Essen/Berlin. In Absprache mit dem Bund und dem Land NRW hat RWE angekündigt, den Ausstieg vorzuziehen. Kurzfristig wird aber mehr Kohle verbrannt.

Der Kohleausstieg wird auf 2030 vorgezogen – zumindest im Westen Deutschlands. Die Bundesregierung, das Land Nordrhein-Westfalen und der Essener Energiekonzern RWE haben sich darauf verständigt, dass statt 2038 schon 2030 Schluss sein soll mit Kohlestrom aus dem Rheinischen Revier. Dies sei der „finale Zeitplan für den Braunkohleausstieg“, sagte RWE-Chef Markus Krebber am Dienstagmorgen bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und NRW-Ministerin Mona Neubaur (beide Grüne) in Berlin.

Habeck lobte die Verständigung: Es sei ein guter Tag für den Klimaschutz, erklärte er. 280 Millionen Tonnen Braunkohle blieben so in der Erde, sagte der Grünen-Politiker. „Die CO2-Bilanz wird dadurch deutlich verbessert.“ Im Koalitionsvertrag war als Maßgabe für den Kohleausstieg noch festgehalten worden, dass dieser „idealerweise“ bis 2030 kommen soll. Und „ganz ehrlich, so richtig viele Instrumente, das umzusetzen, wurden mir nicht in die Hand gegeben“, erklärte Habeck.

Strom: Kurzfristig wird RWE noch mehr Kohle verstromen

Kurzfristig soll allerdings mehr Kohle verstromt werden als zuvor geplant. RWE ist seit Anfang dieser Woche dabei, drei 300 Megawatt-Blöcke aus der Reserve einsatzbereit zu machen, das werde „bis zum Wochenende“ erfolgen, sagte Konzernchef Krebber. Zusätzlich sollen nun zwei 600 Megawatt-Blöcke bis Ende März 2024 am Netz bleiben, die nach dem bisherigen Ausstiegspfad eigentlich zum Jahresende abgeschaltet werden sollten. Beide Maßnahmen sollen dabei helfen, in der aktuellen Energiekrise wegen des Ukraine-Kriegs die Versorgung zu sichern.

„Aktuell steht die Bewältigung der Energiekrise mit den sehr hohen Preisen im Fokus. Deshalb brauchen wir kurzfristig mehr Kohlestrom“, sagte Habeck. Es gehe darum, die nächsten beiden Winter zu überstehen. Doch die größte „strukturelle Krise unserer Zeit ist die globale Erderwärmung“, betonte der Wirtschafts- und Klimaminister. Deshalb müsse nach 2024 der Kohleausstieg umso stärker beschleunigt werden.

Dorf Lützerath muss weichen

Das Dorf Lützerath, das zum Symbol für den Kampf um den Kohleausstieg geworden ist, wird diese Absprache allerdings nicht retten. Für Lützerath bedeute die Einigung, dass „die Braunkohleflächen, die unter Lützerath liegen, zur Verfügung gestellt werden müssen bzw. abgeräumt werden müssen“, sagte Habeck.

Alle anderen bisher noch zur Disposition stehenden Orte und Höfe blieben dagegen erhalten, betonte NRW-Wirtschaftsministerin Neubaur, die Bewohnerinnen und Bewohner von Kuckum, Keyenberg, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath hätten damit nun endlich Sicherheit, nicht umsiedeln zu müssen.

Grüne Jugend und Klimaschützer kritisieren die Entscheidung

Habeck und Neubaur dürfte das Ärger nicht nur mit der Klimaschutzbewegung, sondern auch Teilen der eigenen Partei eintragen. „Lützerath und die klimaschädliche Kohle darunter muss bleiben, damit wir unsere Klimaziele einhalten“, sagte Timon Dzienus, Bundesvorsitzender der Grünen Jugend, nach der Ankündigung. Die Grüne Jugend NRW hatte kürzlich indirekt Proteste angekündigt, sollte die eigene Ministerin den Abriss nicht verhindern: „Niemand wünscht sich eine Eskalation zwischen Polizei und Klimabewegung wie 2018 am Hambacher Wald“, sagte Sprecherin Nicola Dichant. „Aber klar ist: Die Grüne Jugend steht solidarisch an der Seite der Klimaschützerinnen und Klimaschützer.“

Auch das Bündnis Ende Gelände plant, gegen die Entscheidung zu protestieren. „Wir machen die Räumung zum Desaster!“, hieß es in einem Tweet der Bewegung am Dienstag.

Kommt der Kohleausstieg im Rheinischen Revier bis 2030, bleiben in Deutschland danach nur noch in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg Kohlekraftwerke am Netz. Wirtschaftsminister Habeck sagte am Dienstag, er hoffe, dass die Einigung in NRW „beispielgebend“ sein könne auch für andere Regionen. Die entsprechenden Gespräche dazu liefen.

Haseloff lehnt Ausstieg bis 2030 für Sachsen-Anhalt ab

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) lehnt einen vorgezogenen Ausstieg für sein Bundesland allerdings weiterhin ab. Er halte einen Ausstieg bis 2030 „für nicht machbar“, sagte Haseloff dieser Redaktion. „Gesetzeslage und realistisch ist ein genereller Ausstieg 2038.“ Der sei mit einem breiten gesellschaftlichen Konsens beschlossen, sagte der CDU-Politiker. „Das sollten wir nicht infrage stellen, denn wir brauchen Planungssicherheit.“ Diese sei für Unternehmen von größter Bedeutung. Ein Ausstieg vor 2038 würde den Industriestandort Deutschland „nachhaltig schwächen“.

Die Brandenburger Grünen-Landesvorsitzende Julia Schmidt dagegen plädierte dafür, auch im Osten nachzuziehen. „Was in NRW geht, muss auch in Brandenburg möglich sein“, schrieb Schmidt am Dienstag bei Twitter.

In NRW sollen Gaskraftwerke gebaut werden

In NRW sollen zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit nun beschleunigt Gaskraftwerke gebaut werden, die so schnell wie möglich Wasserstoff verstromen sollen. „Neue Gaskraftwerke bauen zu wollen, mag aktuell merkwürdig klingen, aber wir brauchen gesicherte, steuerbare Leistung für wind- und sonnenarme Zeiten“, sagte der RWE-Chef. Die flexibel steuerbare Kapazität sei nötig.

„Nach unserer Einschätzung müssen die Rahmenbedingungen im kommenden Jahr stehen, um den Kohleausstieg bis 2030 schaffen zu können“, erklärte Krebber Richtung Habeck. Dann werde sich RWE an Ausschreibungen für den Bau neuer Gaskraftwerke mit einer Leistung von drei Gigawatt beteiligen.

Mittelfristig sollen diese vollständig mit grünem Wasserstoff statt Erdgas betrieben werden. Das solle bis „hoffentlich“ 2035 der Fall sein, sagte Krebber.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.