Berlin . Das erste Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft ist ein großer Erfolg. Wird daraus sogar eine Neuordnung Europas?

Das ist eine schmerzhafte Botschaft für Russlands Präsident Putin: Ganz Europa rückt jetzt angesichts des russischen Angriffskriegs zusammen. Das erste Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Prag war überhaupt nur möglich, weil die Nachbarn der EU wegen der Aggression Russlands ein erhöhtes Interesse an Zusammenarbeit haben. Putin hatte das Gegenteil im Sinn: Er wollte die EU spalten, setzte auf Uneinigkeit der Europäer. Er hat sich wieder geirrt.

So wie der Kremlherrscher ungewollt den Eilbeitritt Finnlands und Schwedens zur Nato auslöste, fördert er unfreiwillig auch die engere Kooperation der Europäer. Sicher, schon die Teilnahme des türkischen Präsidenten Erdogan, der sich im Ukraine-Konflikt selbstbewusst als Vermittler profiliert und den Sanktionskurs des Westens hintertreibt, signalisiert, dass daraus kein reines Anti-Putin-Bollwerk wird. Darauf kommt es auch nicht an.

Macrons Vorstoß war diesmal ein Vorteil

Christian Kerl, Brüssel-Korrespondent
Christian Kerl, Brüssel-Korrespondent

Aber dass sich 44 Staats- und Regierungschefs mit höchst unterschiedlichen Interessen überhaupt in einer neuen, wenn auch losen Gemeinschaft ohne Russland zusammenfinden, ist ein Erfolg.

Es zeigt zugleich den enormen Gesprächsbedarf angesichts einer von Putin zertrümmerten Sicherheitsordnung in Europa. Als Plattform für den Austausch etwa über Sicherheit, Energie oder Wirtschaft ist die Gemeinschaft ein politischer Quantensprung für den Kontinent. Kurzfristig geht es der Europäischen Union um Stabilität in der Nachbarschaft. Langfristig kann viel mehr daraus werden.

Frankreichs Präsident Macron, von dem der Vorschlag stammt, hat die Idee wie üblich nicht ausbuchstabiert. Diesmal erweist sich die französische Methode der vagen Vorstöße als Vorteil, weil sich bis auf weiteres alle Teilnehmer dahinter versammeln können.

Die EU kann mittelfristig keine neuen Mitglieder aufnehmen

Nicht alle tun es mit derselben Begeisterung: Im Westen fragen einige, welchen Stellenwert die EU-Standards in diesem Club haben werden, dem auch weniger lupenreine Demokratien angehören. Im Osten und Südosten Europas fürchten die zehn Staaten, die der EU beitreten wollen, sie sollten im ewigen Wartesaal mit einer Mitgliedschaft zweiter Klasse abgespeist werden. Macron und viele andere EU-Politiker bestreiten das.

Aber: In Wahrheit befeuert die Gemeinschaft die Debatte um Vertiefung und Erweiterung der Union – und lässt die von Paris befürwortete Idee eines Europas der zwei Geschwindigkeiten in neuem Licht erscheinen. Denn die EU ist mittelfristig überhaupt nicht in der Lage, neue Mitglieder aufzunehmen. Entscheidungen dauern schon jetzt zu lange und werden zu oft blockiert, Reformen sind in diesem Jahrzehnt aber kaum zu erwarten. Viele bitterarme Kandidaten werden andererseits auf lange Sicht die EU-Standards nicht erfüllen.

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Darum ist die neue Europäische Politische Gemeinschaft eine große Chance

Für eine Reihe von Jahren könnte die neue EPG als Club dienen, der begrenzte Teilhabe an der EU bietet, ohne die Brüsseler Organisation zu lähmen, der ein neues europäisches Gemeinschaftsgefühl herstellt und Ländern wie Großbritannien, die gar nicht EU-Mitglied sein wollen, Zusammenarbeit auf Augenhöhe anbietet. Der EU droht andernfalls die Überforderung, wenn sie allein mit immer neuen Erweiterungen den Kontinent strukturieren soll.

Die Politische Gemeinschaft könnte für Entlastung sorgen – diplomatisches Geschick der Unionsspitzen vorausgesetzt. Auch Kanzler Scholz und seine Bundesregierung sollten das Projekt entschiedener unterstützen. Es steht viel auf dem Spiel: Die Chance einer Neuordnung Europas und das Risiko bitterer Enttäuschungen liegen dicht beieinander.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf www.morgenpost.de.