Mühlrose. Mühlrose in der Lausitz soll der Braunkohle weichen. Doch ist das wirklich nötig? Günter Zech und seine Frau wollen nicht gehen.

Man hört Günter Zech seine Heimat an. Wenn Zech über Mühlrose spricht, das Dorf, in dem er geboren wurde und in dem er sein Leben verbracht hat, dann rollt das R im Oberlausitzer Dialekt über seine Zunge. Es rollt umso stärker, je wütender er wird. Und Günter Zech ist sehr wütend. Denn Mühlrose soll verschwinden. Als letzter Ort in Deutschland, der der Kohle geopfert wird.

Mühlrose in der Lausitz: Dorf soll der Kohle geopfert werden – ein Betroffener berichtet

Zech ist 84, er geht langsam. Wenn Besuch kommt, dauert es, bis er an der Tür angelangt ist, um zu öffnen. Aber wie er da in der Tür seines Hauses steht, auf seinen Gehstock gelehnt, steht er aufrecht. Noch ist Kraft da, um zu kämpfen. Kraft, und Wut. „In Lützerath haben sie so einen Aufstand gemacht“, sagt Zech, und das R rollt. „Und hier sagt keiner was!“

„Hier“ liegt gut 40 Minuten Autofahrt südlich von Cottbus, am nördlichen Rand Sachsens: Eine Hand voll Straßen, ein Feuerwehrhaus, ein Gemeindehaus mit Kegelbahn, das ist Mühlrose in der Lausitz, Miłoraz auf Sorbisch. Rund 200 Menschen lebten hier noch vor kurzem. Inzwischen sind es weniger – die ersten sind schon weg. Denn das Dorf steht am Rande des Tagebaus Nochten, und seiner Ausweitung im Weg. Die LEAG, die hier Braunkohle fördert und verbrennt, will Mühlrose abreißen. Doch Günter Zech und seine Frau wollen bleiben.

Günter Zech in seinem Haus in Mühlrose. Der 84-Jährige will der Kohle nicht weichen.
Günter Zech in seinem Haus in Mühlrose. Der 84-Jährige will der Kohle nicht weichen. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

„Rettet unser schönes Mühlrose!“ – 84-Jähriger kämpft gegen Umsiedlung von Mühlrose

Den vierseitigen Hof, auf dem sie wohnen, hat 1910 sein Großvater gebaut, erzählt Zech. Später haben er und sein Vater das Gebäude ausgebaut, modernisiert in jahrelanger Arbeit. Mit dem Enkel des Ehepaars sind es nun vier Generationen Zechs, die das Gebäude mit den rötlichen Backsteinmauern gesehen hat. Außen am Haus hängt heute das gelbe Holzkreuz, das zum Symbol des Kampfs gegen die Kohle geworden ist, daneben ein großes Transparent. „Rettet unser schönes Mühlrose!“, steht da, und drunter, in roten Buchstaben: „Wir bleiben!“

Aber es gibt auch andere Schilder an anderen Häusern in Mühlrose, solche, die erklären, dass die ehemaligen Besitzer ihr Haus verkauft haben, dass die Zukunft des Ortes aus ihrer Sicht im Nachbardorf Schleife liegt. Dahin sollen die Bewohnerinnen und Bewohner umsiedeln, so sieht es ein Vertrag zwischen der LEAG, die den Tagebau und das nahe Kohlekraftwerk Boxberg betreibt, und den betroffenen Gemeinden vor. Bis 2024 soll die Umsiedlung abgeschlossen sein.

Dorf in der Lausitz soll verschwinden: Energiekonzern LEAG kauft Häuser und reißt sie ab

In Schleife werden neue Grundstücke erschlossen. Die Häuser in Mühlrose kauft dafür die LEAG – und reißt sie ab. „Unser Haus geht, weil wir gehen“, heißt es auf einem Schild an einem Gartentor, die Eigentümer verbitten sich weitere Kaufangebote.

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© FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

Und viele Häuser sind schon gegangen. Gegenüber vom Gemeindehaus steht noch ein niedriges Gartentor aus Metall. Doch es bietet keinen Zugang zu mehr zu irgendetwas. Hinter dem kleinen Tor liegt ein leeres Grundstück, überzogen von einer dünnen, grün-braunen Schicht aus Unkraut und Laub, wie eine kaum verheilte Narbe.

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Mühlrose in der Lausitz: Abriss ohne Genehmigung für Kohleabbau –Günter Zech empört

Überall im Dorf gibt es solche Leerstellen, klaffende Lücken zwischen Gärten, in denen noch immer Kindertrampoline stehen und Hühner durch die Büsche staksen. „Ohne Genehmigung, dass die Kohle überhaupt gefördert werden kann!“, sagt Günter Zech, und schwenkt seinen Gehstock von rechts nach links, wie um seine Worte zu unterstreichen. „Warum lässt man sowas zu?“ In seiner Stimme ist die Empörung zu hören, und auch die Hilflosigkeit. „Die LEAG kann machen, was sie will!“

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Dorf in der Lausitz soll der Kohle weichen: Pfarrerin bezeichnet Vorhaben als "grausam"

Tatsächlich ist eine Genehmigung für den Abbau der Kohle im sogenannten Sonderfeld Mühlrose noch nicht einmal beantragt – man werde den Antrag „rechtzeitig bei der zuständigen Bergbehörde einreichen“, heißt es auf Anfrage vom Unternehmen. Doch der Abriss hat längst begonnen. Zechs und eine Hand voll andere wollen nicht gehen, werden nicht verkaufen. Ihre Heimat verlieren sie trotzdem. Um sie herum stirbt ihr Dorf.

„Das ist, man kann es nicht anders sagen, grausam“, sagt Jadwiga Mahling. Sie ist evangelische Pfarrerin im Kirchspiel Schleife, auch Mühlrose gehört zu ihrer Gemeinde. Der Ort, sagt sie, ist nur das jüngste Beispiel einer langen Geschichte der Entwurzelung. „Das ist das große Elend des sorbischen Volkes“, sagt Mahling über das Volk, das mit seiner eigenen Sprache und Kultur in der Lausitz zuhause ist.

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Mühlrose und seine Geschichte: Deshalb ist das Dorf in der Lausitz von großer Bedeutung

Sie stammt selbst aus der Region, trägt das sorbische Erbe der Gegend als Perlenstickereien auf ihren Ärmeln am Handgelenk. Mehr als 130 Dörfer, erzählt sie, wurden in der Lausitz umgesiedelt, um Platz zu machen für die Kohle. Die ehemaligen Bewohner verschlug es während der DDR-Zeit nach Weißwasser, Spremberg, Hoyerswerda oder Cottbus in Wohnblöcke. Dorfgemeinschaften lösten sich auf, Traditionen gerieten in Vergessenheit.

„Der Braunkohletagebau hat zum Aussterben des sorbischen Volkes beigetragen“, sagt Mahling. Mühlrose könnte das nächste Kapitel dieser Geschichte werden, der nächste Verlust. Doch es muss nicht so kommen.

Pfarrerin Jadwiga Mahling sieht in Mühlrose das jüngste Beispiel einer langen Geschichte der Entwurzelung.
Pfarrerin Jadwiga Mahling sieht in Mühlrose das jüngste Beispiel einer langen Geschichte der Entwurzelung. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

Dörfer werden für Kohleabbau abgerissen: Ist das notwendig? Studie überrascht

Denn bislang fehlt nicht nur eine Genehmigung für das Abbaggern der Kohle. Es ist auch keineswegs sicher, dass diese erteilt würde. Es gebe „keinerlei Automatismus“ betont der sächsische Umweltminister Wolfram Günther (Grüne). Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin kam schon 2021 zu dem Schluss, dass selbst bei einem Kohleausstieg erst 2038 die Kohle unter Mühlrose nicht gebraucht würde.

Und ob bis dahin tatsächlich noch Kohle verstromt wird, ist fraglich. Im Bundeswirtschaftsministerium sieht man in der Vereinbarung mit RWE über einen Kohleausstieg 2030 im Rheinland ein Musterbeispiel auch für die Zukunft der Lausitz. Man sei im Gespräch mit der LEAG, heißt es auf Anfrage aus dem Haus von Robert Habeck.

Zoff über Kohleausstieg: Müssen Dörfer jetzt noch weichen? Ende der Kohle naht

Auch ohne vorgezogene Vereinbarung könnten die Kraftwerke in der Lausitz lange vor 2038 stillstehen: Die Bundesnetzagentur geht in ihrem jüngsten Bericht zur Versorgungssicherheit davon aus, dass die steigenden europäischen CO2-Preise Kohlestrom in den nächsten Jahren so unrentabel machen werden, dass Kohlekraftwerke „größtenteils vor dem Jahr 2030“ aus dem Markt gedrängt werden.

Selbst LEAG-Chef Thorsten Kramer räumte kürzlich zum ersten Mal öffentlich ein, dass das Unternehmen möglicherweise schon 2033 nicht mehr von der Kohle leben werde. Auch der Konzern setzt langfristig auf andere Energieformen: Neues Vorzeigeprojekt soll die „Gigawattfactory“ werden, Solar- und Windkraftanlagen auf ehemaligen Tagebauflächen, die insgesamt einmal sieben Gigawatt Energie liefern sollen.

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Die Zeichen mehren sich, dass das Ende der Kohle in der Lausitz längst näher ist als noch wenigen Jahren gedacht. Und trotzdem fällt in Mühlrose ein Haus ums andere den Baggern zum Opfer. Warum hat ein Konzern, der nach eigenen Angaben an der „grünen Zukunft“ der Region baut, es so eilig, ein Dorf abzureißen, das möglicherweise blieben könnte?

Mühlrose: Dorf in der Lausitz soll verschwinden – Kohle-Gegner vermuten diesen Grund

Christopher Laumanns hat eine Vermutung: „Man will sich jetzt möglichst weitgehende Zusagen von der Landesregierung sichern, um später eine möglichst große Entschädigung rauszuholen, wenn der Kohleausstieg 2030 kommen sollte“, sagt der Sprecher der Initiative Alle Dörfer Bleiben. „Und da ist eine große, leere Fläche attraktiver und unproblematischer als ein halbleeres Dorf und ein langer Konflikt.“ Wo keine Häuser mehr stehen, können auch keine besetzt werden. Langwierige, öffentlichkeitswirksame Kämpfe wie zuletzt in Lützerath können so vermieden werden. Und auch die Verhandlungsposition für eine mögliche Einigung mit Bundes- und Landesregierung wäre besser.

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Alle Dörfer Bleiben sieht die Landesregierung in der Verantwortung, den Abriss zu beenden: „Es gibt keine rechtliche, keine wissenschaftliche, keine energiewirtschaftliche Grundlage dafür, dieses Dorf abzureißen“, sagt Laumanns. „Wir brauchen Klarheit, dass das Sonderfeld Mühlrose nicht kommt.“

Kohleausstieg vor 20233: Für Mühlrose in der Lausitz könnte es zu spät sein

Die LEAG verweist nur auf die „mehrheitlich von den Mühlrosern gewollte“ Umsiedlung. Bei 80 Prozent der Bauparzellen am neuen Standort sei der Hausbau im Gang oder bereits abgeschlossen, der „Rückbau“ der Gebäude im alten Ort erfolge „zeitnah“.

Um Übrigen, so ein Sprecher des Unternehmens, gebe es „Bedingungen und Voraussetzungen für einen vorgezogenen Kohleausstieg“ auch in der Lausitz, unter anderem der Ausbau von Erneuerbaren Energien, Stromnetzen und -speichern. Erst wenn das erledigt sei, so der Tenor, könne man über einen früheren Ausstieg und auch die Bergbauplanung im Revier reden. Für Günter Zech und sein Dorf dürfte es bis dahin zu spät sein.