Berlin. Russlands Außenminister setzt beim Besuch in Berlin auf deutsche Wiederaufbauhilfe für Syrien. Maas warnt vor einer Großoffensive.

Es klingt wie ein Friedensappell in letzter Minute. Ein Chemiewaffenangriff in der nordwestsyrischen Provinz Idlib müsse unter allen Umständen verhindert werden, mahnt Außenminister Heiko Maas (SPD). „Russland verfügt über die Möglichkeiten, auf das syrische Regime einzuwirken.“ Man baue darauf, dass diese jetzt genutzt werden, sagt er bei der Pressekonferenz im Außenministerium am Freitagnachmittag.

Er redet ruhig, klar. Neben ihm steht sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow mit bewegungsloser Miene. Man wolle die „Risiken für die Zivilbevölkerung minimieren“, verspricht er. Trotzdem müsse der Kampf gegen die letzten verbliebenen islamistischen Terroristen in Idlib fortgesetzt werden. Vor wenigen Tagen hatte er von einer „Eiterbeule“ gesprochen, die beseitigt werden müsse. In weiten Teilen des Landes sei die Lage unter Kontrolle, meint Lawrow. Alles zusammen deutliche Indizien, dass eine große Militäraktion bevorsteht.

Vereinte Nationen rechnen mit 900.000 Flüchtlingen

Die syrischen Regierungstruppen haben die Provinz Idlib eingekesselt, die letzte Rebellenhochburg in dem seit 2011 von Bürgerkrieg geschüttelten Land. 60.000 bis 70.000 Kämpfer haben sich dort verschanzt, schätzen Experten. Die Hälfte davon soll aus islamistischen Milizen bestehen. Syrien und seine Schutzmacht Russland haben eine große Bodenoffensive angekündigt, die jederzeit starten kann. Die US-Regierung befürchtet den Einsatz von Giftgas durch die syrische Armee. Sie hat für diesen Fall bei der Bundesregierung eine deutsche Beteiligung an einem Militärschlag angefragt. Die Vereinten Nationen rechnen mit bis zu 900.000 Flüchtlingen.

In Berlin weist Lawrow Vorwürfe zurück, die syrischen Regierungstruppen wollten bei einer Großoffensive Giftgas einsetzen. „Es gibt keinen einzigen Nachweis, dass die Regierung sich auf so etwas vorbereitet“, sagt Lawrow auf einer Diskussionsveranstaltung vor dem Gespräch mit Maas. Den USA kreidet Lawrow an, mit solchen Spekulationen einen Giftgaseinsatz von Rebellengruppen in Idlib zu provozieren. Es sei „eine Einladung an die Extremisten, eine weitere Inszenierung auf die Bühne zu bringen“, um damit den Grund für Luftangriffe auf Regierungstruppen zu liefern.

Bundesregierung: Geld für Syrien nur gegen freie Wahlen

Mit Blick auf die Bundesregierung packt die russische Führung die Samthandschuhe aus. Moskau ist an milliardenschwerer Aufbauhilfe für Syrien interessiert, sollte der Krieg eines Tages vorbei sein. Präsident Wladimir Putin hat in dieser Frage bereits beim Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im August im brandenburgischen Meseberg angeklopft, ist jedoch abgeblitzt.

Die Bundesregierung verknüpft jedwede finanzielle Unterstützung mit einem politischen Prozess in Syrien, an dessen Ende freie Wahlen stehen. Zudem sollen Millionen von Flüchtlingen ein Recht auf freie Rückkehr haben – einschließlich Wahlrecht. Der syrische Machthaber Baschar al-Assad hatte im April das Dekret Nummer 10 erlassen, wonach das Eigentum von Menschen, die das eigene Land verlassen haben, nach relativ kurzer Frist an den Staat fällt.

Deutsche Zurückhaltung ist Lawrow Dorn im Auge

Lawrow hatte vor seinem Abflug nach Berlin eine Charme-Offensive gestartet. „Ich würde die Beziehungen zwischen unseren Ländern nicht gespannt nennen“, sagte er in einem Interview. „Ja, es gibt unterschiedliche Positionen, und sie machen einiges in unserem bilateralen Verhältnis komplizierter.“ Aber immerhin könne man auf die gemeinsame Geschichte, die Verflechtung in Kultur und Gesellschaft und den Austausch in der Wirtschaft zurückgreifen. Nach einem Jahr der deutsch-russischen Städtepartnerschaften soll nun eine Kooperation bei Hochschule und Wissenschaft folgen.

Dennoch ist Lawrow die deutsche Zurückhaltung beim Wiederaufbau für Syrien ein Dorn im Auge – auch deswegen spricht er mit Maas. „Hilfe für die Syrer könnte ein wichtiges Gebiet internationaler Kooperation sein. Leider haben wir mit Deutschland noch nicht zu dieser Kooperation gefunden“, kritisiert er. Trotz der Mäkeleien bemüht sich Lawrow um grundsätzliche Annäherung. Vier Jahre nach Beginn der Ukraine-Krise ruft er eindringlich zu einer Wiederbelebung der Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union auf. Deutschland solle hier eine führende Rolle einnehmen.

Seit der Annexion der ukrainischen Krim durch Russland 2014 sind die Beziehungen zwischen der EU und Russland extrem angespannt. Die EU hat mit Wirtschaftssanktionen reagiert. Deutschland sucht aber inzwischen wieder mehr Kontakt zu Russland, um bei der Lösung der Konflikte in der Ukraine und in Syrien voranzukommen.

Auch Türkei sorgt sich vor neuer Flüchtlingswelle

In der Syrien-Krise ist Ankara zu einem wichtigen Partner Deutschlands geworden. Die türkische Regierung bemüht sich Außenminister Mevlüt Cavusoglu zufolge weiter um einen Waffenstillstand in Idlib. Sie sei auch bereit, bei der Bekämpfung von Terroristen dort zu kooperieren, sagt Cavusoglu. Ankara hatte sich in letzter Zeit dafür stark gemacht, dschihadistische Milizen in Idlib mittels chirurgischer Schläge zu treffen und dafür die Zivilbevölkerung zu schonen.

Wie die Bundesregierung hat auch die Türkei Sorge vor einer großen Flüchtlingswelle. Lawrow unterstreicht in Berlin die „enge Zusammenarbeit mit unseren türkischen Partnern“. Er redet von „humanitären Korridoren“ für Zivilisten und von „lokalen Befriedungen“. Ob die deutsch-türkische Deeskalations-Strategie aufgeht, darf dennoch bezweifelt werden.

An diesem Montag werde Präsident Recep Tayyip Erdogan erneut mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin über die Lage in Syrien sprechen, kündigt Cavusoglu an. Vor einer Woche war Erdogan bei einem Gipfel mit Putin und dem iranischen Präsidenten Hassan Ruhani mit seinem Versuch gescheitert, die drohende Offensive gegen Idlib abzuwenden. Vielleicht hat er am Montag mehr Glück.