Berlin. Strom aus Kohle, teures Gas und ehrgeizige Pläne für erneuerbare Energie – was macht der Ukraine-Krieg mit den deutschen Klimazielen?

Der erste Ort, an dem der Schornstein wieder rauchte, war Mehrum. Das Steinkohlekraftwerk in Niedersachsen war nicht einmal ein Jahr in der Reserve gewesen, als es im August es zurück ans Netz ging. Möglich gemacht hatte das ausgerechnet das grüne Wirtschaftsministerium. Eine Notfallmaßnahme in der Energiekrise.

Mehrum ist nicht das einzige Kohlekraftwerk, das bereits wieder läuft oder in den kommenden Monaten anspringen soll. Und ihre Rückkehr ist nur eine Auswirkung des Ukraine-Kriegs auf die deutsche Energieversorgung. Russlands Angriff und seine Folgen haben die energie- und klimapolitischen Pläne Deutschlands grundlegend in Frage gestellt.

Mehr Strom aus Kohle einerseits, mehr erneuerbare Energie andererseits und eine Erdgas-Brücke in die Klimaneutralität, die erheblich wackelt – was bedeutet all das für die deutschen Klimaziele?

Kohle: Kraftwerke laufen wieder

Dass die Kohlekraftwerke wieder laufen, ist keine gute Nachricht für den Klimaschutz, das weiß nicht nur Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne). „Dieses Jahr hat die verstärkte Nutzung von Braun- und Steinkohle bereits rund 15 Millionen Tonnen CO2-Emissionen verursacht“, schätzt Karsten Smid, Klimaexperte von Greenpeace.

Bis zum Ende des Jahres könnten es sogar 30 bis 40 Millionen Tonnen werden. Diese könnten und müssten jedoch im nächsten Jahr durch den Ausbau der erneuerbaren Energien ausgeglichen werden.

Ampel-Regierung hält am Kohle-Ausstieg fest

Der Kohleausstieg 2030, an dem die Ampel-Regierung festhält, bleibt aber möglich, sagt er. Knapp sieben Jahre seien ausreichend, um die Frist einzuhalten. Voraussetzung dafür sei allerdings jetzt ein großer Schub beim Ausbau der erneuerbaren Energien.

Dass Kohlekraftwerke wieder laufen, müsse nicht heißen, dass das deutsche Klimaziel verfehlt wird, sagt auch Niklas Höhne, Forscher am NewClimate Institute. „Man kann das anderer Stelle wieder einsparen. Diese zusätzlichen Anstrengungen sehe ich aber noch nicht.“

Erneuerbare Energien – keine Turbozündung in Sicht

Schon vor Beginn des Ukraine-Kriegs hatte Habeck ehrgeizige Pläne vorgestellt: Der Ausbau regenerativer Energien in Deutschland soll in diesem und den beiden nächsten Jahren in einer steilen Kurve ansteigen. Ab 2025 sollen pro 10 Gigawatt Windkraft-Kapazität und 22 Gigawatt Photovoltaik pro Jahr dazukommen. Die Bundesregierung hat dafür ein großes Gesetzespaket auf den Weg gebracht, an zahlreichen kleineren und größeren Stellschrauben gedreht.

Schleswig-Holstein, Leck: Für Windräder gibt es nicht genug Platz.
Schleswig-Holstein, Leck: Für Windräder gibt es nicht genug Platz. © dpa | Frank Molter

Der Krieg hat den Ausbau noch einmal dringlicher gemacht. Doch die erhoffte Turbozündung bleibt bislang aus. „Wir rechnen nicht damit, dass die Ausbauziele in diesem Jahr erreicht werden“, sagt Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie. Die Ausschreibungen des Bundes für neue Wind- und Solarprojekte seien regelmäßig unterzeichnet, es bewerben sich also nicht genug Anbieter.

Für erneuerbare Energien fehlt es an Flächen

Die Gründe seine vielfältig: „Es fehlen Flächen, die Genehmigungen dauern viel zu lange, Projekte werden beklagt.“ Die Bundesregierung habe einiges nachgebessert, aber das sei vielfach noch nicht in Kraft.

Dabei kommt es jetzt auf Geschwindigkeit an. Wenn die Ausbauziele der Regierung erreicht werden sollen, sagt Peter, müssten ab dem kommenden Jahr bis 2030 an jedem Werktag 67 Megawatt Solarenergie ans Netz gehen und 25 Megawatt Windenergie an Land. „Davon sind wir weit entfernt.“

Allein Windkraftanlagen mit einer Kapazität von 10.000 Megawatt stecken laut dem Bundesverband derzeit in Genehmigungsverfahren fest. Der Verband fordert deshalb ein Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungen auch bei Erneuerbaren – ähnlich, wie es das für die geplanten LNG-Terminals bereits gibt.

Flüssiggas soll die Gaslieferungen aus der Ukraine ersetzen

Zwischen der immer noch sehr fossilen Gegenwart und der klimaneutralen Zukunft im Stromsystem klafft ein großer Graben. Erdgas sollte über den eine Brücke schlagen. Denn anders als Energie aus Sonne und Wind lässt sich die Produktion von Strom aus Gas beliebig steuern und kann so auch in Dunkelflauten zuverlässig Energie liefern. Neue Gaskraftwerke sollten deshalb in den kommenden Jahren vermehrt Kohlekraftwerke ersetzen. „Unverzichtbar“ sei Gas für eine Übergangszeit, hielt die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag fest.

Doch diese Brücke ist mit dem Angriff Russlands „ein Stück weit eingestürzt“, sagt Jürgen Landgrebe, Leiter des Fachbereichs für Klimaschutz und Energie beim Umweltbundesamt. Auf billiges Pipeline-Gas aus Russland kann Deutschland nicht mehr bauen.

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Ersetzen will die Bundesregierung diese Lieferungen so gut es geht mit Flüssiggas (Liquefied Natural Gas, LNG) aus anderen Ländern. Dafür wird jetzt im Eiltempo die Infrastruktur geschaffen, die nötig ist – und auch die, die unnötig ist, sagen Kritiker. Klimaforscher Höhne, aber auch Umweltschutzorganisationen wie die Deutsche Umwelthilfe, beobachten mit Sorge, dass neben schwimmenden LNG-Terminals, von denen die ersten schon in diesem Winter den Betrieb aufnehmen sollen, auch fest installierte Terminals für den Import von LNG gebaut werden sollen.

Schwimmende LNG-Terminals – das dauert noch

Anders als die LNG-Schiffe werden diese erst Mitte der 2020er Jahre einsatzbereit sein. Benötigt würden sie dann nicht mehr, sagt Höhne. Aber betrieben würden sie trotzdem, und das möglicherweise viel länger, als Deutschland Gas verbrennen darf, wenn es seine Klimaziele erreichen will. „Was erst einmal da ist, wird genutzt – und steht der Energiewende im Weg.“

Auf Dauer, sagt auch Klima-Experte Landgrebe vom Umweltbundesamt, sei LNG keine Lösung. Es sei nicht nur so teuer, dass man die ursprünglich eingeplante Menge von billigem Pipeline-Gas damit nicht ersetzen könne. Es sei auch langfristig kein Beitrag zur Dekarbonisierung.

„Aber wir brauchen hochflexible Kraftwerkskapazitäten, und um die Klimaschutzziele bis 2030 einhalten zu können, benötigen wir auch einige neue Gaskraftwerke“, sagt Landgrebe. Die müssten aber ab sofort so gebaut werden, dass dort möglichst schnell auch grüner Wasserstoff verbrannt werden kann.

Wasserstoff ist der Hoffnungsträger der Klimaschützer

Grüner Wasserstoff ist der Energieträger, auf dem jetzt viele Hoffnungen ruhen: Nutzt man erneuerbar erzeugten Strom, um per Elektrolyse Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff zu trennen, ist der so produzierte Wasserstoff als Energieträger klimaneutral. Zum Einsatz kommen soll er künftig unter anderem in der Schwer- und Chemieindustrie, etwa bei der Stahlproduktion. Auch als Energiespeicher soll er dienen – in Zeiten, in denen mehr Wind und Sonne zur Verfügung stehen als benötigt, könnte der Überschuss so aufgefangen und flexibel eingesetzt werden.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Die Bundesregierung setzt deshalb darauf, dass ein großer Teil der LNG-Infrastruktur, die jetzt gebaut wird, möglichst bald auch für Wasserstoff nutzbar ist. Doch an der Umsetzbarkeit dieser Pläne gibt es Zweifel. „Das geht in der Theorie, aber sicher nicht umsonst“, erklärt Klimaforscher Höhne.

Die Anlagen, in denen künftig LNG wieder gasförmig gemacht werden soll, könne man dafür nicht nutzen, weil Flüssiggas bei anderen Temperaturen verarbeitet werde als Wasserstoff. Und auch die Pipelines seien nur unter bestimmten Umständen nutzbar für Wasserstoff. „In jedem Fall ist ein hoher zusätzlicher Investitionsbedarf da – die Umrüstung ist teuer“, sagt Höhne. Er hält es für unwahrscheinlich, dass Betreiber diese Investitionen jetzt schon tätigen.

Doch Wasserstoff ist nicht ausreichend verfügbar

Dazu kommt, dass das Interesse an Wasserstoff zwar groß ist – der Markt allerdings bislang sehr klein. Adrian Odenweller, Wissenschaftler am Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), und Kollegen haben untersucht, wie viel grüner Wasserstoff kurz- und mittelfristig beitragen kann in der Energiekrise. Das Ergebnis: Die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff ist kurzfristig knapp und längerfristig unsicher.

„Die EU hat im Rahmen der Krise ihre Ziele für den Ausbau von Elektrolyse von 40 Gigawatt auf 100 Gigawatt angehoben“, sagt Odenweller. Das ist mehr als das 500-fache der aktuell verfügbaren Kapazität – der Wasserstoffsektor müsste viel schneller wachsen als bislang Wind- und Sonnenenergie. Damit das funktioniert, müsse die Politik jetzt entschlossen Maßnahmen ergreifen, sagt Odenweller. Nötig seien unter anderem Subventionen und hohe CO2-Preise.

Ob ausreichend Wasserstoff zur Verfügung stehen wird, ist deshalb einer von vielen wackeligen Steinen auf dem Weg zu den deutschen Klimazielen. Erreichen muss die Bundesregierung diese in jedem Fall – dazu verpflichtet sie das Gesetz.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.