Berlin. Leidenschaftlich diskutiert Deutschland über ein späteres Eintrittsalter. Ein Ländervergleich zeigt, wo künftig Rente ab 70 gilt.

Rente mit 70? Hierzulande ein Dauerstreitthema. Aufgrund des demografischen Wandels liebäugelt vor allem die Wirtschaft damit, dass Arbeitnehmende künftig später in den Ruhestand gehen. „Stufenweise werden wir auf das Renteneintrittsalter von 70 Jahren hochgehen müssen – auch weil das Lebensalter immer weiter steigt“, prognostizierte etwa Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, im Gespräch mit dieser Redaktion.

Die Bevölkerung ist empört, Gewerkschaften und Sozialverbände sind empört und auch der Sozialminister hält nichts von dieser Überlegung. „Das ist eine Diskussion, die mit der Lebensrealität vieler Menschen in Deutschland nicht zu vereinbaren ist. Wir haben in der Koalition vereinbart, dass wir das gesetzliche Renteneintrittsalter nicht erhöhen. Und daran wird sich nichts ändern“, erklärte Hubertus Heil (SPD) im Mai gegenüber unserer Redaktion. Das Eintrittsalter, sagt er, sei in Deutschland mit 67 international gesehen ohnehin bereits am oberen Rand. Was aber nicht ganz richtig ist. In Deutschland wird die Altersgrenze ohne Abschläge bis 2029 schrittweise auf 67 Jahre angehoben.

Renteneintrittsalter: Deutschland im Ländervergleich weiter vorn

Wie eine Auflistung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigt, gingen die Menschen in Deutschland im vergangenen Jahr mit 65,7 Jahren in Rente. Damit liegt Deutschland im Ländervergleich im vorderen Viertel. Island, Norwegen und Israel weisen das höchste Renteneintrittsalter mit 67 Jahren auf. Auch interessant:Rente im Ausland: Das gilt für Steuer und Krankenkasse

Die OECD-Auswertung belegt auch, dass die Menschen in Europa oft früher in Rente gehen als eigentlich vorgesehen ist. Die Franzosen verabschieden sich mit rund 60 Jahren aus dem Arbeitsleben, obwohl die gesetzliche Altersgrenze bei 63,5 Jahren liegt. Auch die Deutschen gehen demnach früher in Rente, nämlich mit 63,1 Jahren. Anders sieht es in Japan aus. Dort arbeiten die Menschen, bis sie 68,2 Jahre alt sind. Dabei könnten sie im Alter von 65 Jahren gesetzlich ohne Abschläge mit dem Job aufhören.

Und während in Deutschland eine mögliche Rente mit 70 hitzige Debatten auslöst, ist sie in anderen Ländern längst Realität. So hebt Dänemark das Eintrittsalter von aktuell 65,5 langfristig auf 74 Jahre an. In Italien werden die Menschen in Zukunft erst mit 71 ohne Abschläge aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden können – neun Jahre später, als es aktuell der Fall ist. Auf das gleiche Eintrittsalter steigt das Niveau in Finnland. Lesen Sie auch: Rente: Warum es sich für Minjobber lohnt, länger zu arbeiten

Rente: Die Rentensysteme stehen vor großen Herausforderungen

Besonders drastisch ist der Sprung in der Türkei. Dort gehen die Männer mit 52 in Rente, die Frauen sogar schon 49 Jahren. Doch auch im Land am Bosporus steigt die Altersgrenze an: für Männer um 13, für Frauen um 14 Jahre.

In den meisten Ländern, die die OECD untersucht hat, verabschieden sich die Menschen künftig zwischen 65 und 67 in den Ruhestand. Einige Länder, darunter Schweden, Spanien oder die Schweiz, rühren das Renteneintrittsalter gar nicht erst an.

Der OECD-Bericht veranschaulicht aber auch, welches Dilemma auf Rentensysteme zukommen kann. Denn gleichzeitig nimmt die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter ab, bis 2060 im Schnitt um zehn Prozent – in Griechenland, Japan, Korea, Lettland, Litauen und Polen sogar um 35 Prozent oder mehr. Wie Deutschland müssen sich auch diese Länder fragen, wie sich die klaffende Lücke auf dem Arbeitsmarkt in Zukunft verkleinern oder schließen wollen. Die Bundesrepublik hat sich etwas einfallen lassen. Zum Beispiel: Das Land muss mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland gewinnen. Oder: Die Generation der Babyboomer soll ein paar Jahre länger schuften. Ob das genügt, steht in den Sternen. (lgr)

Dieser Text erschien zuerst auf morgenpost.de.