Washington. Die USA-Reise hat sich für den ukrainischen Präsident Selenskyj gelohnt. Er bekommt Militärhilfe, vor allem das Abwehrsystem Patriot.

Vor 81 Jahren war der britische Premierminister Winston Churchill nach Washington gereist, um vor dem Kongress zu reden und mit Präsident Franklin Delano Roosevelt mehrere Wochen lang über den weiteren Verlauf des Zweiten Weltkriegs zu beraten. Nun ein weiterer historischer Besuch - seine erste Auslandsreise seit dem Kriegsbeginn - die der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in der Hoffnung angetreten hatte, von den USA mehr militärische und humanitäre Hilfe zu erhalten, um den russischen Aggressor zu bekämpfen und sein Volk gegen die Folgen der endlosen Attacken abzufedern.

Selenskyj bekam in Washington nicht nur großzügige Zusagen für mehr Geld, Waffen und Raketenabwehrsysteme. Auch gelang es ihm, für die Menschen im fernen Amerika dem Krieg eine persönliche Note zu verleihen.

Selenskyj in Washington: Streng abgesicherte Reise in die USA

Angekommen war der hohe Gast aus der Ukraine am frühen Nachmittag auf dem Luftwaffenstützpunkt Andrews Air Force Base. Vorausgegangen war dem Flug an Bord einer Boeing C-40B der US-Luftwaffe eine Odyssee aus dem Donbass: Beginnend mit einer Zugfahrt Zug in die polnische Grenzstadt Przemysl und der Weiterreise in einer gepanzerten US-Limousine in die Stadt Rzeszow. Von dort aus startetete unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen und militärischem Geleitschutz der neunstündige Flug in die US-Hauptstadt.

Auf dem "Joint Base Andrews", eine knappe halbe Stunde außerhalb von Washington, wurde Selenskyj von einer kugelsicheren Limousine des Secret Service zur 1600 Pennsylvania Avenue begleitet, wo unter strahlend blauem Himmel Präsident Joe Biden und Ehefrau Jill auf seine Ankunft warteten. US-Präsident Biden legte seinen Arm auf Selenskyjs Schulter, flüsterte ihm ein paar Worte zu und begleitete seinen ukrainischen Amtskollegen ins Oval Office, wo sie über zwei Stunden lang über den weiteren Verlauf im Ukraine-Krieg, strategische Zusammenarbeit und vor allem amerikanische Hilfe diskutierten. Lesen Sie auch: "Time"-Magazine kürt Selenskyj zur Person des Jahres

Selenskyj in Washington von US-Präsident Biden empfangen
Selenskyj in Washington von US-Präsident Biden empfangen

Selenskyj trifft Biden: Zusage für Patriot-Abwehrsystem

Bei der anschließenden Pressekonferenz löste Biden dann ein Versprechen ein, das schon seit Monaten auf der Wunschliste seines Gastes gestanden hatte: Als Teil eines weiteren Hilfspakets im Wert von 1,85 Milliarden Dollar würden die USA ein Patriot-Flugabwehrsystem liefern, das einen bedeutenden Beitrag leisten soll, um russische Luftangriffe zu neutralisieren. Vor allem dann, wenn Russlands Präsident Wladimir Putin sich irgendwann entscheiden sollte, Kiew zu attackieren, und das ist nach Ansicht von US-Militärexperten nur eine Frage der Zeit.

Biden sicherte Selenskyj den größtmöglichen Beistand bei der Verteidigung gegen Russland zu. Es sei für ihn wichtig, zu wissen, "dass wir alles in unserer Macht stehende tun werden (...), um seinen Erfolg zu sichern", sagte Biden bei der gemeinsamen Pressekonferenz. Wladimir Putin sei in der Ukraine bereits gescheitert und werde wieder scheitern, so Biden weiter. Wann es zu Friedensgesprächen komme, sei die freie Entscheidung Selenskyjs. "Jetzt ist die Zeit, in der wir diesen Präsidenten in die Lage versetzen müssen, entscheiden zu können, wie er den Krieg beenden will", betonte Biden. Die bedingungslose militärische Unterstützung für Kiew sei daher unausweichlich.

Selenskyj machte eines deutlich: Territoriale Kompromisse wird es mit ihm nicht geben. Er schlage einen globalen Friedensgipfel vor, bei dem es um die Herstellung der territorialen Unversehrtheit und internationalen Ordnung gehen müsse. Über Kremlchef Putin äußerte sich das ukrainische Staatsoberhaupt einmal mehr abfällig. Putin habe 2019 bei einem Treffen zum Ukraine-Krieg gelogen mit der Aussage, keinen Krieg zu wollen. Putin gehöre heute "nicht mehr zu den zivilisierten Menschen".

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Am Abend dann der mit Spannung erwartete Höhepunkt des vorweihnachtlichen Besuchs: Selenskyjs Rede vor beiden Kammern des US-Kongresses. 24 Minuten lang richtete er einen leidenschaftlichen Appell nicht nur an jene Politiker, von denen er sich mehr Geld und Waffen erhoffte, sondern an alle Amerikaner. "Ich hoffe, dass meine Worte von Dankbarkeit und Respekt in jedem amerikanischen Herzen eine Resonanz finden" sagte Selenskyj.

US-Vizepräsidentin Kamala Harris (oben l) und Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses, applaudieren für Selenskyj.
US-Vizepräsidentin Kamala Harris (oben l) und Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses, applaudieren für Selenskyj. © Carolyn Kaster/AP/dpa

Er erinnerte an das bevorstehende Weihnachtsfest, bei dem Millionen seiner Landsleute ohne Strom, Heizung oder warmes Wasser sein würden, den Kampf aber nicht aufgeben und trotzdem feiern würden. Auf geschickte Weise verband Selenskyj emotionale Beschreibungen von Leid und Elend mit politischen Forderungen an sein Publikum. Schließlich seien die USA selbst das leuchtende Beispiel eines Landes, das niemals den Kampf aufgegeben habe und heute als angesehene Demokratie, als respektierter Wohlstandsstaat dastehe.

Selenskyj bei Biden: Standing Ovations für ukrainischen Präsidenten

Selenskyj zog Parallelen zum Kampf gegen die Nazis und selbst die Schlacht von Saratoga, die während des US-Unabhängigkeitskrieges als Wendepunkt im Kampf gegen die britische Kolonialmacht galt. Raffiniert auch der Versuch, die Bedrohung für wichtige US-Verbündete zu illustrieren. So setze der "russische Tyrann" Putin iranische Drohnen, die amerikanische Teile enthalten, einsetzen, um die ukrainische Infrastruktur in Trümmer zu legen. "Ein Terrorist findet den anderen", spielte er auf Moskau und Teheran an, womit er hoffte, auch Sympathien seitens der Republikaner zur gewinnen. "Wenn wir das nicht stoppen, dann werden sie auch Amerikas Verbündete angreifen."

In anderen Worten: Die Ukraine und die USA sitzen doch eigentlich in einem Boot. Immer wieder wurde Selenskyj von stehenden Ovationen unterbrochen. Lediglich eine Hand voll Republikaner, die mehr Hilfe für die Ukraine ablehnen, verweigerten den Applaus. Dann konkrete Wünsche: "Ja, wir haben Artillerie, aber ist es genug? Ehrlich gesagt, nein", machte Selenskyj deutlich – nicht gerade subtil.

Auch unterstrich der ukrainische Regierungschef, dass sein Land mehr als ein Patriot-Luftabwehrsystem brauchen würde. Er schloss mit den Worten "Frohe Weihnachten und ein glückliches, siegreiches neues Jahr!", ein weiterer Aufruf also zu verstärkter Kooperation. Dann überreichte die demokratische Mehrheitsführerin Nancy Pelosi dem Gast aus Kiew jenes gerahmte Sternenbanner, das Selenskyj und seiner Nation zu Ehren den ganzen Tag über dem Kapitol geweht hatte. (mit Material von dpa)

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