Berlin. Das Bundesamt für Migration will die Lage in Syrien neu bewerten. So lange stellt es Entscheidungen über Asylverfahren erstmal zurück.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat seit mehreren Wochen die Asylentscheidungen für einen beträchtlichen Teil der Syrer vorerst gestoppt. Das bestätigte das Bundesinnenministerium auf Nachfrage unserer Redaktion.

Laut Innenministerium werden derzeit Entscheidungen über Asylverfahren „zurückgestellt“, „in denen die vorgesehenen Änderungen der Leitsätze für das Bamf entscheidungsrelevant“ wären. Flüchtlingsorganisationen befürchten, dass das Bundesamt künftig deutlich stärker Asylsuchende aus Syrien ablehnt, weil laut Bundesamt nicht mehr in allen Regionen Landes ein bewaffneter Konflikt herrsche.

Nach Informationen unserer Redaktion geht es vor allem um Antragsteller aus Syrien, die vom Bamf in der Regel den „subsidiären Schutz“ nach Paragraf 4 des Asylgesetzes zugesprochen bekommen haben. Ist ein Antragsteller einer ernsthaften Gefahr wie etwa Kriegshandlungen, Todesstrafe oder Folter in seiner Heimat ausgesetzt, so bekommt die Person vom Bundesamt in der Regel „subsidiären Schutz“ zugesprochen.

An dieser Stelle hat das Amt bereits Mitte März die amtsinternen Leitsätze aktualisiert und somit die Sicherheitslage für Syrien-Flüchtlinge neu bewertet. Als vorgesetzte Behörde hat das Innenministerium nach eigenen Angaben jedoch „noch keine abschließende Entscheidung“ über die neuen Leitsätze getroffen. „Diese soll zeitnah erfolgen“, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Allerdings liegt die vom Bamf vorgeschlagene Neubewertung der Leitsätze schon seit Wochen im BMI. Noch würden die „aktualisierten Leitsätze“ nicht angewandt, gab auch das Bamf auf Nachfrage bekannt.

Uneinigkeit in der Regierung?

Asylentscheider prüfen jede Fluchtgeschichte eines Antragstellers individuell – vor allem in einem Interview, mit Sprachtests, aber auch durch Dokumente, die der Asylsuchende vorlegt.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). © dpa | Daniel Karmann

Zentral für die Entscheidung, ob ein Mensch in Deutschland bleiben darf, sind jedoch auch die internen Leitsätze, mit denen Asylentscheider des Bamf die Sicherheitslage in dem Herkunftsland eines Menschen bewerten sollen. Sie sind intern, werden regelmäßig aktualisiert und sollen den Entscheidern eine Orientierung vor allem über die Sicherheitslage in dem Land des jeweiligen Asylsuchenden geben.

In Deutschland suchen insgesamt immer weniger Flüchtlinge Schutz. Die Zahl der Asylanträge sinkt weiter – zum dritten Mal in Folge.

Gibt es einen Streit in der Bundesregierung darüber, wie sicher Syrien etwa nach der militärische Niederlage der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ ist – und damit einen Streit über die Leitsätze des Bamf?

Nach Informationen unserer Redaktion strebt das Innenministerium noch in der kommenden Woche eine Abstimmung mit dem Außenministerium über die Einschätzung der Sicherheitslage in Syrien an. Das Auswärtige Amt hatte Ende 2018 einen „Lagebericht“ zur Situation in Syrien vorgelegt und darin auch festgehalten, dass „in keinem Teil Syriens ein umfassender, langfristiger und verlässlicher Schutz für verfolgte Personen“ bestehe. Eine offizielle Neubewertung des Konflikts in dem Kriegsgebiet gibt es durch das Außenministerium bisher nicht.

17.411 Fälle von „subsidiären Schutz“

2018 erteilte das Bamf nach eigenen Angaben 17.411 Menschen aus Syrien diesen „subsidiären Schutz“. Insgesamt entschied das Bundesamt 2018 über 43.875 Anträge von Syrern. 18.245 Antragsteller wurden als verfolgte Flüchtlinge und Asylsuchende anerkannt. 69 Syrer wurden abgelehnt.

Über Anträge von Syrern wird laut Innenministerium auch jetzt weiterhin entschieden, wenn diese als verfolgte Flüchtlinge oder Asylsuchende anerkannt werden. Auch Fälle, in denen nach der sogenannten „Dublin-Verordnung“ ein anderer europäischer Staat für das Asylverfahren eines Syrers zuständig ist, werden demnach weiter entschieden. Alle von den nun durch die Änderungen in den Leitsätzen betroffenen Asyl-Fälle würden „bis zur Entscheidungsreife“ bearbeitet, aber jedoch noch nicht endgültig beschieden, so das Ministerium.

Wird bald nach Syrien abgeschoben?

Noch gilt ein Abschiebeverbot, das die Innenminister auf ihrer gemeinsamen Konferenz im November zunächst bis Ende Juni verlängert hatten. Flüchtlingshelfer und Asylanwälte befürchten nun, dass das Bamf vermehrt Syrern einen vorübergehenden Schutzstatus („subsidiärer Schutz“) in Deutschland verwehrt und Anträge von Geflüchteten aus Syrien ablehnt oder nur noch ein „nationales Abschiebungsverbot“ aus humanitären Gründen nach der Europäischen Menschenrechtskonvention ausspricht, etwa weil die Versorgungslage in weiten Teilen Syriens desolat ist.

In einem negativen Asylbescheid einer syrischen Frau von Ende März, der unserer Redaktion vorliegt, heißt es beispielsweise: „Nach Erkenntnissen des Bundesamtes kann derzeit nicht mehr in allen Landesteilen Syriens von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt ausgegangen werden.“ Abseits von den syrischen Metropolen Idlib, Teilen Aleppos, Raqqas und Deir ez-Zors sowie den Kurdengebieten seien Kampfhandlungen beendet.

Umstrittene Lagebewertung

Innerhalb der Parteien ist seit Längerem umstritten, ob überhaupt und wie sicher Menschen in Syrien leben können, ohne in ernsthafte Gefahr durch bewaffnete Konflikte, staatliche Willkür und Folter oder Gewalt durch Milizen zu geraten. Mehrere Politiker in der Union und der AfD sehen etwa aufgrund der militärischen Niederlage der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ sowie Rebellen-Milizen gegen die Regierungstruppen von Diktator Assad eher eine stabilere Lage in Syrien. Tenor: Nicht jeder aus dem Bürgerkriegsland muss automatisch Schutz in Deutschland erhalten.

Die Opposition von Grünen und Linken sieht das anders und verweist auf das Lagebild des Auswärtigen Amtes, das ein sehr brisantes Bild der Sicherheit in Syrien aufzeigt. Flüchtlingsorganisationen verweisen auf die zahlreichen Berichte über Tötungen, Folter und Willkür durch das Assad-Regime, aber auch durch bewaffnete islamistische Milizen.

FDP-Fraktionsvize Thomae kritisiert Stopp bei Asylentscheidungen für Syrer durch das Bamf

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae kritisiert den Stopp bei den Asylentscheidungen für Antragsteller aus Syrien durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. „Solange noch keine neue Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes vorliegt, gibt es keinen Grund, die Verfahren auf unbestimmte Zeit auszusetzen“, sagte Thomae unserer Redaktion.

„Wenn sich die Lage in Syrien ändert, kann der Schutz immer noch widerrufen werden.“ So würde dagegen die „Hypothek unerledigter Anträge erneut anwachsen“. (Christian Unger/FMG)