Washington. Der Sieg der Republikaner im Repräsentantenhaus stellt Joe Biden vor Probleme. Lässt sich der Stillstand der Supermacht verhindern?

Das fast schon globale Aufatmen über das Zurückdrängen destruktiver Demokratie-Verächter „made by Donald Trump” bei den Halbzeit-Wahlen in den USA weicht dem bangen Blick auf die triste Wirklichkeit, wenn im Januar der Kongress in Washington mit geteilten Mehrheiten ans Werk gehen muss.

Dauer-Stress, Showdowns, Alarmismus, Paralyse, Blockade, ja Chaos scheinen programmiert, wenn sich Demokraten und Republikaner die Macht teilen müssen. Und das ist wirklich das Letzte, was ein Land gebrauchen kann, dessen Nerven ohnehin frei liegen.

USA: Verfassungsväter fürchteten die Tyrannei der Mehrheit

„Divided government”, das im deutschen Parlamentarismus unbekannte Modell, bei dem eine Partei (in diesem Fall die Demokraten) das Weiße Haus und den Senat, die andere das Repräsentantenhaus beherrscht, ist zwar im liberalen Sinne der Verfassungsväter aus dem 18. Jahrhundert. Sie fürchteten nichts so sehr wie die Tyrannei der Mehrheit. Und auch viele der Zentralregierung misstrauisch gegenüber eingestellten Wähler können der Konstellation, in der eine Partei in allen drei Machtzentren „durchregieren” kann, immer weniger abgewinnen.

Dirk Hautkapp
Dirk Hautkapp © Privat

Allerdings funktioniert diese Regierungsform nur dann, wenn beide Seiten grundsätzlich an begrenzter Kooperation interessiert sind und sich reiner Verhinderungstaktik verschließen, die erfahrungsgemäß zu einem gelähmten Präsidenten und einem „Tunix”-Parlament führt.

USA: Wie hältst du es mit Trump?

In der aktuellen Fallstudie, die klar umrissen ist, seit sich die Republikaner mit Ach und Krach über die nötige Hürde von 218 Mandaten im Repräsentantenhaus geschleppt haben, die Senatsverhältnisse standen schon vorher fest, besteht wenig Anlass zu Optimismus. Jedenfalls, was die vor schweren Zerreißproben (Wie hältst Du`s mit Donald Trump 2024?) stehenden Republikaner angeht.

Hier stehen die Zeichen auf Rachefeldzug und Rückabwicklung. Die Konservativen, angefeuert durch den rund 50-köpfigen „Freedom Caucus”, eine Fraktion von Trump-nahen Radikalen und Wahl-Leugnern, werden Joe Biden bis 2024 permanent blockieren und mit boshaften Untersuchungen (Afghanistan-Abzug, illegale Einwanderung) bis hin zu einem Amtsenthebungsverfahren piesacken. Pragmatische Gesetzgebung im Sinne der Wähler, die ihre Alltagssorgen (Stichwort Inflation) betreut wissen wollen, ist fast nirgends in Sicht.

McCarthy hat sich an Trump gekettet

Dass einige dieser „Volksvertreter” bereits heute offen damit drohen, die obligatorische Anhebung der Schuldenobergrenze zu verweigern, was zu einem partiellen Stillstand der Bundesverwaltung und im ungünstigen Fall zur Zahlungsunfähigkeit der Vereinigten Staaten führen kann, wenn sie ihren Willen nicht bekommen, ist ein ernstes Alarmsignal.

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Ebenso – aus europäischer Perspektive – die wahrscheinlich im ersten Halbjahr 2023 dem Weißen Haus abgetrotzte Kurskorrektur bei der Ukraine-Politik. Ein nennenswerter Flügel der republikanischen Fraktion will die bereits heute 60 Milliarden Dollar überschreitenden Militär-Hilfen für Kiew im Kampf gegen Russland massiv eindampfen. Was Berlin, Paris, London und Brüssel automatisch betreffen würde.

In dieser Lage wäre ein über viele Zweifel erhabener „Speaker” im Repräsentantenhaus Gold wert. Kevin McCarthy aber, wenn er die Kritiker in den eigenen Reihen überhaupt hinter sich versammeln kann, wird die Rolle als Nr. 3 im Staate und wichtigster Gegenspieler von Joe Biden kaum verantwortungsvoll ausfüllen können. Warum? Er hat sich an Donald Trump gekettet. Wie sagt der noch so maliziös? „Mein Kevin…”.

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.