Berlin/Kiew. Der umstrittene ukrainische Botschafter Andrij Melnyk soll nach Kiew wechseln. Wird er befördert? Wie es für ihn weitergehen könnte.

Es war an einem lauen Sommerabend in Berlin-Mitte, wenige Tage vor der Bundestagswahl Ende September. Die Gäste nippten an ihren Weingläsern, eine Live-Band spielte Smooth Jazz. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, ließ im Gespräch durchblicken, was er vom Geschäft der Diplomatie mit wattierter Wortwahl hielt: nichts. „Wenn Sie immer nur leise, nett und freundlich sind, finden Sie kein Gehör“, sagte er.

Damals schwelte der Konflikt im Donbass vor sich hin. Bereits an jenem Septemberabend beklagte Melnyk ein nachlassendes Interesse der deutschen Politik an der Ukraine. Heute herrscht Krieg in der Ukraine. Seit dem 24. Februar überziehen russische Truppen das Land mit einem Bombenhagel.

Melnyks Enttäuschung ist Wut, Zorn und Lust an der offenen Provokation gewichen. Als er kurz nach der Invasion im Bundesverteidigungsministerium um Waffenlieferungen für sein Land gebeten habe, sei ihm bedeutet worden: „Gebt auf. Ihr habt gegen die Russen ohnehin keine Chance.“ Der Botschafter sei fassungslos gewesen, erzählen Leute, die ihn gut kennen.

Melnyk bezeichnete Scholz als „beleidigte Leberwurst“

Mit der Zeit überschritt Melnyk Grenzen, die Diplomaten klassischerweise einhalten. Er appellierte und mahnte nicht mehr, er wählte die offene politische Feldschlacht. In Talkshows und anderswo ging er die Bundesregierung wegen der schleppenden militärischen Unterstützung frontal an.

Dabei machte er auch vor den höchsten Verfassungsorganen nicht halt – selbst nicht vor dem Bundespräsidenten. Als Frank-Walter Steinmeier im April eine Reise nach Kiew verweigert wurde und Bundeskanzler Scholz dies schmallippig rügte, beschimpfte Melnyk diesen als „beleidigte Leberwurst“.

Der diplomatische Affront war derart heftig, dass selbst die „New York Times“ darüber berichtete. In deutschen Medien hagelte es Proteststürme von Lesern, Zuschauern und Usern. Tenor: Bei Melnyk sind die Sicherungen durchgebrannt.

Melnyk nimmt krainischen Nationalisten Bandera in Schutz

Als die Bundesregierung im Juni auch die Entsendung schwerer Waffen wie Panzerhaubitzen und Raketenabwehrsysteme in die Ukraine ankündigte, wurde Melnyk kurzzeitig milde. Er sprach von einem „Wendepunkt‘“ und lobte ausdrücklich den Kanzler. Kürzlich kündigte er sogar an, sich bei Scholz für die „Beleidigte Leberwurst“-Äußerung entschuldigen zu wollen.

Doch dann sorgte er erneut für Furore. In einem Interview mit dem Journalisten Tilo Jung nahm Melnyk den umstrittenen ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera in Schutz. „Es gibt keine Belege, dass Bandera-Truppen Hunderttausende Juden ermordet haben“, erklärte Melnyk. Es war ein Stich ins Wespennest. Der polnische Vizeaußenminister Marcin Przydacz schäumte: „So eine Auffassung und solche Worte sind absolut inakzeptabel.“ Die israelische Botschaft in Berlin schickte eine bittere Beschwerde.

Offensichtlich war so viel diplomatisches Porzellan zerschlagen, dass sich selbst die Regierung in ­Kiew zur Intervention genötigt sah. Das Außenministerium veröffentlichte auf seiner Webseite: Melnyks Meinung in dem Jung-Interview sei „seine persönliche und gibt nicht die Position des ukrainischen Außenministeriums wieder“.

Berichte: Melnyk soll zurück in die Ukraine bestellt werden

Inmitten des Eklats sorgten Presseberichte über eine bevorstehende Abberufung Melnyks aus Berlin für Aufruhr. „Bild“ und die „Süddeutsche Zeitung“ berichteten unter Verweis auf ukrainische Quellen, der Botschafter solle ins Außenministerium nach Kiew wechseln. Noch im Herbst könnte der 46-Jährige stellvertretender Außenminister werden, schrieb die „Bild“.

Offiziell bestätigt wurde dies nicht. „Es gab noch keine Entscheidungen“, betont ein hochrangiger Beamter in Kiew. Dort wird hervorgehoben, das Melnyk bereits seit siebeneinhalb Jahren auf seinem Posten in Berlin ist – im Schnitt werden Diplomaten nach vier bis fünf Jahren ausgewechselt.

Kiew: Melnyk droht keine Strafversetzung

Eine Strafversetzung blühe ­Melnyk auf keinen Fall, heißt es in Kiew. Vielmehr sei bereits vor einem Jahr überlegt worden, dem Botschafter in der ukrainischen Hauptstadt eine Spitzenposition zu geben. Den Plan habe man zunächst fallen gelassen, weil kein geeigneter Nachfolger für Berlin gefunden worden sei. In Kiew wird zudem darauf verwiesen, dass die Zusage der Bundesregierung, schwere Waffen in die Ukraine zu liefern, auch Melnyks Verdienst sei.

Der Botschafter habe bei seiner Kritik an der Bundesregierung durchaus die Rückendeckung von Präsident Wolodymyr Selenskyj gehabt, unterstreicht der Regierungsbeamte. Selenskyj hatte in einem Interview mit dem US-Magazin ­„Time“ im Mai noch erklärt: „Die Situation mit den Deutschen ist wirklich schwierig. Sie handeln, als ob sie ihre Beziehung mit Russland nicht verlieren wollen.“ Und: „Es ist ihr deutscher Pragmatismus. Der kommt uns teuer zu stehen.“

Mittlerweile hat auch der ukrainische Staatschef seine Rhetorik gegenüber der Bundesregierung abgemildert – wie Melnyk. Welches Standing der Botschafter im Stab des Präsidenten tatsächlich genießt, wird sich nach dem anstehenden Wechsel nach Kiew zeigen. Sein neues Amt ist der Indikator.

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.