Torfhaus. Drei Männer aus Holland sprengen Geldautomat in Torfhaus, bauen Unfall, verstecken sich in Garage in Braunlage und nehmen Pkw-Besitzerin als Geisel.

In Torfhaus im Harz ist es Samstag zu einem Großeinsatz der Polizei gekommen. Nachdem drei Täter einen Geldautomaten gesprengt hatten, flohen sie mit einer Geisel. Die Polizei konnte die mutmaßlichen Täter auf der Bundesstraße zwischen Osterode und Herzberg fassen.

Oberstaatsanwalt Dr. Alexander Retemeyer von der Staatsanwaltschaft Osnabrück gibt auf Nachfrage unserer Zeitung Details bekannt. Über die zu Beginn unklare Situation wie es genau zur Geiselnahme gekommen sei, erklärte Dr. Retemeyer, die Täter hätten sich in einem leerstehenden Gebäude versteckt und dann die Frau abgepasst, um deren Auto zur weiteren Flucht zu nutzen. Wie jetzt bekannt wird, wurde die Braunlagerin in ihrer eigenen Garage von den jungen Männern überrascht.

So lief die Geiselnahme kurz vor Braunlage

Aus dem näheren Umfeld der Braunlagerin, die von den Geldautomatensprengern als Geisel genommen worden war, heißt es: Die 68-Jährige wollte am Samstag um 8 Uhr mit ihrem Pkw in den Ort fahren, um Brötchen zu holen. Nachdem die Automatensprenger mit ihrem Fluchtfahrzeug kurz vor Braunlage verunglückt waren, hatten sich die Männer anscheinend in der Garage der Frau versteckt. Die 68-Jährige wurde in ihr eigenes Auto gezwungen und die Männer flohen mit ihrer Geisel. Währenddessen hatte der Ehemann der Geisel bereits im Radio von der Sprengung in Torfhaus und der Flucht der Täter gehört. Als seine Ehefrau nach etwa 30 Minuten noch nicht wieder zurück gewesen sei, habe er sich gefragt, wo sie wohl bliebe. Kurz darauf habe bereits die Polizei vor seiner Tür gestanden.

Einsatzkräfte der Polizei sichern den Tatort am Torfhaus.
Einsatzkräfte der Polizei sichern den Tatort am Torfhaus. © dpa | Matthias Bein

Das sagte der Oberstaatsanwalt am Sonntag, 15. Januar, gegenüber unserer Zeitung: „Um 2 Uhr am frühen Samstagmorgen haben drei junge Männer einen Geldautomaten in Torfhaus gesprengt. Anschließend flüchteten sie mit einem hochmotorisierten Pkw. In Braunlage kam es dann zu einem Unfall. Um 8 Uhr fingen sie eine Frau ab, die mit ihrem Pkw zum Einkaufen fahren wollte, und nahmen sie als Geisel. Sie quetschten die 68-jährige Braunlagerin auf den Rücksitz ihres eigenen Wagens und nutzten den Pkw zur weiteren Flucht“, so Dr. Retemeyer. Der Haftrichter hat am Sonntagnachmittag U-Haft für die drei Männer – zwei 18-Jährige und ein 20-Jähriger aus dem niederländischen Utrecht – angeordnet.

Gestoppt wurden die Täter nach Angaben der Osteroder Polizei schließlich am Vormittag gegen 11 Uhr auf der Bundesstraße 243 zwischen Herzberg und Osterode. Zu Schaden gekommen sei nach Polizeiangaben bei der Festnahme der drei Tatverdächtigen aber niemand. Die als Geisel genommene Frau blieb unverletzt.

Geiselnahme nach Automatensprengung laut Staatsanwalt ungewöhnlich

„So einen Fall hatten wir noch nicht“, erklärt Oberstaatsanwalt Dr. Alexander Retemeyer. „Auf der Flucht nach einer Sprengung gab es zwar schon tödliche Unfälle, aber noch keine Geiselnahme! Das hat jetzt eine andere Qualität.“ Es sei zwar noch nicht klar, ob es sich in diesem Fall um einen „räuberischen Angriff auf Kraftfahrer“ oder „erpresserischen Menschenraub“ handele, die Mindeststrafe allein hierfür betrage aber fünf Jahre Haft. Die jetzt Festgenommenen fielen aber noch unter das Jugendstrafrecht. Wenn es dann zur Verhandlung gegen die bei Osterode festgenommen Männer kommt, wird der Prozess vor dem Landgericht Braunschweig stattfinden.

Die Zuständigkeit liegt bei der Staatswaltschaft Osnabrück, weil dort wegen der Nähe zu den Niederlanden seit 1. Dezember 2022 die landesweite Zentralstelle zur Bearbeitung der Fälle von Geldautomatensprengungen angesiedelt ist. „Wir haben deshalb viel Erfahrung mit diesen Fällen, weil es sich um eine Tätergruppe aus 300 bis 500 Personen aus Utrecht handelt. Utrecht ist ein Übungsgebiet für Geldautomatensprengungen“, erklärt der Oberstaatsanwalt. Das sei aufgeflogen, weil bei einer Explosion mal ein Ausbilder „in die Luft geflogen“ sei.

„Die Täter gehen immer ähnlich vor. Nach den Taten flüchten sie mit hochmotorisierten Pkw, oft Audi, über die Autobahn Richtung Niederlande.“ Die Täter nähmen regelmäßig die Gefährdung Unbeteiligter in Kauf: „Nicht nur, dass eine Sprengstoffexplosion bereits Unbeteiligte gefährdet, sondern die Fluchtautos selbst sind meist noch voll mit Sprengstoff, weil sie immer mehr mitführen als benötigt. Außerdem haben sie meist große Mengen Benzin dabei. Denn die Autos schlucken durch das schnelle Fahren erheblich mehr Sprit. Und die Täter können auf der Flucht nicht mal eben Tanken fahren.“

Weitere Details zur Flucht der Täter und dem Polizeieinsatz

Wie die Goslarsche Zeitung zuerst berichtete, haben zunächst unbekannte Täter in den frühen Morgenstunden einen Geldautomaten gesprengt. Zur Flucht nutzten sie laut Erstinformationen das Auto einer Zeugin, die während der Fahrt in der Gewalt der Täter blieb.

Der Ort Torfhaus wurde für die Einsatzdauer vollständig abgesperrt. Auch auf Webcams in Torfhaus war der Polizeieinsatz zum Teil zu beobachten. Einige Polizeibeamte trugen Maschinenpistolen.

Die B4 wurde in Höhe des Abzweigs nach Altenau in beide Richtungen gesperrt, Autofahrer wurden gebeten umzudrehen.

Erste Bilder zeigen die Zerstörung nach der Sprengung im Harz Welcome Center. Am Eingangsbereich sind Scheiben geborsten und Türen aus den Angeln gefallen. Das Gebäude in Torfhaus ist Anlaufstelle für Touristen und enthält ein Geschäft für Outdoor-Ausrüstung und einen Geldautomaten.

Die polizeilichen Ermittlungen werden von der Zentralen Kriminalinspektion Braunschweig geführt. Diese prüft weiterhin, ob die Tatverdächtigen auch für weitere Taten in Frage kommen.

Lesen Sie weitere Nachrichten aus dem Harz: