Prag. Kanzler Scholz beschwört beim Staatsbesuch in Tschechien Einigkeit. Doch auch zu Hause gibt es Probleme. Viele davon sind hausgemacht.

Wenigstens das hat einigermaßen geklappt. „Kdy, když ne teď? Kdo, když ne my“, sagt Olaf Scholz gegen Ende seiner europapolitischen Rede in der großen Aula der altehrwürdigen Karls-Universität von Prag. „Nicht perfekt, aber verständlich“ seien die beiden Sätze des deutschen Bundeskanzlers gewesen, urteilt eine Zuhörerin. Da ist der Besucher schon auf dem Weg nach draußen, eine ursprünglich geplante Fragerunde mit Studentinnen und Studenten entfällt. Der Applaus für den Kanzler fällt mau aus.

„Wann, wenn nicht jetzt? Wer, wenn nicht wir?“, hatte Scholz auf Tschechisch gesagt. Knapp eine Stunde lang spricht der Kanzler über die Herausforderungen, vor denen Europa durch den russischen Angriff auf die Ukraine steht. Der SPD-Politiker beschreibt ein Europa, das politisch, wirtschaftlich und militärisch Mut zur Stärke haben muss, um sich in dieser Welt voller Konflikte, Krisen und Konkurrenz zu behaupten.

Russische Invasion prägt die Kanzlerschaft – Ukraine-Krieg ist Scholz' erste Front

Scholz wirbt für eine EU-Erweiterung nach Osten inklusive der Ukraine, wirbt für ein gemeinsames Luftverteidigungssystem in Europa und verspricht, Deutschland wolle Verantwortung für den Kontinent übernehmen. Vor der historischen Kulisse der Karls-Universität beschwört Scholz die Geschlossenheit, die Europa zeigen müsse. Russland unter Putin definiere sich in Gegnerschaft zur Europäischen Union. „Jede Uneinigkeit zwischen uns, jede Schwäche wird Putin ausnutzen“, warnt der Kanzler. Ob Scholz bei den Worten auch an seine eigene Koalition gedacht hat?

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Olaf Scholz ist ein Krisenkanzler – im mehrfachen Sinne. Vor bald neun Monaten hat der Sozialdemokrat sein Amt angetreten, der russische Angriff auf die Ukraine lag damals bereits in der Luft und hat die Regierungsarbeit der Ampel-Koalition von Anbeginn bestimmt. Ein denkbar schwerer Start für das Bündnis ungleicher Partner. Scholz hat jedoch auch seinen Teil dazu beigetragen, dass die Koalition kaum zur Ruhe kam. Einen rätselhaften Kommunikationsstil und Zögerlichkeit etwa bei der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine bekam Scholz auch aus den Reihen der Koalition vorgeworfen.

Eklat auf der Weltbühne: Abbas' Holocaust-Vergleich und Scholz wortloser Abgang

Zuletzt häuften sich die Pannen und Probleme: Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zieht im Kanzleramt einen Holocaust-Vergleich, der international für Empörung sorgt. Scholz steht daneben und widerspricht nicht direkt, weil sein Sprecher Steffen Hebestreit kurzerhand die Pressekonferenz beendet. Wenige Tage später wird Scholz von seiner Vergangenheit als Hamburger Bürgermeister eingeholt, als er erneut vor einem Untersuchungsausschuss zu seiner Rolle im Cum-Ex-Finanzskandal aussagen muss.

Scholz bleibt in der Befragung bei seiner Darstellung, dass er sich an den Inhalt mehrerer Gespräche mit Vertretern der Hamburger Warburg-Bank, die eine Schlüsselrolle in dem Skandal spielt, partout nicht erinnern könne. Unglaubwürdig findet das nicht nur die Opposition: Mehr als 70 Prozent der Deutschen glauben einer Umfrage dem Bundeskanzler seine Erinnerungslücken nicht. Selbst eine Mehrheit der SPD-Anhänger ist dieser Auffassung. Ein weiteres verheerendes Zeugnis für Scholz. Kürzlich landete er in einer Umfrage nicht nur hinter Vizekanzler Robert Habeck (Grüne), sondern auch hinter Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU), als nach dem geeignetsten Kanzler gefragt wurde.

Cum-Ex-Skandal haftet am Kanzler: Habeck und Merz in Umfragen vorn

Auch die SPD liegt in Umfragen hinter Grünen und Union. Von Kanzlerbonus keine Spur. Die Partei macht das offenbar nervös. Nun schossen sich mehrere SPD-Politiker auf Wirtschaftsminister Robert Habeck ein, dem gerade seine Gasumlage um die Ohren fliegt. Die zur Stabilisierung der Gasversorgung gedachte Sonderabgabe müssen die Verbraucher tragen. Das Problem: So wie die Umlage gestaltet ist, können sie auch Konzerne bekommen, die hohe Gewinne machen.


Im Video: Gasumlage: Die wichtigsten Informationen

„Handwerkliche Fehler“ warf SPD-Chef Lars Klingbeil dem Vizekanzler daher vor. Der Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion Dirk Wiese holte zur Blutgrätsche aus: „Das Prinzip Habeck geht so: Auftritte filmreif, handwerkliche Umsetzung bedenklich und am Ende zahlt der Bürger drauf.“ Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz nahm daraufhin Anlauf zum Revanchefoul und twitterte: Die „schlechte Performance“ des Bundeskanzlers, seine „miesen Umfragewerte“, die Erinnerungslücken im Cum-Ex-Skandal sowie die Verantwortung des Kanzlers für die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 könnten durch „unloyales Verhalten und Missgunst“ in der Koalition nicht geheilt werden.

Vor der Klausur im Schloss Meseberg: Große Erwartungen an Ampel-Koalition

Im Ampel-Bündnis kracht es. Dabei ist Zusammenarbeit derzeit so sehr gefragt, wie noch nie seit Amtsantritt der Koalition: In den kommenden Tagen wollen SPD, Grüne und FDP die dritte Entlastungsrunde für die Bürgerinnen und Bürger beschließen. Das Maßnahmenbündel soll bis weit ins nächste Jahr wirken und zur gesellschaftlichen Beruhigung beitragen. Die Erwartungen sind angesichts der dramatischen Lage hoch. Am Dienstag und Mittwoch begibt sich das Bundeskabinett erst einmal auf Schloss Meseberg in Klausur. Die Runden in der Beschaulichkeit Brandenburgs dienen traditionell auch immer dem Teambuilding.

Zum Abschluss seines Besuchs in Prag tritt Scholz mit Ministerpräsident Petr Fiala vor die Presse. Ob ihm die Zerstrittenheit der Koalition Sorge bereite, wird der Kanzler gefragt. „Wir arbeiten sehr eng und sehr gut zusammen“, antwortet Scholz. „Das wird sich in dieser Woche auch bei vielen Gelegenheiten nochmal neu zeigen.“ Die Entscheidung über weitere Entlastungen stehe „unmittelbar“ bevor.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.