Berlin. „Feministisch“ soll die deutsche Außenpolitik künftig sein. Was steckt hinter den Plänen von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock?

„Wir rufen hier heute nicht eine Revolution aus“, sagt Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Es handele sich um eine Selbstverständlichkeit: „Wir sorgen auch in der Außen- und in der Entwicklungspolitik dafür, dass wir mit unserer Politik alle Menschen erreichen.“ Baerbock steht gemeinsam mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) vor dem Kanzleramt. Zuvor hatte das Bundeskabinett die neuen Leitlinien der Bundesregierung für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik beraten. Unsere Redaktion beantwortet die wichtigsten Fragen.

Feministische Außenpolitik: Was steckt dahinter?

Die Hälfte der Weltbevölkerung seien Frauen, sagt Baerbock. Deswegen müssten ihre Probleme in der Außenpolitik berücksichtigt werden. Das sei zwar eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber nicht überall auf der Welt der Fall. „Außenpolitik ist ein Politikbereich, dessen Strukturen in besonderem Maße männlich dominiert sind und daher die Perspektive, die Ideen und die Erfahrungswelt von Männern privilegieren“, schreibt Claudia Zilla in einer Analyse für die Stiftung Wissenschaft und Politik.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne, links) und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) nach der Befassung des Kabinetts mit den Leitlinien für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne, links) und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) nach der Befassung des Kabinetts mit den Leitlinien für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik. © AFP | TOBIAS SCHWARZ

Ein Grundgedanke feministischer Außenpolitik ist, dass Frauen in Diplomatie, Regierungen und Parlamenten stärker vertreten sein müssen, damit auch ihr Blick in politisches Handeln einfließt. Damit sollen Frauen und ihre Lage in Krisen und Konflikten gleichberechtigt in den Fokus genommen werden. „Es geht um ganz normale Probleme von ganz normalen Menschen“, sagt Baerbock.

Woher kommt der Begriff "Feministische Außenpolitik"?

Schweden erklärte 2014, fortan eine „feministische“ Außenpolitik zu verfolgen. Die Regierung in Stockholm definierte eine „3R“-Formel, die dem Ansatz zugrunde liegt: Rechte von Frauen stärken, ihre Repräsentation in der Politik erhöhen und Ressourcen gezielt zur Verbesserung der Lage von Frauen einsetzen. „Ressourcen sind nicht nur Geld“, erläutert Schulze. Es gehe auch um Zugang zu Bildung, zum Gesundheitswesen oder zum Finanzsystem in Form von Krediten. Das Konzept wird einerseits als schwammig kritisiert, andererseits findet es unter den Staaten der Welt immer mehr Anhänger. Baerbock spricht von 30 Staaten weltweit, die sich offiziell einer feministischen Außenpolitik verschrieben hätten.

Welche Probleme drohen in der Außenpolitik, wenn die weibliche Perspektive fehlt?

Wird etwa in einem Land ein Konflikt um Wasserressourcen geführt, ist es aus der Sichtweise feministischer Außenpolitik falsch, wenn eine internationale Friedenstruppe nur auf den Hauptstraßen präsent ist. Denn es ist häufig Aufgabe der Frauen, Wasser aus Brunnen zu holen. Dafür gehen sie oft über Feld- und Waldwege, wo sie weiterhin ungeschützt sind. Wer das bei der Suche nach einer Befriedung der Spannungen nicht mitdenkt, könnte mit seinen Bemühungen um eine Lösung des Konflikts leicht scheitern. Die Lehre früherer Konflikte sei: Sind Frauen nicht sicher, ist niemand sicher, beschreibt Baerbock das Konzept.

Die Außenministerin nennt als praktisches Beispiel den Wiederaufbau eines von der islamistischen Terrororganisation Boko Haram zerstörten Dorfes in Nigeria: Wenn man bei der Planung der Sanitäranlagen nach dem Geruch gehe, könne man auf den Gedanken kommen, sie am Rande des Dorfes zu planen. Frage man sich aber, was es für Frauen und Kinder heißt, die Toiletten nachts aufzusuchen, dann treffe man diese Entscheidung anders. Es mache auch einen großen Unterschied, ob es in dem Dorf Elektrizität und damit eine Beleuchtung zentraler Plätze gebe: „Weil Frauen im Dunklen in Gebieten, die ohnehin unsicher sind, nicht allein vor die Tür gehen können“, sagt Baerbock.

Proteste in Südafrika gegen die Entführung von Mädchen durch die Terrorgruppe Boko Haram in Nigeria.
Proteste in Südafrika gegen die Entführung von Mädchen durch die Terrorgruppe Boko Haram in Nigeria. © dpa | Nic Bothma

Was ist das Ziel von Feministischer Außenpolitik?

Feministische Außenpolitik will den Anteil von Frauen in politischer Verantwortung erhöhen. Studien zufolge sind Friedensabkommen von längerer Dauer, wenn Frauen sie mitverhandelt haben. „Die Beteiligung von Frauen an der Prävention und Lösung von Konflikten kann die Ergebnisse vor, während und nach einem Konflikt verbessern“, hält die US-Denkfabrik Council on Foreign Relations fest.

Aber: Einer UN-Statistik zufolge waren bei Friedensverhandlungen zwischen 1992 und 2019 nur 13 Prozent der Verhandelnden weiblich. „Frauen müssen mit in Entscheidungen eingebunden sein“, fordert Schulze. Für die beiden Politikerinnen gehört dazu auch, den Frauenanteil in ihren eigenen Ministerien zu erhöhen.

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Wie können Frauen in Konflikten geschützt werden?

Vergewaltigungen, sexuelle Versklavung und andere geschlechtsspezifische Verbrechen gehörten zu vielen bewaffneten Konflikten, heißt es in den Leitlinien des Auswärtigen Amts für eine feministische Außenpolitik. „Oft sind sie nicht nur Begleiterscheinungen, sondern brutaler Teil der strategischen Kriegsführung.“ Vergewaltigungen dürften nicht als Normalität im Krieg akzeptiert werden, fordert Baerbock. „Feministische Außenpolitik bedeutet, sich dagegenzustellen. Klarzumachen, dass Vergewaltigungen ein Kriegsverbrechen sind. Und dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden müssen“, schreibt ihr Ministerium.

Kommentar: Vergewaltigungen im Krieg – Kein Täter darf sich sicher fühlen

Was bedeutet feministische Außenpolitik für das Militär?

Bei der Ausbildung und Zusammensetzung von Friedensmissionen müsse die Frage gestellt werden, wie der Schutz von Frauen erhöht werden könne, fordert Baerbock. Dazu gehöre, dass auch Soldatinnen der Truppe angehören, weil diese nach Sexualverbrechen im Gegensatz zu ihren männlichen Kameraden einen Zugang zu den Opfern aufbauen können. Auch dürfen Soldaten in manchen Ländern Frauen nicht durchsuchen und abtasten – Soldatinnen hingegen schon. „Ein stärkerer Anteil von Frauen auch in Armeen erhöht die Sicherheit von ganzen Gesellschaften“, ist Baerbock überzeugt.

Soldatinnen in Friedensmissionen können nach Angaben von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zur Stabilität beitragen.
Soldatinnen in Friedensmissionen können nach Angaben von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zur Stabilität beitragen. © dpa | Axel Heimken

Wie will die Bundesregierung Frauen stärker fördern?

Hilfsgelder sollten künftig „gendersensibel“ eingesetzt werden, kündigt Baerbock an. Am Beispiel des Dorfes in Nigeria bedeutet das: Die Bundesregierung will sichergehen, dass der Wiederaufbau allen Bewohnern zugutekommt. „Feministische Außenpolitik heißt, dass wir besondere Verletzlichkeiten nicht nur sehen, sondern sie gezielt angehen, auch in unserer Projektförderung oder der humanitären Hilfe“, heißt es in Baerbocks Leitlinien. Schulze plant, dass bis 2025 insgesamt 93 Prozent der neu zugesagten Projektmittel an Vorhaben gehen, die Gleichstellung voranbringen. Bisher sind es etwa 65 Prozent.

Kommentar: Feministische Außenpolitik – Es ist höchste Zeit dafür!

Feministische Außenpolitik: Welche Kritik gibt es?

Manche Kritiker befürchten, dass unter dem Label „feministisch“ Politik nur für Frauen gemacht werden soll. Es sei auch nicht feministisch, wenn die Politik gezielt auf Menschenrechte und Bedürfnisse von Schwächeren oder Minderheiten achte. Anderen ist die Idee zu unkonkret, um in der Praxis Erfolg zu haben. „Wir sind nicht naiv. Wir werden mit einer feministischen Außenpolitik nicht alle Probleme dieser Welt lösen können“, sagt Baerbock. „Aber wir werden damit genauer hinschauen.“