Washington/Atlanta. Walker gegen Warnock: Warum bei der Stichwahl im südlichen US-Bundesstaat über mehr entschieden wird als die Mehrheiten im Senat.

Wenn man sich vor Augen führt, dass unter den rund 2000 Männern und Frauen, die es in der Geschichte der USA in den Senat in Washington geschafft haben, nur elf Schwarze sind, dann ist die Stichwahl an diesem Dienstag in Georgia bereits jeden Medienscheinwerfer wert.

Berücksichtigt man dann noch, dass mit dem Ergebnis der bereits schwer angekratzte Ruf von Donald Trump als Königsmacher der Republikaner und ungeliebter Kandidat für die Präsidentschaftsbewerbung 2024 möglicherweise irreparablen Schaden nehmen kann, ergibt sich besonderes Interesse.

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Weil sie bei den „Midterm”-Wahlen vor einem Monat nicht die erforderlichen 50 Prozent der Stimmen erreichten, müssen sich der amtierende Senator Raphael Warnock (Demokraten) und der Republikaner Herschel Walker (60) im 11-Millionen-Einwohner-Staat erneut den Wählern stellen. Beide sind Afro-Amerikaner. Umfragen nach liegt Warnock im Bereich der Irrtums-Marge drei Prozentpunkte vor seinem Herausforderer. Es wird also knapp.

USA: Trump drückte seinen Kandidaten durch

Warnock, politisch ausgeschlafen, predigt im Hauptberuf an der Ebenezer Baptist Church in Atlanta, wo die Bürgerrechts-Ikone Martin Luther King von der Kanzel sprach. Walker war in jungen Jahren Star der Football-Mannschaft der Universität von Georgia (und danach ein hoch dotierter NFL-Profi). Er kam zu seinem politischen Seiteneinsteiger-Versuch wie die Jungfrau zum Kinde. Sein politischer Vater: Donald Trump.

Der Ex-Präsident, der just durch hanebüchen verfassungsfeindliche Äußerungen neue Entrüstung ausgelöst hat, drückte Walker im Sommer gegen den Rat des regionalen Partei-Establishments als Kandidat für die Midterm-Wahlen durch. Obwohl sich Walker selbst als „nicht sonderlich schlau” charakterisiert und, offenbar nach so mancher Gehirnerschütterung als Footballspieler, unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung leidet.

USA: Walker fantasierte sich einen Uni-Schluss herbei

Was das bedeutet? Walker kann, höflich formuliert, mit Sinn und Verstand keine drei Sätze hintereinander reden. Er fantasierte einen Uni-Abschluss herbei. Und eine Tätigkeit als FBI-Agent. Weil er sich als unerschütterlicher Abtreibungsgegner darstellt, war das Entsetzen groß, als Walker von zwei Verflossenen beschuldigt wurde, ihnen die Schwangerschaftsabbrüche bezahlt zu haben. Drei außereheliche Kinder von drei verschiedenen Müttern haben seinem Selbstbild als „wertkonservativer Familien-Mensch” auch nicht unbedingt geholfen.

Bei Walkers Live-Auftritten empfindet man automatisch Fremdscham. Jeff Duncan, immerhin der stellvertretende republikanische Gouverneur des für seine Pfirsich-Produktion bekannten Südstaats, sagt offen, dass Walker „nicht das Format” für den Job in Washington habe und eine „Marionette Trumps” sei.

Ex-Präsident Donald Trump und Herschel Walker, der republikanische Kandidat für den Senat.
Ex-Präsident Donald Trump und Herschel Walker, der republikanische Kandidat für den Senat. © The Washington Post via Getty Images | The Washington Post

US-Wahl: Drängen auf nachträgliche Korrektur des Ergebnisses

Erick Erickson, ein einflussreicher republikanischer Radio-Influencer, der in Georgia lebt, hat zudem eine „starke Trump-Müdigkeit” wahrgenommen. Viele konservative Wähler reagierten noch immer verstimmt auf die schrillen Wahlbetrugs-Arien, die Trump seit 2020 singt - und auf seine semi-kriminellen Versuche, die obersten Wahlbeamten des Bundesstaates, allesamt Republikaner, nachträglich zur Korrektur des Wahlsieges von Joe Biden zu drängen.

An dieser Stelle wird es delikat. Brian Kemp (damals Gouverneur) und sein Innenminister Brett Raffensberger widerstanden den mafiösen Praktiken Trumps, der am Telefon ernsthaft um nachträgliche Beibringung von knapp 12.000 Stimmen bat.

Trump hat sich in Georgia rar gemacht

Trump hat sie darum zu Quasi-Staatsfeinden stilisiert. Morddrohungen waren die Folge. Aber: Beide wurden am 8. November mit rauschendem Vorsprung wiedergewählt. Dass vor allem Kemp 200.000 republikanische Stimmen mehr erhielt als der auf dem gleichen Wahlzettel stehende Herschel Walker wurde als „Tritt vor Trumps Schienbein gewertet”, so die Zeitung „Atlanta Constitution Journal”.

Das dürfte ein Grund sein, weshalb Trump sich in Georgia rar gemacht hat. Eine große Kundgebung, wie sie bei solchen Schlüsselwahlen üblich ist, mit Walker gab es nicht. Dagegen bot die andere Seite Ex-Präsident Barack Obama auf, der wirkungsvoll für Pfarrer Warnock die Werbetrommel rührte. Aber Trump hat noch mehr getan.

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Er behandelt seinen Schützling de facto wie eine Waise. Aus seinem 100 Millionen Dollar schweren Wahlkampfspenden-Topf hätte Trump Walker spielend eine nennenswerte Summe zukommen lassen können. Tat er aber nicht. Was dazu führt, dass die lokalen TV-Sender zwischen Savannah und Atlanta im Minuten-Takt Negativ-Werbung über Walker aus der Demokraten-Manufaktur von Raphael Warnock senden. Umgekehrt sieht es mau aus.

Walker: „Ich will ein Werwolf sein“

Herschel Walker macht es dem Gegner aber auch kinderleicht. Vor laufender Kamera verwechselte er kürzlich penetrant das englische Wort für Wahl (Election) mit einer bestimmten männlichen Körper-Reaktion: „erection”. Dann parlierte er unter freiem Himmel dadaistisch über die Vorzüge von Werwölfen gegenüber Vampiren und bekannte: „Ich will ein Werwolf sein.”

Gewinnt Warnock und kommen die Demokraten im Senat so auf 51 Sitze (statt bisher 50), hat Präsident Joe Biden mehr Gestaltungsspielraum, um unsicheren Kantonisten in den eigenen Reihen wie Senator Joe Manchin aus West-Virginia die Wucht zu nehmen. Auch nähme das Störpotenzial der Republikaner in wichtigen Ausschüssen ab und Vizepräsident Kamala Harris müsste nicht wie bisher bei 50:50-Stimmen das Zünglein an der Waage spielen.

Donald Trump hingegen müsste bei einer Schlappe für Walker mit noch mehr Widerstand gegen seine Kandidatur in zwei Jahren rechnen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.