Zahl der Asylanträge sinkt weiter – zum dritten Mal in Folge
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Von Miguel Sanches
Berlin. In Deutschland suchen immer weniger Flüchtlinge Schutz. 2018 gab es rund 161.900 Asylerstanträge. Es ist der dritte Rückgang in Folge.
2018 betrug die Zahl der Asylanträge noch 185.853 – 16,5 Prozent weniger als im Jahr davor. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sieht darin einen Beleg dafür, dass seine Regierung die Zuwanderung „zunehmend in den Griff bekommen“ hat. Die Rückkehr zur Normalität stimmt einen Mann milde, der als Scharfmacher gilt.
Zu den neuen Tönen gehört, dass er erwägt, einem Teil der „geduldeten“ Migranten eine Bleibeperspektive zu geben, sofern sie länger als vier Jahre in Deutschland leben und einen Job sowie gute Integrationsaussichten haben. Er möchte nach eigenen Worten nicht, dass so jemand „abgeholt wird, um abgeschoben zu werden“. So eine Regelung könnte jedem Dritten der 180.000 Geduldeten zugutekommen. Weitere Zahlen, Daten, Fakten aus dem „Migrationsbericht“, den das Kabinett am Mittwoch verabschiedete.
Zwei Drittel kommen aus Europa
Für 2017 verzeichnet der Bericht 1,55 Millionen Menschen, die zu uns kamen, und 1,13 Millionen Fortzüge. Zwei Drittel der Zuzüge stammten aus europäischen Staaten, einschließlich Russland und Türkei. Hauptherkunftsländer: Rumänien, Polen, Bulgarien.
Wirrwarr um die Asylzahlen
Streng genommen wurden 2018 nur noch 130.000 Asylanträge gestellt. Teilweise kursieren höhere Zahlen. Sie sind nicht falsch, aber erklärungsbedürftig. Hinzugerechnet werden 32.000 Kinder, die schon in Deutschland geboren sind und bloß das Verfahren ihrer Eltern durchlaufen, sowie 23.922 Folgeanträge.
Dahinter verbergen sich aber nicht mehr Bewerber – es sind Zweitanträge. Zu dem Personenkreis muss man den regulären (35.000) und humanitären Familiennachzug (3500) sowie 3400 Härtefälle addieren. Davon zieht man die Rückführungen (23.500) und freiwilligen Rückkehrer (16.000) ab. Im Ergebnis landet Seehofer bei einem Asylzugang von 165.000 Menschen – klar unterhalb der Obergrenze (200.000), die seine Partei propagiert, und des Korridors zwischen 180.000 und 220.000 Migranten, den die große Koalition für vertretbar hält.
Neuer Fokus auf Spanien
Die Gründe für den Rückgang der Zahlen sieht der Minister in den Abmachungen der EU mit der Türkei, in der Sperrung der Balkanroute und in den Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze. Die Routen hätten sich indes geändert. Deutlich sei, „dass der Schwerpunkt zurzeit in Spanien liegt“.
Über 300.000 Fälle vor Gericht
Die Verfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dauern jetzt im Schnitt drei Monate, in den „Ankerzentren“ – Seehofers „Baby“ – 1,1 bis zwei Monate. Zwei Drittel der Anträge werden anerkannt. Die abgelehnten Bewerber ziehen nahezu ausnahmslos vor Gericht. Die Folge: 320.000 Verfahren vor Verwaltungsgerichten.
In 83 Prozent der Fälle entscheiden die Richter zugunsten des BAMF. Behördenchef Hans-Eckhard Sommer, ein ehemaliger Verwaltungsrichter, vermisst eine klare Linie – jedes Gericht entscheidet anders – und beklagt die Dauer der Prozesse, die sich oft ein Jahr oder länger hinziehen. Die meisten Kläger sind Afghanen und Syrer. Bei den Syrern geht es zumeist um einen besseren Status. Wer nur einen eingeschränkten „subsidiären Schutz“ hat, strebt die vorbehaltlose Anerkennung als Flüchtling an. Der Grund dafür ist, dass subsidiär geschützte Migranten schlechtere Aussichten haben, ihre Angehörigen zu sich zu holen.
BAMF droht eine neue „Welle“
Trotz sinkender Zahlen ist das BAMF weiter dabei, Stellen zu besetzen oder zu entfristen. Die Mitarbeiter haben genug zu tun, weil das Gesetz vorschreibt, jeden Bescheid nach drei Jahren zu überprüfen. Auf die Behörde kommen 750.000 Fälle zu – es ist die Folgewelle der sogenannten Flüchtlingsflut in den Jahren 2014 bis 2016. Sommer mahnt: „Das wird den Großteil unserer Ressourcen binden.“ Seehofers Haltung: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Jeder Fall soll sorgfältig überprüft werden. Für die Aufarbeitung der Asylanträge 2015, 16 und 17 macht er eine Ausnahme – und billigt der Behörde mehr Zeit zur Bearbeitung zu als das Gesetz eigentlich vorsieht.
Sichere Herkunftsstaaten
Unter den zehn wichtigsten Herkunftsländern der Migranten sucht man vergebens Marokko, Tunesien, Algerien oder Georgien. Trotzdem halten Union und SPD daran fest, sie zu „sicheren Herkunftsstaaten“ zu erklären, um Asylverfahren zu beschleunigen. Darüber tobt ein Streit im Bundesrat mit den grün-regierten Bundesländern, die das Gesetzesvorhaben ablehnen. Seehofer rechtfertigt den Konflikt nicht mit den absoluten Zahlen, sondern mit den Steigerungsraten. Die Zahl der Ausreisepflichtigen aus Algerien sei von 57 auf 504 gestiegen, die aus Tunesien von 17 auf 251, die aus Marokko von 61 auf 634.
Bei den Georgiern beobachten die Behörden einen Visa-Missbrauch – zwecks Asylantrag in Deutschland. Seehofer will die Abschiebungen ausweiten. Er stellt Entscheidungen der Koalition über Verschärfungen schon für die nächste Woche in Aussicht. Außerdem drängt er darauf, dass Asylbewerber, die falsche Angaben zu ihrer Identität machen, bestraft werden. Mit der Forderung kommt er bisher bei seinem Koalitionspartner nicht durch. Aber der CSU-Mann verspricht: „Wir werden an dem Brett weiter bohren“.
Die Träume der Flüchtlingskinder
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Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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