Berlin. Die CDU kriegt am Freitag womöglich erneut eine Chefin. Doch wie viel Einfluss haben Frauen wirklich auf die Politik? Eine Analyse.

Frauen sind zäh. Sie gebären Kinder, sie können drei Dinge gleichzeitig erledigen, sie leben meistens auch länger. Und: Sind Frauen einmal an der Macht, können sie locker ganze Männergenerationen überleben.

Die Queen regiert seit 66 Jahren, die deutsche Bundeskanzlerin immerhin seit 13 Jahren, seit fast zwei Jahrzehnten ist sie Parteichefin der CDU. Fragen Sie mal x-beliebige Schüler, wer vor Angela Merkel diese Ämter innehatte. Eben. Das war graue Vorzeit.

Merkel ist die erste Frau im Amt. Und sie hat es geprägt: Deutschland und die Welt haben sich so sehr an eine Bundeskanzlerin gewöhnt, dass der Begriff „Kanzler“, wenn man genau hinhört, einen fast schon historischen Beiklang hat. Kanzler – das klingt nach Bismarck, Adenauer, Brandt und Kohl, aber nur noch schwach nach einem politischen Amt im 21. Jahrhundert.

Bald Bundeskanzlerin Annegret Kramp-Karrenbauer?

„Bundeskanzlerinmerkel“ dagegen ist ein Wort, das nicht nur bei Nachrichtensprechern inzwischen so tief im Stammhirn gespeichert ist, dass jede neue Kombination erst nach logopädischem Intensivtraining locker über die Lippen gehen dürfte.

(Sollte es am Ende gar eine Bundeskanzlerin Annegret Kramp-Karrenbauer geben, müsste wahrscheinlich sogar die übliche Sendezeit ausgedehnt werden. Oder sagen die Nachrichtensprecher dann abgekürzt „Kanzlerin AKK“ oder gleich „KKK“?).

Ende der Ära Merkel: Die sieben wichtigsten Szenen der letzten zwei Jahre

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    Kann sich CDU keinen Mann mehr an der Spitze vorstellen?

    Doch so weit ist es noch nicht, auch wenn die einzige weibliche Bewerberin um die Nachfolge von Angela Merkel an der Parteispitze in vielen Umfragen vor ihren Mitbewerbern Friedrich Merz und Jens Spahn landet. Alle wichtigen Informationen zum CDU-Parteitag in Hamburg.

    Liegt das am Faktor Frau? Kann sich die Partei nach 18 Jahren mit Merkel keinen Mann mehr an der Spitze vorstellen? Oder anders gefragt: Hat Merkel das Über-Ich der CDU und des ganzen Landes so beeinflusst, dass es sich nach einer zweiten Merkel sehnt? Noch ist die Entscheidung nicht gefallen, aber sicher ist: Der Faktor Frau spielt eine Rolle. Aber anders als vermutet.

    Die CDU ist eine Frauenpartei – mehr als der SPD lieb ist

    Am kommenden Freitag wählen 1001 Delegierte der CDU die neue Parteispitze – rund ein Drittel davon sind Frauen. Die Frauen-Union hat sich bereits öffentlich hinter AKK gestellt, der Wirtschaftsflügel ist für Merz. Der Sozialflügel hält sich die Sache offen.

    Am Ende, das weiß man von emotionalen Parteitagen, kommt es jedoch mehr auf die Tagesform der Kandidaten an als auf das wochenlange Schaulaufen zuvor. Ist der Faktor Frau am Ende also vollkommen wurscht? Nein. Denn: Die CDU ist eine Frauenpartei. Und zwar mehr, als ihrer Konkurrenz lieb ist.

    CDU hat ältere Wähler – und Frauen leben nun mal länger

    Ohne die weiblichen Wähler wäre die CDU in den vergangenen Jahrzehnten nicht so erfolgreich gewesen, wie sie war. Von 100 Personen, die bei der Bundestagswahl 2017 ihr Kreuz bei der CDU machten, waren 57 Frauen. „Frauen wählen überproportional CDU und Grüne“, sagt Meinungsforscherin Renate Köcher. Und, bitter für die SPD: Hier unterscheiden sich die Vorlieben von Männern und Frauen kaum – „obwohl die SPD weitaus mehr als die CDU als Anwalt von Gleichberechtigung gesehen wird“.

    Annegret Kramp-Karrenbauer im Reuters-Interview

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      Köcher ist Chefin des Allensbach-Instituts, die einzige prominente Frau im Kreis der deutschen Meinungsforscher. Wer wissen will, warum der Faktor Frau gerade bei der CDU so wirksam ist, bekommt eine klare Antwort: „Zum einen identifizieren sich Frauen deutlich stärker als Männer mit dem C, die religiöse Kultur wird weitaus mehr von Frauen als von Männern getragen.“

      Zudem gebe es einen demografischen Effekt: „Die CDU hat überdurchschnittliche Ergebnisse bei älteren Wählern, und dort stellen Frauen aufgrund der unterschiedlichen Lebenserwartung einen höheren Anteil.“ Und schließlich: „In den letzten Jahren hatte Frau Merkel bei Frauen meist einen stärkeren Rückhalt als bei Männern.“

      Politik machen in der CDU aber vor allem Männer

      Die hohe Zustimmung gerade bei Frauen ist kein neues Phänomen: Seit den 50er-Jahren ist die Union fast durchgehend eine von Frauen bevorzugt gewählte Partei. Schaut man dagegen auf die Funktionäre, die Abgeordneten und Delegierten, sieht man Heerscharen von Männern an sich vorbeiziehen. Mit anderen Worten: Die CDU ist die Partei, bei der vor allem Männer Politik machen – und dafür besonders oft von Frauen gewählt wird.

      Wozu also, mag sich mancher fragen, wieder eine Parteichefin wählen – und nicht einen Parteichef? Zumal die Sehnsucht vieler Konservativer in der CDU geradezu nach einem Mann als Merkel-Nachfolger schreit.

      Spitzenjobs in der Politik von Männern dominiert

      Sollte am Ende Friedrich Merz das Rennen machen, hat zumindest eine schon mal eine Erklärung dafür: Julia Klöckner, eine von Merkels Stellvertreterinnen im CDU-Parteivorsitz, glaubt, „wenn immer mehr Frauen in Führungspositionen in der Politik sind, dass sich Männer nach Männern als Führungsperson sehnen“. Und zwar deshalb, „weil sie schlichtweg über Jahrzehnte ein anderes Bild gewohnt waren“.

      Das mit dem gewohnten Bild stimmt. Aber stimmt es auch, dass es jetzt ein neues, gewöhnungsbedürftiges Bild gibt, mit immer mehr Frauen in Führungspositionen? Für die Spitzenjobs in der Politik gilt ein klares Nein. Der Bundespräsident ist ein Mann. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts ist ein Mann. Auch der Bundestagspräsident ist ein Mann.

      Theresa May und Angela Merkel sind international Ausnahmen

      In 14 von 16 Bundesländern regieren Männer – und die beiden verbliebenen Ministerpräsidentinnen sind, nun ja, nicht gerade die Chefinnen der ganz großen Player unter den Ländern: Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz, beide SPD.

      Und international? Außer Theresa May und Angela Merkel gibt es keine einzige Regierungschefin von weltpolitischer Bedeutung, stattdessen Typen wie Trump, Putin und Erdogan.

      Merkel will mehr Frauen in Führungspositionen

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        Selbst FDP diskutiert nun über Frauenquote

        Gut, in Deutschland haben die SPD, die Linke und die Grünen Parteichefinnen. Und Quoten, um mehr Frauen in politische Ämter zu bringen. Auch in der FDP diskutieren sie inzwischen über eine Quote, weil der Frauenanteil bei Wählern, Mitgliedern und Abgeordneten so klein ist.

        Doch gerade die Frauen in der Parteiführung sind gegen die Quote. Eine Doppelspitze, wie Linke und Grüne sie haben, kann sich Parteichef Christian Lindner zwar vorstellen – aber bitteschön erst nach seiner Zeit als Chef.

        Merkels Regierungszeit stellte Frauen besser

        Und die CDU? Hat immerhin seit Jahren eine weibliche Doppelspitze – oder nein, falsch: eine doppelte Spitzenfrau. Merkel rangiert mehrmals täglich zwischen dem Job als Parteichefin und als Kanzlerin hin und her – und man muss kein Merkel-Fan sein, um anzuerkennen, dass sie dabei auf eine souveräne Weise uneitel geblieben ist.

        Wer dennoch bei Merkel die sichtbar weibliche Attitüde vermisst, sollte nicht vergessen, dass die letzten 13 Jahre ihrer Regierungszeit für viele Frauen gute Jahre waren – vor allem mit Blick auf die frauenpolitischen Forderungen der linken Parteien.

        Merkel hat für Frauen einiges erreicht

        Vieles von dem, was SPD-Frauen unter ihren eigenen Kanzlern nicht durchsetzen konnten, ist unter Bundeskanzlerinmerkel in Kraft getreten. Die Frauenquote für die Aufsichtsräte. Der Grundsatz „Nein heißt Nein“ im Sexualstrafrecht. Die Einführung von Elterngeld und Elternzeit.

        Merkel hat sich gerade so viel für Frauenpolitik interessiert, dass es reichte, um bei den Frauen Punkte zu machen – aber nicht so viel, dass sie in den Verdacht geraten wäre, als Nächstes vom Balkon des Kanzleramts die feministische Republik auszurufen.

        Frauen interessieren sich weniger für Politik als Männer

        Denn das hätten viele Frauen wohl weder mitbekommen noch gutgeheißen. Denn: Frauen gehen zwar genauso zahlreich wählen wie Männer. Doch sie sind oft nicht bei der Sache: „Es ist bedauerlich, dass Frauen sich nach wie vor weniger als Männer überhaupt für Politik interessieren“, sagt Meinungsforscherin Köcher.

        Nur 44 Prozent der Frauen, aber immerhin 61 Prozent der Männer stufen sich als politisch interessiert ein. „Auch bei jungen Männern und Frauen ist die Diskrepanz vergleichbar groß.“ Die erste Frau im Kanzleramt hat daran nichts geändert.