Berlin. Auch der Bau von Autobahnen muss beschleunigt werden. Verkehrsminister Wissing hat recht – und doch ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Es knirscht gewaltig in der Ampel. Gerade erst der Konflikt über die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine, jetzt eine verschärfte Auseinandersetzung um den Autobahnbau und demnächst vermutlich eine neue Runde in Sachen längere Akw-Laufzeiten: Vom Streiten verstehen sie etwas in der Berliner Koalition.

Am Donnerstagabend haben die Spitzen von SPD, Grünen und FDP mehrere Stunden zusammengesessen, um Meinungsverschiedenheiten in der Verkehrspolitik aus dem Weg zu räumen. Es ist ihnen nicht gelungen. Die Ampel will Planungsverfahren beschleunigen, damit das Klima besser geschützt und die marode Infrastruktur endlich modernisiert werden kann.

Autobahnen: Ist ihr Bau im „überragenden öffentlichen Interesse“?

Der Streit dreht sich im Kern um die Frage, ob auch der Neubau von Autobahnen beschleunigt werden soll, indem die Projekte künftig als Vorhaben im „überragenden öffentlichen Interesse“ gelten – wie bereits jetzt der Bau von Windparks und künftig Schienenprojekte, Brückensanierungen oder der Ausbau der Lade-Infrastruktur für Elektroautos. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) ist der Ansicht, dass das unbedingt sein müsse. Die Grünen, insbesondere in Person von Umweltministerin Steffi Lemke, sehen das anders.

Wissings Position wäre um einiges glaubwürdiger, wenn er bislang als Minister in Erscheinung getreten wäre, der es sehr ernst meint mit dem Klimaschutz. Im Verkehrssektor geht der Treibhausgas-Ausstoß nicht wie geplant zurück. Und obwohl er dazu verpflichtet ist, unternimmt der zuständige Minister zu wenig, um das zu ändern.

Die FDP hängt am Auto, das für sie Teil der Freiheit ist. Insofern verteidigt Wissing jetzt auch eines der letzten verbliebenen Markenzeichen der Liberalen. Von einem Tempolimit auf Autobahnen will er nichts wissen, obwohl die Klimawirkung beträchtlich wäre und der Sicherheitsgewinn auf den Straßen wahrscheinlich auch.

Tempolimit: Ein Kompromiss sollte möglich sein

Wer weiß: Vielleicht bewegt sich die FDP ja doch noch an dieser Stelle. Tempolimit gegen Planungsbeschleunigung – das wäre ein Kuhhandel, der sich in der Öffentlichkeit sogar gut verkaufen ließe. In zwei Wochen wird im Land Berlin gewählt. Im Wahlkampf geht es unter anderem um eine mögliche Verlängerung der Stadtautobahn A100 mitten durch dicht besiedelte Innenstadtbezirke, den die FDP und der Bundesverkehrsminister wollen. Spätestens nach dem Urnengang sollten die Koalitionäre im Bund genug Ansatzpunkte für einen Kompromiss haben.

Unabhängig davon ist es so, dass in Deutschland Infrastrukturprojekte tatsächlich deutlich schneller umgesetzt werden müssen als bisher. Das gilt auch für Straßen im Allgemeinen und Autobahnen im Besonderen. Längst nicht jeder Bürger wohnt in der Nähe eines Bahnhofs, geschweige denn eines ICE-Halts. Die Wirtschaft braucht gute, leistungsfähige Verkehrsverbindungen. Auch im Autobahnnetz gibt es noch Lücken, wobei aber nicht jeder Lückenschluss nur deshalb vorgenommen worden muss, weil er vor vielen Jahren einmal vorgesehen war.

Verkehr: Vorrang für die Schiene

Es gibt mehr als genug zu tun bei den deutschen Autobahnen, deren Zustand aufgrund eines gigantischen Investitionsstaus vielerorts erbärmlich ist. Wenn etwas im überragenden öffentlichen Interesse ist, dann die Sanierung bestehender Verkehrswege. Sie sollte in jedem Fall Priorität vor Neubau haben. Und wenn Verkehrspolitiker vor der Frage stehen, ob sie knappe Mittel vorrangig für die Schiene oder für die Straße ausgeben, dann sollte die Schiene so oft wie möglich den Zuschlag erhalten. Sie ist klimafreundlicher und flächenschonender. Und sie ist besser als die Straße dazu geeignet, das steigende Verkehrsaufkommen zu bewältigen.