Berlin. Die Wirtschaft wird klimagerecht umgebaut. Viele Arbeitnehmer befürchten dadurch einen sozialen Abstieg. Was dagegen helfen soll.

Raus aus dem Verbrennungsmotor, raus aus Kohle und Erdgas, rein in E-Mobilität, Öko-Energien, Wärmepumpen und grüne Stahlerzeugung: Der klimagerechte Umbau der Volkswirtschaft wirbelt etliche Branchen durcheinander. Bis 2045 muss Deutschland klimaneutral sein, bereits bis 2030 sollen die Treibhausgas-Emissionen um 65 Prozent unter das Niveau von 1990 sinken.

Dabei ist die Transformation kein Projekt, das irgendwann demnächst einmal auf Betriebe und Beschäftigte zukommen wird. Sie hat vielmehr schon jetzt sehr konkrete Auswirkungen auf einen Großteil der Arbeitnehmer in Deutschland und geht teilweise mit beträchtlichen Zukunftsängsten einher. Das zeigt eine Untersuchung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), die unserer Redaktion exklusiv vorliegt.

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Die Studie zeigt aber auch, dass die Sorgen der Beschäftigten abnehmen, wenn es im Betrieb Angebote zur Weiterbildung gibt und sich die Arbeitnehmer so besser auf Veränderungen einstellen können. Der DGB leitet daraus die Forderung an Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ab, beim geplanten Weiterbildungsgesetz nachzubessern. DGB-Chefin Yasmin Fahimi sagt: „Mit der vorgesehenen Bildungszeit soll allen Beschäftigten individuelle Weiterbildung ermöglicht werden. Damit dies funktioniert, muss sie aber besser ausgestaltet werden: Dazu gehört unbedingt ein Anspruch auf Freistellung für die Weiterbildung.“ Anders als von Heil vorgesehen soll der Chef also nicht zustimmen müssen, wenn sich ein Arbeitnehmer in eine Weiterbildung begeben will.

Die Transformation der deutschen Wirtschaft ist in vollem Gange - so wie hier bei Volkswagen in Zwickau, wo Elektroautos gefertigt werden.
Die Transformation der deutschen Wirtschaft ist in vollem Gange - so wie hier bei Volkswagen in Zwickau, wo Elektroautos gefertigt werden. © dpa | Hendrik Schmidt

Klimaschutz: Die Transformation der Industrie ist bereits im Gange

In der repräsentativen Beschäftigtenumfrage für den DGB-Index „Gute Arbeit“ gab jeder fünfte Befragte an, schon jetzt in hohem oder sehr hohem Maße bei der eigenen Arbeit mit Klimaschutz-Maßnahmen konfrontiert zu sein. Die Autoren betonen: „Sorgen um den Verlust des Arbeitsplatzes und einen möglichen sozialen Abstieg werden in Zeiten des Umbruchs größer.“

Dabei sind Beschäftigte aus verschiedenen Branchen bei ihrer Arbeit bislang in unterschiedlichem Umfang von Klimaschutzmaßnahmen betroffen: In der Ver- und Entsorgung berichtet jeder zweite, dass er in hohem oder sehr hohem Maße betroffen sei. Im Maschinen- und Fahrzeugbau sowie im Verkehrs- und Logistiksektor ist es rund jeder Dritte. Im Sozial- und Erziehungswesen hingegen trifft das nicht einmal auf einen von zehn Beschäftigten zu, im Gesundheitssektor sogar nur auf einen von 20.

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Wirtschaft in Deutschland: Ganze Branchen stehen vor dem Aus

Gerade für den Fahrzeugbau, Deutschlands wichtigste Industriebranche mit fast 800.000 direkt Beschäftigten, kommt der Befund wenig überraschend: Der Wandel dieses Wirtschaftszweiges ist bereits im vollen Gange, der Abschied vom klassischen Verbrennungsmotor ist beschlossene Sache. Unternehmen wie Volkswagen, Mercedes und BMW verfolgen ambitionierte Pläne zum Umstieg auf die Elektromobilität, was auch erhebliche Konsequenzen für die Zulieferindustrie hat. E-Autos sind deutlich weniger komplex als Fahrzeuge mit Benzin- oder Dieselmotor. Ganze Produktionsschritte fallen weg.

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    Diese Entwicklung steht gerade erst am Anfang und wird sich in den kommenden Jahren noch einmal dramatisch beschleunigen. Andere Branchen wiederum stehen wegen der Erfordernisse des Klimaschutzes ganz vor dem Aus – insbesondere die Kohleförderung und -verstromung, die in Deutschland spätestens 2038 enden sollen.

    Zusätzlich zur technologischen Transformation werden nahezu überall in der Industrie und im Dienstleistungssektor erhebliche Anstrengungen unternommen, um den Treibhausgas-Ausstoß zu verringern. Die Unternehmen vermindern gezielt ihren Energieeinsatz und organisieren Prozesse um. Auch das hat dann direkte Auswirkungen auf den Alltag der Beschäftigten.

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    DGB: Heil muss Gesetzentwurf dringend nachbessern

    Generell gilt laut DGB-Untersuchung: Je stärker die Klimaschutzmaßnahmen die eigene Arbeit betreffen, desto ausgeprägter sind die beruflichen Zukunftssorgen der Beschäftigten. Bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, bei denen der Klimaschutz noch keine Rolle spielt, machen sich nur 12 Prozent häufig oder sehr häufig Sorgen. Sind die Auswirkungen bereits in sehr hohem Maße spürbar, sind es 22 Prozent. Ohne betriebliche Weiterbildungsangebote machen sich 43 Prozent der Betroffenen häufig oder sehr häufig Sorgen um ihre berufliche Zukunft. Gibt es hingegen ein breites Qualifizierungsangebot, liegt der Anteil nur bei 11 Prozent.

    Yasmin Fahimi ist Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).
    Yasmin Fahimi ist Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). © Britta Pedersen/dpa

    DGB-Chefin Fahimi sagt: „Die Daten belegen, dass die ökologische Transformation schon heute einen großen Einfluss auf die Arbeitswelt hat. Qualifizierung und Weiterbildung sind dabei nicht nur wichtig für eine erfolgreiche Klimawende, sondern auch, um den Beschäftigten Zukunftssorgen zu nehmen.“

    Neben einem Rechtsanspruch auf Freistellung fordert die DGB-Chefin von Minister Heil auch, den vorgesehenen Zeitraum für eine Vollzeitweiterbildung von jetzt zwölf auf mindestens 24 Monate zu verlängern und berufliche Weiterbildungsabschlüsse einzubeziehen. „Außerdem muss es durch Tarifverträge möglich sein, das Bildungsgeld aufzustocken“, sagt Fahimi.

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    Arbeitsminister Heil hatte Mitte Januar seine Ideen für ein Weiterbildungsgesetz skizziert. Nach österreichischem Vorbild sollen Beschäftigte künftig in bezahlte Weiterbildung gehen können, sofern der Arbeitgeber zustimmt. Während dieser Zeit soll es finanzielle Unterstützung von der Bundesagentur in Höhe des Arbeitslosengeldes geben. Der Gesetzentwurf befindet sich gerade in der Ressortabstimmung. Heil will mit dem Weiterbildungsgesetz den Strukturwandel in Deutschland flankieren. Das Gesetz soll auch dabei helfen, den Fachkräftemangel zu mindern.

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