Hannover. ADAC-Präsident Christian Reinicke ruft zum Energiesparen auf. Deutschlands größter Verein will dabei den Fokus auf das Fahrrad stärken.

Ausgerechnet Deutschlands größte Autolobby-Verein ruft angesichts des Krieges in der Ukraine dazu auf, derzeit auch mal das Fahrrad anstatt das Auto zu benutzen. Früher wären solche Töne beim ADAC, dem mit 21,2 Millionen Mitgliedern größten Verein Deutschlands, wohl undenkbar gewesen.

Doch der ADAC befindet sich im Wandel, will zunehmend als Mobilitätsdienstleister über alle Verkehrsträger verstanden werden. Den Wandel vorantreiben soll Christian Reinicke, der seit einem Jahr als ehrenamtlicher Präsident an der Spitze des ADAC steht. Zum Interview empfängt der Rechtsanwalt in seiner Kanzlei in Hannover.

Herr Reinicke, die Spritpreise sind seit Russlands Angriff auf die Ukraine explodiert. Die Bundesregierung will die Energiesteuer für drei Monate absenken und eine Energiepauschale zahlen. Reicht das?

Christian Reinicke: Angesichts der Preisentwicklung ist aus Sicht der betroffenen Menschen wahrscheinlich kein Paket groß genug, um ausreichend zu sein. Ich glaube aber, dass die Bundesregierung das Problem erkannt hat und die Maßnahmen geeignet sind, um Linderung zu schaffen. Die Preisentwicklung beim Sprit hat sich etwas stabilisiert, von den 2,30 Euro für Diesel und 2,20 Euro für E10 im März sind wir wieder gut 30 beziehungsweise 20 Cent entfernt. Festzustellen ist aber, dass sich die Spritpreise teils von der Krisenentwicklung entkoppelt hatten. Deshalb ist es völlig richtig, dass die Regierung das Bundeskartellamt angewiesen hat, diese marktferne Entwicklung zu untersuchen.

Erwarten Sie konkrete Ergebnisse?

Reinicke: Bisher sind Untersuchungen des Bundeskartellamtes zur Frage, ob sich Mineralölkonzerne illegal absprechen, im Sande verlaufen. Die jüngste Entwicklung aber war schon auffällig. Es bleibt abzuwarten, was das Kartellamt findet.

Autofahrer werden unter anderem mit einer höheren Pendlerpauschale entlastet. Freut Sie das?

Reinicke: Das ist ein richtiges Signal, auch wenn die Entfernungspauschale nur für die einfache Fahrt gilt. Für gewöhnlich gehört zur Hinfahrt ins Büro aber noch die Rückfahrt nach Hause. Die Entlastung wirkt also nur halb. Dabei sind laut einer aktuellen Befragung 69 Prozent der Deutschen auf das Auto angewiesen. Und wir hätten uns gewünscht, dass die Erhöhung ab dem ersten Kilometer gilt und nicht ab Kilometer 21.

ADAC-Präsidenten Christian Reinicke steht in seinem Kanzleibüro in Hannover. Seit rund einem Jahr steht er an der Spitze von Deutschlands größtem Verein.
ADAC-Präsidenten Christian Reinicke steht in seinem Kanzleibüro in Hannover. Seit rund einem Jahr steht er an der Spitze von Deutschlands größtem Verein. © Funke Foto Service | Maurizio Gambarini

Die Bundesregierung will Anreize zu Alternativen schaffen, etwa mit dem geplanten 9-Euro-Ticket.

Reinicke: Das 9-Euro-Ticket ist eine super Sache. Ich gespannt, was bei diesem Versuch herauskommt. Wir als ADAC setzen uns nicht nur für das Auto, sondern umfassend für die Mobilität ein. Wir brauchen attraktive Modelle, damit die Menschen zuverlässig und bezahlbar von A nach B kommen. Und es ist durchaus zu wünschen, dass eine hoffentlich gute Erfahrung mit dem Öffentlichen Verkehr den ein oder anderen Autofahrer überzeugt.

Auf die Absenkung der Energiesteuer beim Sprit hat sich die Ampel-Koalition im März geeinigt, sie kommt aber frühestens im Sommer. Braucht man sie dann überhaupt noch?

Reinicke: Es ist richtig, den Menschen zu signalisieren, dass die Politik ihre Probleme wahrnimmt. Die wirtschaftlichen Probleme gehen weit über die Spritpreise hinaus. Die Inflation ist hoch, auf viele Haushalte wird eine teure Nebenkostennachzahlung zukommen.

Ist es nicht widersprüchlich, auf der einen Seite einen CO2-Preis zu erheben und auf der anderen Seite die Steuern zu senken?

Reinicke: Den CO2-Preis vollständig auszusetzen, wäre Richtung Klimaschutz das falsche Signal gewesen. Es wäre in der Höhe auch ein deutlich geringerer Effekt als die Senkung der Energiesteuer. In der Diskussion kommt auch zu kurz, dass wir uns in einer Phase der Veränderung befinden, bei der man den Menschen zusätzliche Angebote machen muss, um auf steigende Energiepreise reagieren zu können. Wir können nicht von heute auf morgen auf Elektromobilität umsteigen. Deshalb ist es richtig, verschiedene Steuerungsmöglichkeiten zu testen.

Das Vorgehen von Wladimir Putin in der Ukraine wird immer blutiger und grauenvoller. Wäre es Zeit für ein Energieembargo?

Reinicke: Jeder gesparte Liter Treibstoff kann dazu beitragen, die Abhängigkeit von Ölimporten zu reduzieren und damit mittelbar auf die weitere Entwicklung des Krieges Einfluss nehmen. Deshalb appelliere ich an unsere Mitglieder und alle Autofahrer in Deutschland, Sprit zu sparen. Das ist das Ziel unserer Kampagne „Spritsparen. Helfen. Mobil bleiben“. Die Hilfe steckt in unserer DNA. Und wir versuchen, unsere Mitglieder – über 21 Millionen Menschen – dazu zu animieren, ihren Beitrag zu leisten, mittelbar den Menschen in der Ukraine zu helfen.

Der Automobilclub ruft also dazu auf, das Auto stehen zu lassen?

Reinicke: Wir verstehen uns als Mobilitätsclub. Und man kann auch mobil bleiben, wenn man zum Bäcker mit dem Fahrrad anstatt mit dem SUV fährt. Für viele Kurzstrecken ergibt die Autofahrt keinen Sinn. Bei anderen Strecken kann man auch mal den ÖPNV nutzen. Wer auf das Auto angewiesen ist, kann mit einer sparsamen Fahrweise Sprit einsparen. Schon heute ist fast jeder Zweite bereit, auf Einzelfahrten mit dem Pkw zu verzichten, um Energie zu sparen. Die Hälfte der Fahrer passt den Fahrstil an und 60 Prozent ist es gelungen, den Kraftstoffverbrauch zu reduzieren. Ich selbst versuche ebenfalls, rund 20 Prozent langsamer zu fahren. Wenn das alle 21,2 Millionen Mitglieder des ADAC so machen würden, wären es bereits gewaltige Einspareffekte.

Ihre Kampagne setzt auf Freiwilligkeit. Bräuchte es flankierende Regulierung, etwa autofreie Sonntage?

Reinicke: Ich glaube nicht, dass es Sonntagsfahrverbote braucht, zumal eine Mehrheit sie ablehnt. Wir müssen uns fragen, was wir den Menschen abverlangen wollen. Nach zwei Jahren Corona-Pandemie mit erheblichen Einschränkungen jetzt mit Verboten zu kommen, halte ich für den falschen Weg. Zumal man beim Sonntagsfahrverbot in den 70er Jahren beobachten konnte, dass die Leute ihre Fahrten dann halt auf den Samstag vorziehen. Es war also reine Symbolpolitik.

Ist ein Tempolimit aus Ihrer Sicht auch nur Symbolpolitik?

Reinicke: Unsere Mitglieder sind in der Frage eines Tempolimits von 130 unentschieden. Derzeit ist eine leichte Mehrheit dafür und eine kaum geringere Gruppe dagegen. Solange die Verhältnisse so knapp sind, wird sich der ADAC nicht für eine Seite positionieren. Beim Argument der Verkehrssicherheit sehen wir, dass sich die meisten tödlichen Unfälle auf Landstraßen ereignen. Die Autobahnen sind im Vergleich viel sicherer und auch da begrenzt, wo Auffälligkeiten im Unfallgeschehen festzustellen sind. Beim Spritverbrauch hilft langsameres Fahren sicher. Aber die Menschen sind mehrheitlich vernünftig, versuchen bereits, Sprit zu sparen, und sind keine notorischen Raser. Allerdings gibt es auch eine Gruppe, denen es völlig egal ist, ob sie mehr Sprit in die Luft pusten. Das allerdings ist die absolute Minderheit.

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sieht ein Gegenargument in fehlenden Schildern…

Reinicke: An Schildern sollte es in der Praxis wohl kaum mangeln. Aber die Frage, wie ein flächendeckendes Tempolimit kontrolliert werden soll, stellt sich. Dann müsste man rund 18.000 Kilometer mehr kontrollieren. Den Hardcore-Teil der Autofahrer würde es wahrscheinlich auch nicht interessieren, wenn es ein Tempolimit mit 130 Stundenkilometern geben würde.

Rechnen Sie damit, dass sich die Spritpreise wieder normalisieren werden?

Reinicke: Es ist illusorisch zu glauben, dass die Mobilitätswende nichts kosten wird. Wir müssen uns auf hohe Preise für fossile Energie in Zukunft einstellen. Deshalb ist es wichtig, dass wir technologieoffen bleiben und beispielsweise auch E-Fuels eine Chance geben.

Im europäischen Vergleich tankt man nur in Schweden und Finnland teurer als in Deutschland. Sind Sie für eine grundsätzliche Steuerreform?

Reinicke: Mobilität darf nicht vom Geldbeutel abhängen. Mobilität ist auch ein Ausdruck von individueller Freiheit, vor allem aber die Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und den Zugang zu Erwerbschancen. Deshalb muss der Staat dazu beitragen, dass jeder mobil bleiben kann. Der Klimaschutz wird es erforderlich machen, das Abgabensystem stärker an der CO2-Vermeidung auszurichten. Dies muss mit der Bezahlbarkeit von Mobilität – auch mit dem Auto - vereinbar sein und bleiben. In den letzten Monaten gab es viele Vorschläge zur Verteuerung des Autoverkehrs, ohne dass parallel eine Abschaffung oder drastische Senkung einer Steuer zur Diskussion gestellt wurde. Insofern ist die dreimonatige Absenkung im Entlastungspaket eine Chance, daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen.

Verliert der ADAC sein Profil, wenn er vom Auto über den ÖPNV bis zum Fahrrad alle ansprechen will?

Reinicke: Aus Sicht der Intensivautofahrer passiert das möglicherweise. Wir glauben aber, dass unsere Mitglieder mehrheitlich den Rundumblick auf Mobilität haben. Das ist auch eine Generationenfrage. Für viele Ältere ist das Auto ein Statussymbol und mehr als ein Fortbewegungsmittel. Für manch Jüngere hat es kaum noch einen Stellenwert. Wir wollen alle gesellschaftlichen Gruppen ansprechen.

Sie bieten in Berlin-Brandenburg ein Pilotprojekt zur Pannenhilfe fürs Fahrrad an. Wie wird diese Hilfe angenommen?

Reinicke: Seit dem Start im Juni haben über 400 Menschen die Pannenhilfe für das Fahrrad genutzt. Es ist für uns ein interessanter Versuch, weil es oft aufwendiger ist, ein Fahrrad als ein Auto wieder zum Laufen zu bringen. Die Rückmeldungen sind sehr positiv. Wir wollen das Projekt ausweiten, um auch für Mitglieder da zu sein, wenn sie mit dem Fahrrad unterwegs sind.

Was hat der ADAC davon? Die meisten Mitglieder wollen schließlich Auto-Pannenhilfe und keine Fahrradversicherung…

Reinicke: Die Pannenhilfe ist die bekannteste Hilfeleistung des ADAC, die aber langfristig möglicherweise mit immer zuverlässigeren Autos, insbesondere bei E-Pkw, weniger nachgefragt wird. Deshalb stellen wir unser Angebot breiter auf, um für unsere Mitglieder weiterhin als Helfer da zu sein. Es geht um neue Services für Halter von E-Pkw, aber auch um Unterstützung für Mitglieder in schwierigen Situationen, etwa wenn sie sich ausgesperrt haben. Deshalb bieten wir beispielsweise in verschiedenen Städten den ADAC Schlüsselnotdienst an. Oder auch die Fahrradpannenhilfe.

Wie werden Sie die neuen Angebote finanzieren? Wird es Beitragserhöhungen geben?

Reinicke: Wir haben 2020 unsere Mitgliedsbeiträge angepasst, um neue innovative Angebote machen zu können, und wir haben mit den geringeren Ausgaben im Pandemiejahr 2020 zusätzlich Rücklagen zur Beitragsstabilisierung gebildet. Eine Beitragserhöhung wird es deshalb in den kommenden Jahren nicht geben.

Braucht es ein besseres Zusammenspiel von Mobilitätsdienstleistern wie etwa der Deutschen Bahn, den lokalen Verkehrsbetrieben und dem ADAC?

Reinicke: Wir haben uns mit der Frage befasst, weil ein besseres Zusammenspiel im Sinne des Verbrauchers ist. Aber es hat sich bisher als nicht umsetzbar erwiesen, weil die vertraglichen Beziehungen so komplex sind mit derart vielen unterschiedlichen Anbietern. Nun wollen einige größere Verkehrsbetriebe sich zusammentun, um Online-Tickets bereitzustellen. Das Thema ist erkannt und adressiert. Wir haben diese Projekte im Blick.