Brüssel. Der erwartete Großangriff Russlands in der Ostukraine hat begonnen. Wie die Ukraine zurück schlagen will und wer welche Chancen hat.

Heftige Kämpfe um Bachmut, doch das Schlimmste steht der Ukraine noch bevor: Westliche Geheimdienste haben Hinweise, dass Russland seine neue Offensive im Donbas mit schweren Luftangriffen begleiten will, gegen die die ukrainische Abwehr nicht ausreichend gerüstet ist.

Kampfjets und Hubschrauber sind demnach an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen worden. Es ist ein neues Signal, dass Russlands Präsident Wladimir Putin eine neue Schlacht beginnt, um den Donbas vollständig zu erobern und womöglich auch mehr. Die Ukraine bereitet einen Gegenangriff vor, aber westliche Militärs sind nervös: Kommt die neue Waffenhilfe zu spät? Die Lage, was Moskau und Kiew jetzt planen, wie es weitergehen könnte.

Ukraine-Krieg: So ist die Lage in Bachmut

Im umkämpften Bachmut im Osten geraten die ukrainischen Streitkräfte immer stärker unter Druck. Offenbar will Putin nach siebenmonatigen Kämpfen in der Region eine Entscheidung bis zum 24. Februar, dem Jahrestag des Kriegsbeginns, erzwingen – um einen symbolischen, wenn auch strategisch wenig bedeutsamen Erfolg feiern zu können.

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Die russische Söldnertruppe Wagner behauptet, sie habe einen Vorort eingenommen und rücke nun ins Zentrum vor. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigt sich entschlossen, die Stellung zu halten. Beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel sprach US-Generalstabschef Mark Milley von einer „großen Abnutzungsschlacht“ mit sehr hohen Verlusten. Lesen Sie auch: Krieg: Warum der Ukraine entscheidende Rückschläge drohen

Es gebe immer neue Angriffswellen, viele Gefechte und extrem hohe Verluste, aber die Frontlinie sei „ziemlich stabil“. Die Lage wird aber zunehmend unübersichtlich: Es gibt Berichte, nach denen die ukrainischen Streitkräfte eine Brücke in der Umgebung Bachmut gesprengt haben – was ein Zeichen für einen Rückzug sein könnte. Andererseits erklärt der Chef der Wagner-Gruppe, Jewegenij Prigoschin, der Kampf sei noch lange nicht vorbei: „Bachmut wird morgen nicht genommen, weil es starken Widerstand und Mahlen gibt, der Fleischwolf arbeitet. Wir werden in naher Zukunft nicht feiern.“

So läuft die russische Offensive

Nato-Militärs gehen davon aus, dass der lang erwartete Großangriff Russlands begonnen hat – nicht als schnelle Invasion, sondern mit schrittweiser Steigerung der Intensität. Russland bringt große Mengen Material an die Front, die Luftwaffe eingeschlossen, und prüft mit Vorstößen Schwachstellen der ukrainischen Verteidigung. „Wir sehen den Beginn der Offensive, Russland schickt tausend und abertausende Soldaten“, sagt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Die Truppen seien oftmals schlecht ausgebildet und schlecht ausgerüstet, aber „was an Qualität fehlt, versuchen sie mit Quantität auszugleichen.“ An vielen Abschnitten der Front fehle Kampfkraft für durchschlagende Wirkung, bilanziert der britische Geheimdienst. Seit September hat Russland rund 250.000 bis 300.000 Soldaten zusätzlich mobilisiert, etwa die Hälfte ist bereits an der Front, die andere Hälfte hält sich einsatzbereit.

Der US-Militäranalyst Michael Kofman meint, Moskau habe die Stärke der eingesetzten Streitkräfte verdoppelt, gleichzeitig die Länge der Front mit dem Rückzug aus Cherson erheblich verkürzt und damit seine Linien verstärkt. Das Ziel ist offenbar weiterhin die Einnahme der gesamten Regionen Luhansk und Donezk. Putin hatte eine Eroberung des Donbas bis März befohlen. Nicht nur deshalb steht die Armee unter Zeitdruck: Sie will auch Erfolge erzielen, bevor in einigen Wochen westliche Kampfpanzer aufs Schlachtfeld rollen. Westliche Militärs sehen keine Anzeichen, dass Putin erneut auch die Einnahme der Hauptstadt Kiew plant.

Ukrainische Soldaten feuern einen 120-mm-Mörser auf russische Stellungen an der Frontlinie in der Nähe von Bachmut.
Ukrainische Soldaten feuern einen 120-mm-Mörser auf russische Stellungen an der Frontlinie in der Nähe von Bachmut. © dpa | Evgeniy Maloletka

Diesen Feldzug plant die Ukraine:

Eine Offensive der Ukraine, um die russische Besatzer zurückzudrängen, ist längst vorbereitet. „Das ist nur noch wenige Wochen entfernt“, erklärte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Brüssel und ergänzte mit Blick auf die Waffenhilfe: „Also haben wir noch viel zu tun.“ Militärexperten rechnen damit, dass die Armee vor allem im Süden versuchen wird, in russisch besetztes Gebiet einzudringen und dort die Linien zu durchbrechen – so könne die Armee bis ans Schwarze Meer vorrücken und den russischen Landkorridor zur Krim unterbrechen. Die Armee könnte auch versuchen, im Norden von Luhansk die Russen zurückdrängen. Bis dahin ist es das Ziel, russische Angriffe mit weitreichender Artillerie und Panzerabwehrwaffen abzuwehren, ohne die eigenen Kräfte zu verschleißen.

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Militäranalyst Kofman vermutet, die Ukraine werde vorstoßen, wenn die Angreifer wieder schwächer würden. Gut möglich, dass die modernen westlichen Kampfpanzer, die frühestens ab April in größerer Zahl erwartet werden, dafür nicht rechtzeitig ankommen. Aber: Im Wissen, dass Nachschub auf dem Weg sei, könne die ukrainische Armee ihr Material besser nutzen und eher Verluste ihrer alten Sowjet-Panzer riskieren, meint Kofman.

Einstweilen gilt in der Nato, der Ukraine vor allem mit dringend benötigter Munition und mit mehr Luftabwehrwaffen zu helfen. Nato-Militärs berichten, Russland habe seine Luftwaffe bisher sorgsam geschont, 80 Prozent der Kapazität seien noch vorhanden – dieses Potenzial will Moskau jetzt offenbar nutzen. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) meint, die Sicherung des ukrainischen Luftraums für die nächsten drei, vier Monate habe jetzt Vorrang vor allem anderen.

Das kommt nach den Offensiven:

Verlustreiche Schlachten im Ukraine-Krieg sind wahrscheinlich, wie sie ausgehen, gilt als offen. Die Mehrzahl der Militärexperten rechnet damit, dass weder Russland noch die Ukraine in den nächsten Monaten einen großen Durchbruch erzielen. Der Großteil der Front ist durch starke Verteidigungslinien gesichert, Russen und Ukraine haben sich dort eingegraben. Nach dem absehbaren Patt gibt es vor allem zwei Szenarien: Entweder bemühen sich Kiew und Moskau um einen Waffenstillstand – oder sie führen einen Stellungskrieg wie im Ersten Weltkrieg, der noch Jahre andauern könnte. Auch interessant:Ukraine-Krieg: Selenskyj stimmt Ukraine auf Putins Rache ein

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