Diese sieben Dinge muss die große Koalition jetzt anpacken
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Lesezeit: 7 Minuten
Von Tim Braune, Julia Emmrich, Kerstin Münstermann und Philipp Neumann
Berlin. Die Zweifel an der Handlungsfähigkeit der GroKo wachsen weiter. Dabei gibt es viel zu regeln – auch beim zentralen Thema Migration.
Es sind schöne Worte, die auf Seite fünf des Koalitionsvertrages stehen. Das Vertrauen der Bürger in die Handlungsfähigkeit der Politik solle wieder gestärkt werden: „Dabei streben wir einen politischen Stil an, der die öffentliche Debatte belebt, Unterschiede sichtbar lässt und damit die Demokratie stärkt.“
Das Gezerre um die Personalie lähmte die GroKo, auch wenn es sich nur um einen „nachgeordneten Beamten“ handelt, wie es Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel ausdrückt. Die Causa Maaßen ist vorerst geklärt – der heftig umstrittene Geheimdienstchef wechselt als Staatssekretär ins Innenministerium.
Die Regierung kann sich damit wieder anderen Themen zuwenden – Vorhaben, um die sie sich dringend kümmern müsste, gibt es genug. Ein Überblick:
• Wohnen
Union und SPD sehen Mieten und Wohnen als neue „soziale Frage“ in Deutschland. Am Freitag wird es dazu bei der Kanzlerin ein Spitzentreffen mit Verbänden, Gewerkschaften und Experten geben. Bereits angelaufen ist das neue Baukindergeld, das Familien und Alleinerziehende mit Kindern bei der Staatsbank KfW beantragen können.
Pro Kind gibt es 12.000 Euro, ausgezahlt in zehn Jahresraten zu je 1200 Euro. Den Zuschuss gibt es für Verträge oder Baugenehmigungen, die von Januar 2018 bis Ende 2020 abgeschlossen werden.
Insgesamt könnte das Baukindergeld den Staat zehn Milliarden Euro kosten. Topverdiener sollen die Förderung nicht bekommen, es gibt aber Freibeträge pro Kind. Experten kritisieren, dass der Zuschuss die Immobilienpreise weiter anheizen werde. An diesem Mittwoch hat das Kabinett außerdem einen Steuerbonus auf den Weg gebracht, der Investoren Anreize bieten soll, mehr Mietwohnungen zu bauen.
Bis 2021 sollen 1,5 Millionen Wohnungen entstehen. Der Experte für Bauen und Wohnen im Innenministerium, Staatssekretär Gunther Adler, ist allerdings weg – Adler muss gehen, damit Platz wird für Hans-Georg Maaßen.
Darin schlug der CSU-Politiker nicht nur die Einrichtung von sogenannten Ankerzentren für Asylbewerber vor, sondern verlangte auch, dass Flüchtlinge ohne Papiere und abgeschobene Asylbewerber, die nach Deutschland zurückwollen, an der Grenze abzuweisen seien.
Das ist das Bundeskabinett
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Während die Ankerzentren im Koalitionsvertrag vereinbart waren, sprach sich die Kanzlerin gegen deutsche Alleingänge an der Grenze aus: Sie wolle sich stattdessen für ein neues europäisches Asylrecht einsetzen. Seitdem versucht Seehofer mit anderen europäischen Ländern Rücknahmeverträge auszuhandeln.
Erste Erfolge im Gespräch mit Spanien, Italien und Griechenland sind erreicht – doch die angekündigten Abkommen betreffen nur kleine Gruppen von Flüchtlingen beziehungsweise führen nicht zu einer Reduzierung der Asylzahlen in Deutschland.
• Rente
Die Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung ist das wohl wichtigste Projekt der Koalition. Der – inzwischen beigelegte – Streit um das Rentenpaket war dabei nur ein Vorgeschmack. Die wirkliche Debatte wird in zwei Jahren kommen – unmittelbar vor der nächsten Bundestagswahl. Dann legt die Kommission, die sich Gedanken über die Rente ab dem Jahr 2025 machen soll, ihren Bericht vor.
Die SPD hat sich schon festgelegt und will das Rentenniveau mit einem höheren Steuerzuschuss um jeden Preis bei 48 Prozent des Durchschnittslohns halten. Die Union will Debatten über das Thema vorerst vermeiden. Sie weiß noch nicht, was sie will. Sicher ist: Die Rente ist auf dem Weg, das künftige Wahlkampfthema Nummer eins zu werden.
• Verkehr
Immer längere Staus, belastete Luft in Innenstädten und große Probleme bei der Bahn: Die Koalition hat bisher kein erkennbares Konzept für eine Verkehrswende vorgelegt. Immerhin ist ihr klar geworden, dass sie die Diesel-Krise nicht länger aussitzen kann. Die im vergangenen Jahr vor der Bundestagswahl eilig einberufenen Diesel-Gipfel haben wenig bis nichts gebracht.
Das Problem: Das Konzept wird kurzfristig weder Fahrverbote in Innenstädten verhindern noch den Wertverlust von Diesel-Autos rückgängig machen können.
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) sagte: „Alle Kinder müssen eine gute Kita besuchen können.“
Doch bevor die 5,5 Milliarden, die bis 2022 fließen sollen, auch tatsächlich bei den Kindern ankommen, müssen die Länder vertraglich festlegen, wie sie das Geld verwenden – damit nicht einfach Haushaltslöcher gestopft werden.
Deutschlands drängendste Probleme
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Das andere große Bildungsprojekt der Koalition hängt nicht nur vom Frieden zwischen Union und SPD, sondern auch von der Zustimmung der Opposition und der Länder im Bundesrat ab: Die GroKo will das Grundgesetz ändern, um die Schulen in Deutschland besser vom Bund fördern zu können – etwa bei der Digitalisierung.
Doch für eine Verfassungsänderung muss sie eine Zweidrittelmehrheit organisieren – im Bundestag und im Bundesrat. Beim BAföG schließlich haben sich Union und SPD auf eine Reform verständigt: Sie wollen eine Milliarde Euro zusätzlich ausgeben und wieder deutlich mehr junge Leute fördern. Konkrete Vorschläge dazu gibt es noch nicht.
• Pflege und Gesundheit
Neben der Rente beschäftigt die Bürger am meisten, wie, wo und von wem sie im Alter gepflegt werden. Gesundheitsminister Spahn (CDU) hat das erkannt und gleich vier Gesetze und Verordnungen auf den Weg gebracht, die für mehr Personal und bessere Bezahlung sorgen sollen. Woher die zusätzlichen Pfleger kommen könnten, ist noch unklar.
Das nötige Geld wird zum Jahreswechsel mit einer ordentlichen Erhöhung des Beitrags für die Pflegeversicherung eingesammelt. Damit sollen auch die schon in der Vergangenheit beschlossenen besseren Leistungen in der Pflegeversicherung bezahlt werden.
Dass Digitalisierung wichtig ist, haben Union und SPD erkannt. Der Koalitionsvertrag sieht eine Fülle von Projekten vor und verspricht „eine flächendeckende digitale Infrastruktur von Weltklasse“.
Verkehrsminister Scheuer verteilt zwar einen Förderbescheid nach dem anderen. Aber klar ist: Auch in den nächsten Jahren werden nicht alle Bürger schnellen Mobilfunk und schnelles Internet nutzen können. Bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung hinkt Deutschland erst recht hinterher.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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