Berlin . Aus Protest gegen den Ukraine-Krieg formiert sich in Russland eine Graswurzelbewegung gegen Putin. Ist es der Herbst des Patriarchen?

Die Gegenoffensive der Ukraine ist für Russland schon die zweite Demütigung nach dem im Frühjahr abgebrochenen Sturm auf Kiew. Was lösen die Rückschläge im Ukraine-Krieg in Moskau aus? Die "militärische Spezialoperation" war nie unumstritten. Nur fiel der Protest still meist aus. Neu und für Kremlchef Wladimir Putin schwer erträglich ist, dass Dutzende Politiker seinen Rücktritt fordern. Rückt der Herbst des Patriarchen näher?

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Kritiker riskieren viel, der Verrats-Vorwurf liegt unheilvoll in der Luft. Vorerst ist es eine Graswurzelbewegung, die aus Kommunalpolitikern besteht, ausgerechnet aus Putins Wirkungsstätten aus Sankt Petersburg und Moskau. Sankt Petersburg ist seine Geburtsstadt und Moskau seine Schaltzentrale.

Putin in der Kritik: Unmut und Rücktrittsforderungen

Die Petition mit der Rücktrittsforderung trägt fast 50 Unterschriften. Putins Handlungen, heißt es da, "fügen der Zukunft Russlands und seiner Bürger Schaden zu". Die Initiatoren wissen, dass sie sich auf dünnem Eis bewegen. "Wir benutzen bewusst das Wort Sonderoperation, wie das vorgeschrieben ist", erläuterte einer von ihnen, Nikita Juferew, dem "Stern".

Die Unterzeichner achten penibel darauf, keine Regeln und Vorschriften zu verletzen. Was sie verlangen, ist gleichwohl gefährlich, wiewohl legitim und auch legal. "Wir schlagen nur vor, das vom Gesetz vorgesehene Prozedere gegen ihn anzuwenden." Das Prozedere der Amtsenthebung sei in der Verfassung festgelegt. "Aus juristischer Sicht sind wir sauber", so Juferew.

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Die Petersburger Bezirksverordnete Xenija Torstrjom twitterte, "der Text der Petition ist lakonisch und 'diskreditiert' niemanden." Dem russischen Nachrichtenportal The Insider sagte sie, "unsere Aufgabe ist es, die Interessen der Menschen zu vertreten, und wir sehen, dass die Menschen nicht zufrieden sind." Auch sie verstehe seine Motive und Handlungen nicht. "Sie können nicht so lange an der Macht sein", sagte sie zu Putin.

Die Initiative beweist erst einmal bloß, dass der Druck aus den eigenen Reihen wächst. Wichtiger ist eher die Frage, wie sich die Oligarchen verhalten; ob die Liberalen ins Spiel kommen oder ob extreme Kräfte entfesselt werden. Ultranationalisten legen Putin schon den Einsatz von taktischen Atomwaffen nahe. Dmittri Medwedew, einst Putins liberaler Vorgänger, heute ein Scharfmacher, droht der Ukraine mit der Forderung nach einer "totalen Kapitulation". Zum Leidwesen seiner Kritiker deutet nichts darauf hin, dass Putin einlenken und Verhandlungen anstreben will.

Was Kritiker irritiert, selbst Befürworter des Krieges, ist die Realitätsverdrängung. Als die Russen ihren Angriff auf Kiew abbrechen mussten, ließ Putin eine „Verringerung militärischer Aktivität" verkünden. Die Aufgabe der Schlangeninsel wurde als „Schritt des guten Willens“ verkauft, und die erzwungene Rückzug im Nordosten gilt nun als "Umgruppierung". In Putins Welt läuft der Krieg selbstredend – nach Plan. Immer mehr Russen kommen nicht mehr mit, wollen es auch nicht.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.morgenpost.de.