Berlin. Putin versucht, mit der Annexion Fakten zu schaffen. Das erfordert mehr Schulterschluss des Westens, meint Chefredakteur Jörg Quoos.

Der Ukraine-Krieg erreicht eine neue Dimension und zerstört die erschreckend naive Vorstellung von vielen, dass die erfolgreichen Rückeroberungen der ukrainischen Armee schnell zu einem Ende des Krieges führen könnten.

Wladimir Putin regiert Russland mit Unterbrechung seit dem Jahr 2000. Die meisten Jahre davon mit eiserner Hand, die sich sofort an die Gurgel von innenpolitischen Gegnern oder abtrünnigen Oligarchen legt, wenn sie offenen Protest wagen. Wladimir Putin war KGB-Offizier und vielleicht überfordert, mit seinen schlechten Generälen eine funktionierende militärische Strategie für den Überfall auf die Ukraine zu entwickeln. Aber Putin kennt als Geheimdienstmann die Mittel der asymmetrischen Kriegsführung. Den Krieg der Finten, des Terrors, die Einsätze der „grünen Männchen“, ohne Hoheitsabzeichen oder Status des regulären Kombattanten. Eine Taktik, die Russland unter Putin an vielen Schauplätzen schon angewandt hat.

Dieser Präsident ist wie kein Zweiter in der Lage, einen schmutzigen Krieg zu führen, für den reguläre Armeen nicht trainiert sind. Daher ist es kein Wunder, wenn er jetzt unter Verdacht gerät, mit den Explosionen an den Ostsee-Pipelines in Verbindung zu stehen. Auch wenn weiter gilt, dass ein Beweis noch erbracht werden muss.

Putin versucht, den Westen mit Fakten zu überrumpeln

Jörg Quoos Chefredakteur der Funke-Zentralredaktion
Jörg Quoos Chefredakteur der Funke-Zentralredaktion © FMG | FMG

Zu Putins Kunst, mit Finten Krieg zu führen, zählen auch die scheindemokratischen Referenden, bei denen bewaffnete russische Soldaten Ukrainerinnen und Ukrainer mit Wohnungsbesuchen zur Abstimmung nötigen und bei denen „Stimmzettel“ in gläsernen Boxen eingesammelt werden.

Schon jetzt steht fest, dass die Duma spätestens nächste Woche den Beitritt der besetzten ukrainischen Gebiete zum russischen Staatsgebiet erklären wird. Auch hier versucht Putin, den Westen mit Fakten zu überrumpeln. Dabei muss die Ukraine weiter jedes Recht haben, das eigene Territorium zurückzuerobern.

LandUkraine
KontinentEuropa
HauptstadtKiew
Fläche603.700 Quadratkilometer (inklusive Ostukraine und Krim)
Einwohnerca. 41 Millionen
StaatsoberhauptPräsident Wolodymyr Selenskyj
RegierungschefMinisterpräsident Denys Schmyhal
Unabhängigkeit24. August 1991 (von der Sowjetunion)
SpracheUkrainisch
WährungHrywnja

Dass sie es versuchen wird, liegt auf der Hand: Präsident Selenskyj kann weder eigenes Gebiet einfach aufgeben noch zusehen, wie russische Kommandeure zwangsrekrutierte Ukrainer zwingen, auf die eigenen Leute zu schießen. Nie war die Unterstützung der territorialen Inte­grität der Ukraine wichtiger als in dieser heißen Phase der Russifizierung.

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Da keine Strategie – weder die asymmetrische Kriegsführung noch völkerrechtswidrige Annexionen – verfangen darf, muss die westliche Allianz die Reihen noch enger schließen, damit die Lage nicht gefährlicher wird, als sie ohnehin schon ist.

Ukraine-Annexion: Jegliche Anerkennung verbietet sich

Gemeinsam muss die kritische Infrastruktur gesichert werden, damit demnächst nicht weitere Pipelines oder Glasfaserverbindungen gekappt werden. Dazu müssen die beteiligten Marinen schnell Sicherungskonzepte entwickeln und ihre Präsenz faktisch und auch symbolisch erhöhen – unabhängig davon, ob die russische Marine oder vielleicht unbekannte Militärs mit eigener Agenda hinter den Anschlägen stehen.

Und bei der gewalttätigen Aneignung von ukrainischem Staatsgebiet kann es nur eine Botschaft geben: Jeder einzelne Quadratmeter ist durch Russlands Armee völkerrechtswidrig einverleibt und jegliche Anerkennung verbietet sich. Die Ukraine dagegen hat jedes Recht, das eigene Staatsgebiet zurückzuerobern.

Je mehr Nationen diese Botschaft glasklar senden, umso riskanter sind für Wladimir Putin die Versuche, die angebliche „Heimaterde“ zu verteidigen.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.