Hamburg. Die Gaspreisbremse soll Verbraucher in der Energiekrise entlasten. Wer früh viel Gas und Strom gespart hat, kann jetzt Nachteile haben.

  • Durch den Ukraine-Krieg kam es zur Energiekrise – und die Gaspreise schossen in die Höhe
  • Die Bundesregierung will gegensteuern und Verbraucherinnen und Verbraucher mit der Gaspreisbremse entlasten
  • Doch die klagen an: Wer früh viel Gas gespart hat, ist benachteiligt

Kurz vor dem vereinbarten Gesprächstermin schreibt Michael Bock noch eine E-Mail. Darin die Botschaft: Er finde es wichtig, jedes Thema „aus mehreren Perspektiven zu beleuchten“. Nur so werde man zum „Brückenbauer zwischen extremen Positionen“. Volle Ablehnung oder komplette Zustimmung, das wären in diesem Fall wohl die Extreme. Was die Gaspreisbremse betrifft, vertritt Bock weder die eine noch die andere Position. Der Hamburger lobt die Bundesregierung zwar dafür, dass sie die Bürger in der Energiekrise entlastet. Aber er sagt auch: „Wer frühzeitig gehandelt hat, wird jetzt bestraft.“

Als die Politik im vergangenen Jahr an die Bevölkerung appellierte, wegen des russischen Kriegs in der Ukraine und einer drohenden Mangellage möglichst viel Gas, Öl und Strom zu sparen, schritten Bock und seine Frau direkt zur Tat. Sie beschleunigten bereits länger laufende Sanierungen an ihrem Einfamilienhaus, dämmten zum Beispiel Heizungsrohre und statteten sich mit Smart-Home-Technologie aus. Warmes Wasser produzieren sie seither nur noch eine Stunde am Morgen. So berichtet es der 54-jährige selbstständige Programmierer. All das hatte Erfolg: Bis Oktober 2022 sank der Gasverbrauch der Bocks um 18,1 Prozent – von 38.500 auf 31.500 Kilowattstunden. Dann kam die Gaspreisbremse.

Gaspreis: Wer früh gespart hat, hat bei der Preisbremse Nachteile

Mit ihr deckelt die Bundesregierung den Gaspreis für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs bei Privathaushalten sowie kleinen und mittleren Unternehmen auf zwölf Cent pro Kilowattstunde. Für die restlichen 20 Prozent wird der volle Preis des jeweiligen Anbieters fällig. Der liegt in Bocks Fall aktuell bei 18 Cent – nach knapp fünf Cent im vergangenen Jahr. Welche Menge genau bezuschusst wird, hängt von der sogenannten Jahres-Verbrauchsprognose ab, die Versorger auf der Basis von September 2022 erstellt haben.

Spart man – verglichen mit diesem Wert – mehr als 20 Prozent ein, gibt es für jede weniger verbrauchte Kilowattstunde außerdem den hohen Vertragspreis des Anbieters erstattet. Deshalb lohnte sich im Herbst unter Umständen sogar der kurzfristige Wechsel zu einem teureren Versorger.

Was kompliziert anmutet, bedeutet für Michael Bock: Wegen seiner Einsparungen wird er von Anfang Januar an gut 25.000 Kilowattstunden zum gedeckelten Preis bekommen. Hätte er seinen Verbrauch vor September 2022 nicht gesenkt, wären es knapp 31.000 Kilowattstunden. Denn Bocks Versorger erstellt die Jahresabrechnung im Oktober und hat die Abschläge zuletzt entsprechend verringert. In anderen Fällen beruht die Jahresverbrauchsprognose auf dem Gasverbrauch zwischen Januar und Dezember 2021. Dann haben Einsparungen im Jahr 2022 keinen Einfluss auf die Zahlen. So viel zur Mathematik.

Bock lenkt den Blick lieber auf die sozialpolitische Dimension dahinter. Als Hausbesitzer mit gutem Einkommen sei er „privilegiert“ und könne sich im Zweifel auch teurere Energie leisten. „Aber was ist mit Menschen, die weniger Geld oder kaum Möglichkeiten haben, in einer kleinen Wohnung Energie zu sparen?“

Michael Bock sitzt an der Gasheizung im Keller seines Hauses. Der Hamburger hat seinen Gasverbrauch um 18 Prozent gesenkt.
Michael Bock sitzt an der Gasheizung im Keller seines Hauses. Der Hamburger hat seinen Gasverbrauch um 18 Prozent gesenkt. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Gaspreisbremse: Verbraucherschützer und Opposition üben Kritik

„Die Gaspreisbremse ist nicht gerecht“, sagt Thomas Engelke, Leiter Energie und Bauen beim Verbraucherzentrale Bundesverband, dieser Redaktion. Er verweist auf die Bevorteilung bisheriger „Vielverbraucher“ und fordert, dass die Kosten für Gas- und Fernwärme bei niedrigen Bedarfen komplett gedeckelt werden sollten. Gar „eklatante Mängel“ in sozialer und ökologischer Hinsicht wirft Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag, der Gaspreisbremse vor. „Wer letztes Jahr Habecks Sparappelle umgesetzt hat, ist der Dumme“, sagt der Oppositionspolitiker gegenüber dieser Zeitung. „Der Villenbesitzer, der die Sauna im Keller und null gespart hat, hat dagegen einen satten Vorteil.“ Lesen Sie auch: Alle Fragen und Antworten zur Gaspreisbremse

So empfindet es auch Peter Frey. Er ist Zahnarzt und lebt in Olfen im Münsterland. Vom 8. März bis zum 1. Dezember 2022 habe er sein Haus gar nicht beheizt und den Gasverbrauch so von 24.000 auf 6.000 Kilowattstunden geviertelt, erzählt der 58-Jährige. Warum? Wegen Putin, antwortet Frey. „Von dem, was der jetzt noch verkauft, möchte ich nichts haben“, sei sein Gedanke nach dem Überfall auf die Ukraine gewesen. Ähnlich wie Michael Bock sagt auch Frey, für den nun 4800 statt 19.200 Kilowattstunden gedeckelt werden, dass er selbst als Besserverdiener mit den höheren Preisen klarkomme. Der soziale Aspekt mache ihn aber wütend. Und: „Wer frühzeitig gehandelt hat, ist der Angeschmierte.“

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    Ministerium verteidigt Preisbremse: Anders zu viel Aufwand

    Alternative Konzepte für die Bedarfsberechnung, etwa mit einem Durchschnittsverbrauch mehrerer Jahre oder einem Koeffizienten abhängig von der Strenge des Winters, seien zu aufwendig und daher kontraproduktiv, erklärt das zuständige Bundeswirtschaftsministerium auf Nachfrage. „Dies würde eine zeitnahe Umsetzung der Entlastung möglicherweise gefährden“, so eine Ministeriumssprecherin. „Wenn es schnell gehen soll, muss es einfach gehen“, heißt es vom Verband Kommunaler Unternehmen (VKU). Und eine Sprecherin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDE) ist überzeugt, dass „pauschale Lösungen“ gerade der einzig gangbare Weg seien.

    Bei Michael Bock scheint unterdessen auch der Ehrgeiz geweckt. Er werde natürlich weiter sparen, habe dafür längst „die eine oder andere Stellschraube“ im Blick, erzählt er. Dann lobt er die Bundesregierung noch einmal für ihr Krisenmanagement. Das ist die eine Seite. Die andere folgt sogleich: „Aber irgendjemand hätte bei der Konstruktion der Energiepreisbremsen besser nachdenken sollen.“