Berlin. Die Bundeswehr sucht dringend Soldaten, aber Bewerber fehlen. Es gibt viele Probleme: Zum Beispiel stehen Rekruten ungern früh auf.

Eigentlich ist es nicht lustig. Trotzdem erschallt Gelächter, als der Generalinspekteur der Bundeswehr das Problem schildert: „Warum muss ich so früh aufstehen?“, laute eine Frage der Rekruten, wenn sie zur Truppe kommen. „Ja, wir lachen“, sagt Eberhard Zorn Anfang Februar bei einem Vortrag in Kiel. Aber der frühe Dienstbeginn sei ein Grund, warum Rekruten ihre Ausbildung bei der Bundeswehr abbrechen. Das kann sich die Armee aber nicht leisten: Bei der Bundeswehr herrscht Personalnot.

Generalinspekteur Carsten Breuer: Die Generation Downsizing muss jetzt umdenken.
Generalinspekteur Carsten Breuer: Die Generation Downsizing muss jetzt umdenken. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Zorn muss das Problem nicht mehr lösen, Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat ihn vor einer Woche durch Carsten Breuer ersetzt. Der neue oberste Soldat der Bundeswehr sieht sich angesichts der Bedrohungslage durch den russischen Überfall auf die Ukraine vor großen Aufgaben: „Bei der Bundeswehr waren viele Offiziere und Unteroffiziere jahrelang gewohnt, die Truppe abzubauen, Strukturen zu verkleinern oder in Teilen sogar aufzulösen“, sagt Breuer dem „Spiegel“. „Das ist eine Generation Downsizing. Die muss jetzt umdenken.“

Nach Jahren des Personalabbaus soll die Truppe deutlich wachsen

Die Bundesregierung ist wegen der angespannten Weltlage bereit, deutlich mehr Geld in die Ausrüstung der Bundeswehr zu stecken als in früheren Jahren, um Versäumnisse der Vergangenheit zu wettzumachen. Das Personalproblem lässt sich aber mit Geld allein nicht lösen. Die Truppe soll ihren Fokus wieder auf die Bündnis- und Landesverteidigung richten: Dazu gehören eine ständige Einsatzbereitschaft und eine größere Präsenz der Bundeswehr an der Nato-Ostflanke in Ländern wie Litauen. Dafür braucht es viele Soldatinnen und Soldaten.

Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung stand etwa eine halbe Million Soldaten im Dienst der Bundeswehr. Nach Ende des Ost-West-Konflikts begann ein zweieinhalb Dekaden andauernder Personalabbau, 2011 wurde zudem die Wehrpflicht ausgesetzt. Als die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im Jahr 2016 eine Trendwende Personal ausrief, verfügte die Truppe nur noch über 166.000 Soldaten. Geplant ist, dass die Bundeswehr im Jahr 2031 wieder 203.000 Soldatinnen und Soldaten stark ist. Von der Zielmarke sind die Streitkräfte weit entfernt.

Viele Rekruten überstehen das erste halbe Jahr nicht

Wie ernst die Lage an der Personalfront ist, schilderte die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) kürzlich bei der Vorstellung ihres Jahresberichts. Ende 2022 standen 183.051 Soldatinnen und Soldaten im Dienst der Bundeswehr. Das sind sogar ein paar Hundert weniger als ein Jahr zuvor. Von den militärischen Dienstposten oberhalb der Laufbahn der Mannschaften sind knapp 19.000 unbesetzt – das entspricht fast 16 Prozent.

Die Zahl der Bewerbungen für eine militärische Karriere brach im vergangenen Jahr um elf Prozent ein und lag bei rund 44.000. Zwar gelang der Bundeswehr bei den Einstellungen ein Plus von zwölf Prozent und begrüßte knapp 18.800 neue Kameraden. Aber: Innerhalb der ersten sechs Monate gaben 3970 von ihnen die Uniform zurück an die Kleiderkammer; 3510 auf eigenen Wunsch, 460 wegen Nichteignung. Ein Fünftel der Neuen überstand also das erste halbe Jahr nicht und verließ die Truppe.

Generation Z und die Bundeswehr - das passt nicht

Nach seinem Amtsantritt trauerte Pistorius der Wehrpflicht hinterher: „Es war ein Fehler, die Wehrpflicht auszusetzen“, sagte der Minister. „Aber das lässt sich jetzt nicht einfach so zurückholen. Jetzt müssen wir die Bundeswehr so attraktiv machen, dass sich gute junge Leute für sie interessieren und sich bewerben.“ Die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ist aber groß, Fachkräfte fehlen an allen Ecken und Enden.

Verteidigungsminister Boris Pistorius trauerte nach Amtsantritt der Wehrpflicht hinterher.
Verteidigungsminister Boris Pistorius trauerte nach Amtsantritt der Wehrpflicht hinterher. © Getty Images | Alexander Koerner

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Die Bundeswehr kämpft wie viele Unternehmen mit den „Auswirkungen des demografischen und gesellschaftlichen Wandels“, wie eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums mitteilt. Dazu zählten sinkende Schul- und Studienabsolventenzahlen sowie ein wachsender Bedarf an Kompetenzen in den Feldern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Hinzu komme „nicht zuletzt die Erwartungshaltung der sogenannten ‚Generation Z‘, die ein hohes Maß an flexibler und individueller Gestaltungsfreiheit im Berufsleben wünscht“.

In den kommenden Jahren scheiden Zehntausende Soldaten aus

Das Soldatenleben heißt aber oft: Kaserne, Dienst fern der Familie und mehrmonatige Auslandseinsätze. Und eben frühes Aufstehen, aber dazu am Ende mehr.

Verschärfend kommt hinzu, dass zahlreiche Bundeswehrangehörige in den kommenden Jahren aus Altersgründen die Truppe verlassen. Nach einer Prognose des Verteidigungsministeriums scheiden in den Jahren 2023 bis 2027 rund 64.000 Berufssoldaten sowie Soldaten auf Zeit aus dem Dienstverhältnis aus.

CSU-Politiker: Bundeswehr für Bewerber nicht attraktiv

„Es ist fraglich, ob die gesetzte Zielgröße von 203.000 Soldatinnen und Soldaten unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung in Deutschland erreicht werden kann und insofern auch weiterverfolgt werden sollte“, sagt der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn. Der CSU-Politiker sieht das größte Problem in der Rekrutierung des richtigen Personals. „Dazu muss die Bundeswehr für die Bewerber attraktiv sein“, sagt Hahn. „Das ist sie in Anbetracht der derzeitigen schlechten Schlagzeilen nicht.“

Wer den neuen Wehrbericht durchblättert, findet eine lange Liste des Mangels. Den Soldaten fehlt es an persönlicher Ausrüstung, der Truppe an großem und kleinem Gerät. Die persönliche Belastung ist hoch und dürfte angesichts der angespannten Sicherheitslage noch größer werden. In manchen Kasernen findet sich Schimmel an den Wänden, aber kein Internet auf den Stuben.

Investitionen sollen die Truppe nicht attraktiver machen

„Die Bundeswehr muss so gut ausgestattet werden, dass sie im Wettbewerb mit anderen Organisationen für unsere Bewerber am interessantesten ist“, fordert Hahn. Das sei nicht leicht. „Wenn es aber gelingt, dass das Sondervermögen erfolgreich und sinnvoll zu investieren, dann wäre das die beste Werbung für unsere Bundeswehr.“ Darauf hofft auch das Verteidigungsministerium.

Die Bundeswehr setze außerdem „auf die stete Optimierung der personalwerblichen Ansprache“, erläutert die Ministeriumssprecherin. Angesprochen auf die Werbevideos der Bundeswehr mahnt die Wehrbeauftragte Högl dazu, den Alltag bei der Bundeswehr „realistisch“ darzustellen. Die jungen Leute dürften nicht mit einer „schönen Showveranstaltung“ angelockt werden, „und dann ist die Realität eine ziemlich brutale, andere als in den Filmchen“. Bei der Personalwerbung müsse deutlich werden: „Soldat, Soldatin ist kein Job wie jeder andere.“

Pilotprojekt: Rekruten bei den Fallschirmjägern dürfen später aufstehen

Ach ja, das frühe Aufstehen. Die Bundeswehr hat das Pilotprojekt Null-800 gestartet: Ab April dürfen die Rekruten des Fallschirmjägerregiments 26 in Merzig im Saarland eine Stunde länger schlafen und ihren Dienst erst um 8 Uhr antreten. Erst wenn sie sich an den Bundeswehralltag gewöhnt haben, müssen sie früher aufstehen. Den Gedanken dahinter erläutert der zuständige Kompaniefeldwebel: „Wenn ich mich auf einen Marathon vorbereiten will, fange ich ja am ersten Tag auch nicht mit einem Halbmarathon an.“ Klar ist: Bei der Suche nach geeigneten Soldaten braucht die Truppe einen langen Atem.

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