Berlin. Kremlchef Putin kündigte eine Militär-Offensive auf die Rebellen-Hochburg Idlib an. Beim Gipfel in Teheran gab es keine Einigung.

Flüchtlinge leben in provisorischen Unterkünften, zusammengezimmert aus Holzlatten und Plastikplanen, aufgestellt auf Feldern. Bereits heute ist Syriens nordwestliche Provinz Idlib ein Ort von Not, Elend und Armut. „Das Gebiet ist völlig überfüllt“, sagt Alaa Walai, Chef der in der südtürkischen Stadt Antakya ansässigen syrischen Hilfsorganisation SARD. „Die Familien sind überall – unter Bäumen, in Garagen oder halb fertigen Häusern. Alle zwei Kilometer gibt es eine informelle Siedlung.“ Walai lässt auf dem Computer einen Film abspielen, der die dramatische Lage der Migranten zeigt.

Drei Millionen Menschen leben in Idlib. Darunter befinden sich eine Million Kinder, schätzen die Vereinten Nationen. Das Problem: Die Region ist die letzte Hochburg der Rebellen in Syrien, die von islamistischen Kämpfern dominiert wird. Die türkische Regierung schätzt deren Zahl auf rund 10.000. Eine maßgebliche Rolle spielt dabei die islamistische Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) – früher unter dem Namen Al-Nusra-Front bekannt. Die Gruppe gilt als Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida, auch wenn sie sich von diesem offiziell losgesagt hat.

Putin: Die Terroristen müssen aus Idlib verjagt werden

Die syrischen Regierungstruppen wollen – unterstützt durch ihre Schutzmächte Russland und den Iran – das Gebiet bombardieren. Die Offensive steht nun so gut wie fest, nachdem sich Russland, der Iran und die Türkei bei einem Gipfel in Teheran am Freitag nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen konnten.

In der vage gehaltenen Erklärung der drei Präsidenten Wladimir Putin, Hassan Ruhani und Recep Tayyip Erdogan hieß es, man sei weiterhin entschlossen, Zivilisten zu schützen und die humanitäre Situation zu verbessern. Man wolle gemeinsam die Operationen gegen Terroristen fortsetzen, die mit Al-Kaida oder der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) verbunden seien.

Kremlchef Wladimir Putin forderte eine vollständige Befreiung von Idlib. „Die Hauptaufgabe derzeit ist, die Terroristen aus der Provinz Idlib zu verjagen. Ihre Anwesenheit dort bedroht unmittelbar syrische Bürger und die Einwohner der ganzen Region“, sagte Putin. Es sei unannehmbar, „wenn unter dem Vorwand, die Zivilbevölkerung zu schützen, Terroristen aus der Schusslinie genommen werden und der syrischen Regierungsarmee geschadet wird“, so Putin. Auch Irans Präsident Ruhani forderte, dass der Kampf fortgesetzt werde, bis alle Militanten aus Syrien vertrieben seien.

Erdogan warnt vor einem „Blutbad“

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan warnte dagegen vor einem „Blutbad“. Ein Angriff auf Idlib werde zu einer „Katastrophe, einem Massaker und einer riesigen humanitären Tragödie“ führen, sagte er in Teheran. Die Türkei unterstützt seit Langem die Rebellen in Syrien. Ankara befürchtet, dass es bei einem rabiaten Militäreinsatz in Idlib zu einem Ansturm von Migranten in Richtung türkische Grenze kommt.

Das Land hat bereits seit Ausbruch der Flüchtlingskrise 2015 rund 3,5 Millionen Notleidende aufgenommen. Die Türkei hat andererseits große strategische Interessen in der Region: Im Januar sind Regierungstruppen in Nordsyrien einmarschiert. Sie sollen dafür sorgen, dass die Kurden dort kein flächendeckendes Autonomiegebiet errichten.

Weltweit wächst nun die Sorge, dass die Schlacht um Idlib zu einem riesigen Flüchtlingsdrama führen könnte, das die Tragödie von Aleppo möglicherweise noch in den Schatten stellt. Nach Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hat auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor einer humanitären Katastrophe in Idlib gewarnt. Allerdings zeigte die Kanzlerin im „RTL-Sommerinterview“ auch Verständnis für Angriffe auf islamistische Milizen.

Bundesregierung: Erst freie Wahlen in Syrien, dann Hilfe beim Wiederaufbau

Die Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass sie Syrien nicht bedingungslos finanziell unterstützen werde, sollte der Bürgerkrieg einmal zu Ende sein. „Wir werden uns nicht an einem Wiederaufbau beteiligen, der faktisch die Stabilisierung des Regimes von Machthaber Baschar al-Assad bedeuten würde“, sagte ein Kabinettsmitglied. Die syrische Bevölkerung müsse zuvor die Möglichkeit zu freien Wahlen haben.

Allerdings ist man in Berlin bereit, sich im Falle einer Flüchtlingskrise humanitär zu engagieren. Wichtig sei die Schaffung von Hilfskorridoren, um die Menschen im Kampfgebiet zu versorgen. Die Türkei spiele hier eine Schlüsselrolle.