Berlin . Experten dringen auf den Aufbau einer Raketenabwehr. Ein Rundumschutz ist eine Illusion: Israels Iron Dome weckt falsche Erwartungen.

  • Russlands Raketenangriffe auf die Ukraine verursachen auch in Deutschland ein Bedrohungsgefühl
  • Forderungen nach einem deutschen "Iron Dome" werden laut
  • Ist ein Abwehrsystem realistisch? Was auf die Bundeswehr zukommt

Wolfgang Hellmich macht es kurz: "Eine Luftnummer." Der langjährige SPD-Verteidigungspolitiker kann die Debatte über einen "Iron Dome" nicht ernst nehmen. Der Begriff ist irreführend, die diskutierten Kaufsummen und Zeitachsen sind gegriffen. Klar ist, was gemeint ist wird: Ein Schutzschild nach israelischem Vorbild, ene Raketenabwehr.

In seiner Exklave Kaliningrad – zwischen Litauen und Polen – hat Russland Iskander-Raketen stationiert. Im Zielspektrum dieser Mittelstrecken-Raketen sind Ost- und Mitteleuropa, auch Deutschland. Sie könnten in fünf Minuten Berlin erreichen.

Die Nato hat diese Bedrohung toleriert. Abwehrsysteme gab es sehr wohl. Sie sind in Polen, Rumänien und auf Schiffen stationiert, aber auf einen anderen Gegner eingestellt: den Iran.

Raketen: Alte Bedrohung, neues Bedrohungsgefühl

Mit dem Ukraine-Krieg ist nicht die objektive Gefahr, wohl aber das Bedrohungsgefühl gestiegen. Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr darüber, wozu Russlands Präsident Wladimir Putin fähig ist.

Bundeskanzler Olaf Scholz beriet sich mit Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (beide SPD) und Generalinspekteur Eberhard Zorn und fasste die Beschaffung eines Raketenschildes ins Auge. Es hat höchste Priorität, weil das "Patriot"-Abwehrsystem der Bundeswehr veraltetet ist und es ohnehin nur gegen Kurzstreckenraketen hilft.

Der Kanzler erkannte, "wir müssen uns alle darauf vorbereiten, dass wir einen Nachbarn haben, der gegenwärtig bereit ist, Gewalt anzuwenden, um seine Interessen durchzusetzen." Man müsse sich so stark machen, "dass das unterbleibt." Am Geld sollte es nicht scheitern. Scholz sagte der Truppe eine Soforthilfe von 100 Milliarden Euro und steigende Wehretats zu.

Iron Dome: Falscher Begriff, richtiges Anliegen

Da hatte der CSU-Verteidigungspolitiker Florian Hahn längst die Gunst der Stunde erkannt und einen Schutzschild nach israelischem Vorbild gefordert. Hahn empfahl einen "Iron Dome" zunächst nur für Berlin. Ein Mediencoup.

Sein Unions-Kollege Roderich Kiesewetter, ein absoluter Fachmann und früherer Nato-Offizier, wunderte sich. Das sei "nicht der richtige Begriff". Dann müsste der Feind schon in Deutschland stehen, sagte er unserer Redaktion.

Abwehrsystem: Ruf nach einer Entscheidung

Tatsächlich schützt der Iron Dome Israel wirksam vor Kurzstrecken-Raketen (bis etwa 100 Kilometer). Kiesewetter findet den irreführenden Begriff gleichwohl "hilfreich", weil er eine überfällige Diskussion ausgelöst hat. Über einen besseren Schutz .

Sie war auch beste Werbung für Israels Rüstungsindustrie, die mit gleich drei Systemen aufwarten kann: Neben Iron Dome noch mit Arrow und (Pfeil) und David's Sling (Davids Schleuder).

Abschreckung die bessere Verteidigung

Für Deutschland ist "Arrow 3" interessant, weil es gegen Mittelstreckenraketen schützt, schon auf dem Markt ist und im Idealfall binnen drei Jahre aufgestellt werden könnte. Außerdem wäre es in der Lage, Raketen bereits oberhalb der Erdatmosphäre abzufangen.

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), dringt denn auch auf eine Entscheidung. "Die Raketenabwehr ist eine wichtige sicherheitspolitische Frage. Da haben wir eine Fähigkeitslücke, das dürfte bekannt sein", sagte sie unserer Redaktion." Jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, dieses Thema zu klären.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Experten wie Strack-Zimmermann, Hellmich oder Kiesewetter sind sich einig, dass es nicht um den Schutz von Berlin geht, vielleicht noch nicht einmal von Deutschland allein, sondern um eine Bündnisfrage. Im Idealfall könnten die Radaranlagen in Deutschland aufgestellt sein und die dazu gehörigen Abwehrraketen in Polen stehen. So ein System könnte gar "Teil einer Sicherheitsgarantie" auch für die Ukraine sein, meint Kiesewetter.

Alle kennen freilich auch die Grenzen der Machbarkeit:

  • Israel ist nur etwas größer als Hessen. Ein Schutzschild für ganz Deutschland oder gar Mittel- und Osteuropa wäre ungleich anspruchsvoller und aufwendiger.
  • Russland verfügt über eine Vielzahl von Raketen. Es könnte jedes Abwehrsystem mit koordinierten Angriffen an seine Grenzen führen.
  • Die Russen haben Hyperschall-Raketen entwickelt, die wohl schon in der Ukraine eingesetzt wurden. Gegen sie gibt es keinen Schutz.
  • Israel entwickelt Arrow 4, ein System der nächsten Generation: Raketenabwehr per Laser, "Iron Beam", den eisernen Strahl. Mithin besteht die Gefahr, dass für die Bundeswehr eine Abwehr gekauft wird, die bei Inbetriebnahme schon nicht mehr zeitgemäß ist.

Noch fehlen Angebote, Ausschreibungen, Verhandlungen, erst recht: politische Entscheidungen. Militärisch ist ohnedies die Frage, ob die Anschaffung von eigenen Angriffssystemen nicht die bessere Art wäre, Russland abzuschrecken.

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Stattdessen wird der Bevölkerung suggeriert, man könnte für sie einen Schutzschirm aufspannen, eine Rundumgarantie gegen Angriffe wie in der Ukraine. Eine Wohlfühldebatte.