Berlin. Die Flüchtlingspolitik des Bundes verärgert die Länder. Sie wollen mehr Hilfe - und haben konkrete Forderungen an Kanzler Olaf Scholz.

Die Stimmung zwischen Bund und Ländern ist angespannt: Es geht um die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen. „Wir müssen feststellen, dass die Sorgen nicht kleiner, sondern größer werden“, sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). „Wir müssen in der Lage sein, mit dieser Herausforderung fertig zu werden“, fügte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag nach einem Treffen mit seinen Länderkollegen hinzu. Die Länder fordern deswegen mehr Hilfe vom Bund – vor allem finanzielle Unterstützung.

Was wollen die Länder?

Länder und Kommunen sehen sich überfordert mit der hohen Anzahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen. „Wir kommen an unsere Grenzen“, sagte Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU) in Berlin. Immer wieder melden sich Bürgermeister zu Wort, die nicht mehr wissen, wo sie Wohnungen oder Plätze in Schulklassen oder Deutschkursen für die Zuflucht Suchenden herbekommen sollen. Sie fühlen sich vom Bund im Stich gelassen. In den Ländern kam nicht gut an, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im Februar zwar zu einem Flüchtlingsgipfel nach Berlin einlud – bei dem Treffen aber nichts herauskam.

Der Flüchtlingsgipfel von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) endete im Februar ohne konkrete Ergebnisse - sehr zur Verärgerung der Länder.
Der Flüchtlingsgipfel von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) endete im Februar ohne konkrete Ergebnisse - sehr zur Verärgerung der Länder. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Worum wird konkret gestritten?

„Der Bund hat den Ländern und Kommunen im vergangenen Jahr mehr als 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt – und in diesem Jahr noch einmal 2,75 Milliarden“, hob Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstag im Bundestag hervor. Der Bund trage damit bereits den „allergrößten Teil“ der Kosten für Unterkunft und Verpflegung von Flüchtlingen. Diese Zahlungen des Bundes reichen den Ministerpräsidenten angesichts der hohen Flüchtlingszahlen allerdings nicht aus.

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Im Jahr 2021 hätten die Länder neun Milliarden Euro für die Unterbringung Geflüchteter ausgegeben, für 2023 erwarteten sie Kosten von 16 Milliarden Euro, rechnete Weil vor. Der Beitrag des Bundes sei einfach zu niedrig: „Vom Bund muss mehr kommen.“ In einem gemeinsamen Beschluss fordern die Ministerpräsidenten, die Finanzhilfe des Bundes müsse „deutlich“ über die bereits zugesagten Mittel hinausgehen.

Die Ländern fordern, der Bund müsse die Hälfte der Kosten übernehmen. Im Moment seien es weniger als 20 Prozent. Die Ministerpräsidenten wollen, dass der Bund wie in früheren Jahren wieder pro Flüchtling einen pauschalen Betrag erhalten. Auffallend ist, dass sich auch die SPD-Ministerpräsidenten klar positionieren und von ihren Parteikollegen Scholz und Faeser mit deutlichen Worten mehr Unterstützung einfordern.

Geht es nur ums Geld?

Nein. Die Länder fordern vom Bund außerdem, Immobilien zur Unterbringung von Geflüchteten bereitzustellen. In ihrem Beschluss verlangen sie außerdem ein „effektives Rückführungsmanagement für Menschen ohne Bleiberecht“. Im vergangenen Jahr scheiterten rund zwei Drittel der Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern aus Deutschland.

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Wer kein Aufenthaltsrecht habe, müsse „zügig“ in sein Heimatland zurückkehren, sagte auch Scholz und räumte ein: „Das funktioniert noch nicht genug.“ Der Kanzler verwies zudem darauf, dass es „wirksame Antworten“ auf die Herausforderungen von Flucht und Migration nur im europäischen Rahmen geben könne.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) räumt im Bundestag Probleme bei der raschen Rückführung abgelehnter Asylbewerber ein: „Das funktioniert noch nicht genug.“
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) räumt im Bundestag Probleme bei der raschen Rückführung abgelehnter Asylbewerber ein: „Das funktioniert noch nicht genug.“ © dpa | Wolfgang Kumm

Warum ist die Lage so angespannt?

Im vergangenen Jahr sind infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine sehr viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. 2022 kamen rund 1,1 ukrainische Staatsbürger nach Deutschland, gut zwei Drittel davon in den ersten drei Monaten nach Kriegsbeginn Ende Februar des vergangenen Jahres. Danach ging die Zahl der ukrainischen Flüchtlinge zurück und manche verließen Deutschland wieder.

Unter dem Strich kamen nach Angaben des Statistischen Bundesamts 962.000 Menschen aus der Ukraine hierher. Damit sei die Nettozuwanderung aus der Ukraine 2022 größer gewesen als die aus Syrien, Afghanistan und dem Irak zusammen in den Jahren der sogenannten Flüchtlingskrise von 2014 bis 2016, als 834.000 Menschen aus den drei Staaten nach Deutschland kamen.

Die Flüchtlinge aus der Ukraine müssen in Deutschland kein Asyl beantragen. Aber auch diese Statistik zeigt einen Anstieg der Flüchtlingszahlen: Im Zeitraum Januar und Februar 2023 stellten nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge 58.802 Menschen einen Asylantrag in Deutschland. Im Vergleich zu den ersten beiden Monaten des Vorjahres ist das ein Anstieg von 84,5 Prozent. Die meisten Anträge stellten im Februar Flüchtlinge aus Syrien, gefolgt von Menschen aus Afghanistan und der Türkei. Und der Winter sei in der Regel nicht die Zeit, in der die meisten Menschen kämen, befürchtete Weil eine weitere Steigerung im Jahresverlauf.

Wie geht es weiter?

Eigentlich wollten sich beide Seiten um Ostern zusammensetzen – nun hat Scholz erst am 10. Mai zu einem Bund-Länder-Gipfel geladen. Den Ländern ist das eigentlich zu spät. Dem Kanzler dürften dann aber die Ergebnisse der Steuerschätzung vorliegen. Damit ist dann auch klar, wofür der Bund mehr Geld ausgeben kann. „Die Kommunen sind am Anschlag, teils überfordert - finanziell und strukturell“, sagte Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch unserer Redaktion. Gemeinden und Bürger vor Ort dürften nicht länger weitgehend allein gelassen werden. „Die Stimmung in der Bevölkerung droht in eine gefährliche Richtung zu kippen.“ Scholz müsse die Flüchtlingsfrage zur Chefsache machen.