausgeklügelten Raketenabwehr, die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) persönlich ins Gespräch brachte. Jetzt hat der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, seine drei Prioritäten benannt: "Führungsfähigkeit, Führungsfähigkeit und Führungsfähigkeit.“

Mais? Wie ein fernes Echo ertönt wieder eine frühere Mahnung des Generals. Als die russische Invasion begann, rüttelte Mais am 24. Februar die Öffentlichkeit mit einem Bekenntnis auf: Das Heer, das er führen dürfe, "steht mehr oder weniger blank da". Jetzt wird klar, dass ihm als erstes gar nicht schweres Material in den Sinn kommt, sondern schlicht zeitgemäße Kommunikationsmittel: Digitale Funkgeräte. Vor allem abhörsicher sollten sie sein.

Brigadegeneral Alfons Mais macht klar: Das Heer steht blank da. Kommunikation ist die größte Schwachstelle.
Brigadegeneral Alfons Mais macht klar: Das Heer steht blank da. Kommunikation ist die größte Schwachstelle.

Bundeswehr: Im Fax-Zeitalter stehen geblieben?

Die Forderung ist nicht neu. Mais hat im dpa-Interview keinen Bezug zum Ukraine-Krieg gezogen. Aber es ist gut möglich, dass die Erfahrungen damit ihn bestärkt und die Dringlichkeit unterstrichen haben.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dass die ukrainischen Soldaten in den ersten drei Monaten des Kriegs auffällig viele russische Offiziere töten konnten, nach unbestätigten Angaben mindestens 15 Kommandeure und Generäle, dürfte auch mit Kommunikationsversagen zu tun haben. Teils kommunizierten die Russen mit Handys, teils über nicht verschlüsselte Funkgeräte. In jedem Fall: Leicht abzuhören und zu orten.

Bundeswehr: Achtung, der Feind hört mit

Das gleiche Schicksal droht dem deutschen Heer in einem Krieg, wenn die so genannte grüne IT, etwa die Battle Management Systeme, nicht umgehend modernisiert wird. Der zivile Teil der Truppe, vor allem das Gesundheitswesen, ist da schon weiter als das Heer. "Wir fordern dies seit Jahren", seufzt die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). "Informationen dürfen vom Feind nicht abgehört werden", sagte sie unserer Redaktion.

Das klingt banal. Aber Laut Mais fehlt es „ganz einfach an der Fähigkeit, Daten und Sprache geschützt zu übermitteln“. Aufschlussreich ist der Vergleich, den der Inspekteur zieht: "Kein Unternehmer, kein Politiker ist heute in der Lage, seinen Auftrag nur mit Festnetzanschluss und Faxgerät zu erfüllen. Jeder ist auf sein Smartphone und die darauf verfügbaren Applikationen angewiesen." Im Klartext: Alle sind auf der Höhe der Zeit – nur die Bundeswehr ist kommunikativ aus derselben gefallen?

Neue Funkgeräte, eigenes Netz

Indes darf man den Hinweis auf das Handy-Zeitalter ja nicht wörtlich nehmen. Denn: Das Militär müsse im Normalfall "das eigene Netz dazu erst mal mitbringen, aufbauen und mobil dabei haben“, erläutert Mais. "Wir müssen digitale Funkgeräte haben, die es uns in einem solchen Netz erlauben, Gefechtsstände zu betreiben, Daten und Sprache zu übertragen, ohne dass jemand mithören oder alles lahm legen kann.“

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Dass Führungsfähigkeit schlicht von Kommunikation abhängt, versteht sich von selbst; ebenso, dass diese "elementar" (Strack-Zimmermann) bei der Kampfführung ist. Mais und die FDP-Wehrexpertin nennen aber noch einen anderen Grund: Anschlussfähigkeit in der Nato.

Führung auf Zuruf – buchstäblich

Im Interview plaudert der General aus dem Nähkästchen. Im westafrikanischen Mali sei ihm berichtet worden, dass Partner sich bei gemeinsamen Patrouillen aus Sicherheitsgründen geweigert hätten, mit den deutschen Kameraden über das offene Netz zu kommunizieren. „Die halten an, man sitzt ab, bespricht sich, sitzt wieder auf und fährt weiter. Das ist leider die Realität.“

Wie Realsatire klingen auch die Schilderungen aus Litauen, wo die Bundeswehr einen Nato-Einsatz anführt. Das gleiche Armutszeugnis: Die "Lead Nation" führt buchstäblich auf Zuruf.

In der Nato: Kein Anschluss unter dieser Nummer

Beim Gefechtsverband fährt ein deutscher Schützenpanzer Marder neben den niederländischen sowie den norwegischen Kompaniechef. Es werde „von Turm zu Turm“ gerufen, was der deutsche Kommandeur gerade offen im Funk befohlen habe, erzählt Mais. „Niederländer und Norweger können uns nicht mehr hören oder sind nicht mehr bereit, das Sicherheitsrisiko unverschlüsselter Kommunikation auf sich zu nehmen.“

Da versteht man, warum der Soldat die Verbesserung der Führungsfähigkeit für "das Allerwichtigste auf der materielle Seite der Modernisierung" hält. Nur eines bleibt bei seiner "Wir-sind-blank"-Variation unklar: Warum macht er aus seinem Herzen keine Mördergrube mehr? Warum gerade jetzt? Sorgt er sich, dass das Heer beim 100-Milliarden-Sondervermögen zu kurz kommt oder dass der Haushaltsausschuss vor lauter Großprojekten vermeintlich unspektakuläre Investitionen vernachlässigt?