Berlin. Im Schatten des Ukraine-Kriegs hat Aserbaidschan Armenien angegriffen. Kämpfe brachen aus. Die jüngsten Entwicklungen im Überblick.

  • Zwischen Armenien und Aserbaidschan ist die Lage eskaliert
  • Zwei Tage lang wurden Kämpfe ausgetragen
  • Nun ist offenbar eine Waffenruhe vereinbart worden

Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan schwelt nicht erst seit gestern. Die beiden früheren Sowjetrepubliken im Kaukasus sind verfeindet und streiten seit Jahrzehnten wegen des Gebiets Bergkarabach. Im Schatten des Ukraine-Kriegs waren nun erneut schwere Kämpfe ausgebrochen. Dutzende Soldaten kamen ums Leben. Der Westen hatte Aserbaidschan als Angreifer ausgemacht, das Land, vom dem Europa ab 2027 eine Verdopplung seiner Gaslieferungen erhofft.

Armenischen Angaben zufolge ist nach zwei Tagen schwerer Kämpfe eine Waffenruhe vereinbart worden. Die Feuerpause gelte seit 20.00 Uhr Ortszeit (18.00 Uhr MESZ), wie der Sekretär des armenischen Sicherheitsrates, Armen Grigorjan, am Mittwoch im Fernsehen in Eriwan sagte. „Unter Teilnahme der internationalen Gemeinschaft ist eine Vereinbarung über eine Waffenruhe erzielt worden“, sagte er. Eine Bestätigung aus der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku gab es zunächst allerdings nicht. Das armenische Verteidigungsministerium teilte abends mit, dass der Beschuss abgeflaut sei.

Trotz der offenbar erzielten Waffenruhe geriet die armenische Führung wegen der aserbaidschanischen Angriffe unter Druck. In der Hauptstadt Eriwan verlangten Tausende Demonstranten am Mittwochabend den Rücktritt Paschinjans. Sie warfen ihm Nachgiebigkeit gegenüber Baku vor.

Armenien und Aserbaidschan: Woran hatte sich der Konflikt entzündet?

„Der Feind versucht vorzustoßen“, hieß es zuvor aus dem Verteidigungsministerium in Armenien. Die Regierung in der Hauptstadt Eriwan beschuldigte Aserbaidschan, an drei Stellen armenische Truppen im Süden des Landes angegriffen zu haben – mit großkalibrigen Waffen und Drohnen.

Nach Angaben des armenischen Regierungschefs Nikol Paschinjan wurden dabei mindestens 49 seiner Soldaten getötet. Aserbaidschan sprach hingegen davon, dass ein Sabotageversuch der Armenier die Kämpfe ausgelöst habe. Auf Seiten Aserbaidschans sollen 50 Soldaten ihr Leben verloren haben.

Seit der Nacht zu Dienstag wurden nach Angaben von Ministerpräsident Nikol Paschinjan mehr als 100 Armenier getötet. 50 Quadratkilometer armenisches Gebiet seien in der Hand des Gegners, sagte er im Parlament. Die aserbaidschanische Seite sprach von 54 Toten in ihren Streitkräften.

Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan: Um was geht es?

Eigentlich geht es immer um die Exklave Bergkarabach. Sie gehört zu Aserbaidschan wird aber von Armeniern bewohnt. Die Anfänge des Konflikts gehen bis ins 18. Jahrhundert zurück. Er eskalierte aber mit dem Zerfall der Sowjetunion.

Die beiden früheren Sowjetrepubliken lieferten sich von 1992 bis 1994 einen erbarmungslosen Krieg, bei dem mehrere Zehntausend Menschen starben. In diesem Krieg sicherten sich armenische Kräfte die Kontrolle über das Gebiet und besetzten größere Teile von Aserbaidschan. Der Waffenstillstand von 1994 führte zwar zum Ende der Kämpfe, nicht aber zum Frieden.

Im September 2020 begann Aserbaidschan mit einer umfassenden Militäroffensive, um die besetzten Gebiete zurückzuerobern. Russland vermittelte im November 2020 ein Waffenstillstandsabkommen. Es legte veränderte Grenzziehungen fest und Moskau schickte Soldaten in die Region. Russland gilt als Schutzmacht der christlichen Armenier.

Aserbaidschans Verbündeter ist die Türkei. Die Waffenruhe blieb stets brüchig. Erst in diesem Jahr sollte unter Vermittlung der EU ein Friedensvertrag ausgehandelt werden, auch Russland vermittelt. Konkrete Ergebnisse gab es bislang nicht. Doch bei den jüngsten Kämpfen ging es nicht direkt um Bergkarabach. Es wurden Stellungen nahe der Städte Kapan, Goris, Sotk und Dschermuk in Armenien attackiert.

Was plante die Führung in Aserbaidschan?

Aserbaidschan versuchte offenbar, militärisch Druck auf Armenien aufzubauen, um Fakten zu schaffen und ein Friedensabkommen stärker nach seinen Vorstellungen durchzusetzen. Der autokratische Präsident Ilham Aliyev fühlt sich gestärkt, weil die EU mehr Gas von Aserbaidschan kaufen will, um russisches Gas zu ersetzen. Aserbaidschans Verbündeter Türkei rief Armenien auf, seine „Provokationen“ zu unterlassen und sich auf die Friedensverhandlungen zu konzentrieren.

Wie reagierte Armenien?

Der armenische Regierungschef Paschinjan telefonierte mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und bat um Unterstützung durch das östliche Militärbündnis OVKS. Doch Armeniens Schutzmacht dürfte wegen des Kriegs gegen die Ukraine kein Interesse an einer weiteren Front gehabt haben. Paschinjan telefonierte auch mit US-Verteidigungsminister Antony Blinken und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und verlangte „eine angemessene Reaktion der internationalen Gemeinschaft“.

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Wie reagierte Russland?

Russland bemühte sich auch am Mittwoch intensiv um eine Waffenruhe. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, Putin unternehme „jede Anstrengung, um zu helfen, die Spannungen zu deeskalieren“. Das russische Außenministerium forderte beide Seiten dazu auf, „von weiterer Eskalation abzusehen“.

Wie reagierten die EU und die USA?

EU-Ratschef Charles Michael, der in diesem Jahr mit beiden Seiten an einer Friedenslösung gearbeitet hatte, nannte die Kämpfe „besorgniserregend“. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borell erklärte, die EU sei entschlossen, weiter zu vermitteln. US-Außenminister Blinken forderte den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev in einem Telefongespräch dazu auf, die Kämpfe sofort einzustellen. Damit hatte er den Angreifer eindeutig benannt.

Gefährdete der Konflikt die vereinbarten Gaslieferungen von Aserbaidschan nach Europa?

Nein. Präsident Aliyev festigte damit auch seine Position und das Projekt liegt weit in der Zukunft und ist umstritten. Seit 2020 liefert Aserbaidschan Gas nach Süditalien, allerdings nur etwa acht Milliarden Kubikmeter. 2027 sollen 20 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa strömen. Doch sind dafür enorme Investitionen nötig – das Gaspipelinenetz müsste ausgebaut werden. (mit dpa)

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.