Berlin. Eine Frauenquote für den Bundestag soll das deutsche Parlament in Zukunft weiblicher machen. Wie aber kann die Quote umgesetzt werden?

Anne-Marie Descôtes kennt die Deutschen gut. Seit zwei Jahren ist die Französin Botschafterin in Berlin. Das, was sie in diesen Tagen dort hört, findet sie gut: Die Deutschen diskutieren zum ersten Mal konkret und breit über eine Frauenquote im Bundestag.

In Frankreich haben sie die schon lange. Und weil Descôtes weiß, wie gründlich die Bundesbürger sein können, ist sie optimistisch, dass es kein Strohfeuer ist: „Wenn in Deutschland eine Debatte losgeht, dann richtig. Ich mache mir da keine Sorgen.“

Aber wieso gerade jetzt? Weil gleich drei Dinge zusammenkommen: Im Bundestag sitzen seit der letzten Wahl noch weniger Frauen als vorher – die Zahl der weiblichen Abgeordneten ist von gut 37 auf knapp 31 Prozent abgestürzt.

Braucht das Wahlrecht eine Reform?

Es ist ein Armutszeugnis für ein Parlament, das gerade erst der Wirtschaft eine Frauenquote verordnet hatte. Der zweite Grund: Das Wahlrecht muss in den Augen vieler Politiker sowieso reformiert werden, der Bundestag ist zu groß geworden. Es wäre der ideale Zeitpunkt, um eine Frauenquote fürs Parlament festzulegen.

Drittens jährt sich an diesem Samstag ein historischer Moment: Am 19. Januar 1919 gingen zum ersten Mal in Deutschland Frauen zur Wahl.

Doch wie soll das funktionieren mit der Quote? Relativ einfach wäre es, die Parteien dazu zu bringen, ihre Wahllisten in Zukunft nach dem Reißverschlussverfahren zu besetzen – also abwechselnd mit Frauen und Männern. Parteien, die das nicht schaffen oder nicht wollen, müssten dann möglicherweise, quasi als Strafe, auf öffentliche Gelder verzichten.

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Doppelte Wahlkreisbesetzung im Gespräch

Ob eine solche Zwangsmaßnahme verfassungsfest wäre, ist jedoch umstritten. Sie würde zudem das Problem nur verkleinern, aber nicht lösen. Denn der hohe Männeranteil im Parlament liegt auch daran, dass so viele Männer über Direktmandate in den Bundestag gewählt werden. Ohne die Regeln in den Wahlkreisen zu ändern, ließe sich also keine zahlenmäßige Gleichstellung von Frauen und Männern im Bundestag erreichen.

Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) hat deswegen nach französischem Vorbild die doppelte Besetzung von Wahlkreisen mit einem weiblichen und einem männlichen Spitzenkandidaten ins Gespräch gebracht.

Oppermann will das Parlament auch kleiner machen

Parteien, die vor Ort Direktkandidaten aufstellen, müssten dann in Zukunft jeweils mit einem gemischten Duo in den Wahlkampf ziehen. Um zu verhindern, dass der Bundestag dadurch doppelt so groß würde, müsste zugleich die Zahl der Wahlkreise halbiert werden.

Bar­leys­ Parteifreund Thomas Oppermann, Vizepräsident des Bundestags, hat bereits ein konkretes Konzept vor Augen: Er will in einer großen Wahlrechtsreform das Parlament gleichzeitig kleiner und weiblicher machen: Von der übernächsten Bundestagswahl an sollte demnach die Zahl der Wahlkreise von jetzt 299 auf künftig 120 reduziert werden – dafür könnten die Bürger in jedem Wahlkreis zwei Direktkandidaten, einen Mann und eine Frau, wählen.

Frauenquote: Darum ist das umstrittene Gesetz fast wirkungslos

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    Baerbock fordert parteiübergreifende Initiative

    In der Union gibt es durchaus Sympathie für die Idee einer gesetzlichen Frauenquote. CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer nutzt die anschwellende Debatte bislang aber vor allem, um Druck auf die eigenen Reihen zu machen.

    Die Union, findet sie, müsse mit mehr Frauen in die Wahlkämpfe ziehen: „Wenn wir es in der Partei nicht hinkriegen, dann bekommen wir die Debatte über das Wahlrecht.“

    Klar ist: Wenn CDU und CSU freiwillig mehr Frauen ins Parlament schicken würden, wäre die 50/50-Quote auch ohne Zwang schneller erreicht. Denn nach der AfD, die nur zehn Prozent weibliche Abgeordnete hat, ist die Union (mit knapp 20 Prozent Frauen) am weitesten von einer ausgeglichenen Quote entfernt.

    Die FDP kommt auf rund 23 Prozent, die SPD auf 42 Prozent. Bei Grünen und Linken liegt der Frauenanteil bereits jetzt bei über 50 Prozent.

    Grünen-Chefin will handeln

    Grünen-Chefin Annalena Baerbock will nicht länger warten. Sie forderte am Donnerstag eine parteiübergreifende Reform: „100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts ist es an der Zeit, für mehr Gleichberechtigung in den Parlamenten zu sorgen“, sagte Baerbock unserer Redaktion.

    Sie verwies dabei auf den grundgesetzlichen Auftrag nach Artikel 3: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

    Jetzt, so Baerbock, wäre der Moment für eine fraktionsübergreifende Initiative, die das Grundgesetz mit Leben fülle. „Viele haben ja schon signalisiert, dass sie den Änderungsbedarf sehen, jetzt geht es darum, zu handeln.“

    Die FDP hätte sie dabei nicht im Boot: Zwar finden die Liberalen es falsch, dass der Anteil der Frauen im Bundestag so gering ist. „Dieses Problem lässt sich aber nicht mit gesetzlichem Zwang beheben“, so Fraktionsgeschäftsführer Stefan Ruppert. „Wählerinnen und Wählern vorschreiben zu wollen, welches Geschlecht ihre Abgeordneten haben müssen, wäre eine Beschränkung der freien Wahl.“