Berlin. 400.000 Mitglieder der CDU sollen befragt werden, wer ihr Parteichef werden soll. Die Befragung könnte zu Streit in der Partei führen.

Es ist ein Novum und seit Dienstag ausgemachte Sache: Die 400.000 Mitglieder der CDU sollen befragt werden, wer ihr Parteichef werden soll. So hat es ihr Vorstand einstimmig beschlossen. Es soll nach den Worten des amtierenden Vorsitzenden Armin Laschet aber eine „einmalige“ Sache bleiben.

„In der Phase, in der die CDU steht, ist es gut, auch die Basis zu beteiligen“, räumte er in Berlin nach der Vorstandssitzung ein. Rechtlich ist das Ergebnis nicht bindend. Gewählt wird die Führung von einem Parteitag am 21/22. Januar in Hannover. Laschet hofft noch auf eine Konsenslösung, die eine Befragung gar überflüssig machen würde. Die Hoffnung hat ein Haltbarkeitsdatum: Am Sonnabend beginnt die Nominierungsphase, die bis zum 17. November läuft. Haben die Kreis-, Bezirks- und Landesverbände Personen vorgeschlagen, dann läuft die Mitgliederbefragung an.

CDU steht vor einer neuen Epoche

Die 1001 Parteitagsdelegierten könnten, aber werden nicht vom Basisvotum abweichen. Erstens geht das Verfahren auf die über 300 Bezirks- und Kreisvorsitzenden zurück, von denen viele Delegierte sein dürften. Zweitens müsste sich jemand finden, der sich mit Erfolg über ein Basisvotum hinwegsetzt.

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Mit Mitgliederbefragungen hat die SPD Erfahrung, nicht immer die besten. Für die Bundes-CDU ist es kein Zufall, dass sie jetzt mehr (direkte) Demokratie wagt. Sie hat die Bundestagswahl verloren, ihr Kandidat Laschet zieht sich zurück, und da Bundeskanzlerin Angela Merkel nach 16 Jahren – ungeschlagen – ausscheidet, kommt der Neuanfang einem Epochenbruch gleich.

Ex-Fraktionschef Friedrich Merz hat im Gespräch mit unserer Redaktion beklagt, dass seine Partei „denkfaul“ geworden sei. Sein Parteifreund Norbert Röttgen meint, dass „kein Stein auf dem andern bleibt“. Beide haben ihre Vorgeschichten mit Merkel, beide teilen die Analyse, dass zu viele Entscheidungen nicht aus der Partei heraus entwickelt worden sind, sondern im Kanzleramt.

Vorstellungsrunden der Bewerber könnte zu Streit in der CDU führen

Beispiele dafür sind der Atomausstieg und die Flüchtlingspolitik 2015. So soll sich in der Befragung auch der Selbstbehauptungswille der Partei ausdrücken. Indes birgt diese Debatte Risiken. Otto Wulff von der Senioren-Union nahm alle im Vorstand in die Pflicht, für eine hohe Beteiligung zu sorgen. Das Ergebnis sollte eine hohe Legitimation haben, mahnte der Thüringer Mike Mohring in der Runde. Und doch verzichtete man auf ein festes Quorum.

Nach der Nominierung sollen sich die Bewerber in einer zweiten Phase vom 18. November bis zum 2. Dezember parteiintern vorstellen. Vom 4. bis zum 16. Dezember läuft der erste Wahlgang und – falls nötig – eine Stichwahl vom 28. Dezember bis 13. Januar. Dazu käme es, wenn es mehr als zwei Bewerber gibt und keiner die absolute Mehrheit der Stimmen hat. Abgestimmt wird online oder per Brief.

Erst Ende Januar wurde Armin Laschet als Nachfolger von Annegret Kramp-Karrenbauer Parteichef.
Erst Ende Januar wurde Armin Laschet als Nachfolger von Annegret Kramp-Karrenbauer Parteichef. © AFP via Getty Images | ODD ANDERSEN

Ein Risiko ist, dass die Vorstellungsrunden ausufern und in Streit münden, was die Gräben vertiefen und bürgerliche Wähler erfahrungsgemäß irritieren würde. „Die CDU ist nicht für Selbstbeschäftigung gegründet worden“, warnt denn auch Hendrik Wüst vor der Sitzung. Am 15. Mai stehen Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen an, wo Wüst seit wenigen Tagen Ministerpräsident ist.

Befragung soll zu keiner "Showveranstaltung" werden

Vorher wird in Schleswig-Holstein und schon am 27. März im Saarland gewählt. Wüst wie sein saarländischer Amtskollege Tobias Hans gehörten zu denjenigen, die aus Angst vor einem Kontrollverlust am Dienstag auf eine rasche Lösung drängten, sich aber mit der Forderung nach einem Parteitag im Dezember nicht durchsetzen konnten.

Nun wird es Januar, auch aus praktische Erwägungen: Damit die Zeit für das Organisatorische bleibt. Am Ende waren sich alle einig, die Befragung „nicht auf Biegen und Brechen“ (Wulff) durchzuziehen. Sie soll „keine Showveranstaltung“ sein, wie Mohring unserer Redaktion sagte. Laschet erklärte, alle wollten eine möglichst breite Diskussion, „aber es muss auch schnell gehen“. Beide Positionen würden sich ausschließen. Den Januartermin stellte er als Kompromiss dar.

Für die Wahlkämpfer in den Ländern stellt sich die Frage, ob die CDU sich mit diesem Prozess interessant macht oder ob er ihr als Selbstbeschäftigung negativ ausgelegt wird. Eine weitere Frage ist, ob die CDU unter dem bisherigen Vorsitzenden noch genug Gehör findet, um einem Ampel-Bündnis Paroli zu bieten.

Doppelspitze in der CDU wohl unwahrscheinlich

Von den diskutierten Kandidaten liegen Merz und Röttgen in Umfragen vorn. Bei Forsa kommt Merz auf 19, Röttgen auf 17 Prozent, dahinter folgen Jens Spahn mit zehn Prozent, Ralph Brinkhaus (neun Prozent) und Carsten Linnemann (sechs Prozent), allesamt Männer der NRW-CDU. Jeder von ihnen hielt sich nach Angaben von Teilnehmern zurück – mit Ausnahme Spahns, der sich zur Corona-Politik äußerte.

Die Frage ist jetzt, wer sich als Erster aus der Deckung wagt. Jeder sei klug beraten, sich an die Regeln zu halten. „Und die Regel ist: ab Samstag“, so Laschet. Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther erwartet, dass in der neuen Führung „Frauen stark vertreten sein müssen“. Eine Doppelspitze wie bei der SPD ist unwahrscheinlich. Laschet sieht dafür in der Breite der CDU keine „Sympathie“.