Berlin. 2022 schickt die Ukraine das Kalush Orchestra zum ESC nach Turin. Womöglich könnte die Band den Eurovision Song Contest sogar gewinnen.

  • Sie gelten als große Favoriten beim Eurovision Song Contest 2022: Das "Kalush Orchestra" aus der Ukraine
  • Ihre Vorbereitungen auf den ESC wurden vom Krieg in ihrer Heimat überschattet
  • Trotzdem wird die Band in Turin auf der Bühne stehen

Der Mann, der 2022 die europäische Pop-Meisterschaft gewinnen könnte, hatte lange keinen Kopf für Musik. Oleh Psiuk, Frontmann der Band Kalush Orchestra, ist in Gedanken in seiner Heimat, die im Februar von Russland angegriffen wurde. Zeitweise bangte der Sänger um seine Freundin, die mit einem Molotowcocktail bewaffnet in einem Bunker hocke und dort auf ein Ende der russischen Angriffe hoffe.

„Sie ist 300 Kilometer von mir entfernt“, berichtet der aus der Westukraine stammende Sänger. "Wir können uns nicht treffen, denn das wäre zu gefährlich." Das auf Folklore-Rap spezialisierte Kalush Orchestra vertritt die Ukraine im Mai in Turin beim Eurovision Song Contests (ESC).

Ukrainische Band Kalush Orchestra: Fluchthilfe statt Proben für den ESC

Sie müssten proben, hatten aber keine Zeit. Ein Bandmitglied dient in einer ukrainischen Verteidigungseinheit. Oleh Psiuk hat nach eigenen Angaben eine 20-köpfige Freiwilligentruppe zusammengestellt, die Landsleuten bei der Flucht und mit Medikamenten hilft. "Ich kann mich nicht auf den ESC freuen, während ich mir Sorgen um meine Lieben mache", beschreibt Psiuk seine Gefühle gegenüber der Agentur Reuters.

Selbst wenn der Krieg bald enden sollte, gebe es keine Normalität: "Dieses Land liegt in Trümmern." Die Geschichte des Kalush Orchestra bewegt schon jetzt Musikfans auf dem ganzen Kontinent. Die Band ist laut Buchmachern der große Favorit: Internationale Wettanbieter wie Unibet prognostizieren der Gruppe, die mit dem an eine Mutter gerichteten Song "Stefania" ins Rennen geht, eine Solidaritätsbekundung Europas.

Eurovision Song Contest 2022: Ukrainische Kandidatin hatte hingeschmissen

Mitte Februar, also vor Russlands Einmarsch, war die Ukraine noch im Mittelfeld positioniert. Kaum je zuvor war der ESC so ernst, so politisch. Die eigentlich beim ukrainischen Vorentscheid ausgewählte Kandidatin schmiss nur vier Tage nach ihrem Sieg hin: Die 28-jährige Alina Pash war in die Kritik geraten, weil sie vor Jahren von Moskau kommend auf die von Russland annektierte Krim gereist war – das ist nach den geltenden Gesetzen der Ukraine verboten.

"Ich bin Künstlerin, kein Politiker. Ich habe keine Armee von PR-Leuten, Managern, Anwälten, um all diesen Angriffen, Bedrohungen und diesem Druck sowie dem Einbruch in meine sozialen Netzwerke etwas entgegenhalten zu können", erklärte Pash. Als sie zurückzog, rückte das Kalush Orchestra nach.

Russland hingegen wird keinen Interpreten nach Norditalien schicken. Die Europäische Rundfunkunion (EBU), ein Zusammenschluss Dutzender Radio- und TV-Sender, hat das Land als Veranstalterin vom Song Contest ausgeschlossen. Man sei "besorgt über die aktuellen Ereignisse in der Ukraine", hieß es aus der EBU-Zentrale in Genf.

ESC nicht immer unpolitisch

Dabei versteht sich der ESC, ähnlich wie Fußball-Weltmeisterschaften und Olympische Spiele, als unpolitischer Wettbewerb. "Ansprachen und Gesten politischer Natur sind während des Contests untersagt", heißt es im ESC-Reglement der EBU. Doch gerade in den letzten Jahren gelang es dem Song Contest nicht immer, gesellschaftliche Konflikte zu überstrahlen.

2016, also zwei Jahre nach der russischen Krim-Annexion, gewann die ukrainische Sängerin Jamala (38) mit einem Lied, das von der Stalinischen Deportation der Krimtataren 1944 erzählt. 2015 präsentierte die armenische Band Genealogy einen Song über den Genozid an den Armeniern. Und als Israel vor drei Jahren den ESC ausrichtete, entzündeten sich dort Diskussionen darüber, ob die Party mit dem Sabbat vereinbar sei.

Die Ukraine gewinnt das ESC-Finale

Die Ukraine hat die meisten Punkte geholt und ist Sieger des Eurovision Song Contests 2016. Die Trophäe geht an Jamala und ihren Song „1944“.
Die Ukraine hat die meisten Punkte geholt und ist Sieger des Eurovision Song Contests 2016. Die Trophäe geht an Jamala und ihren Song „1944“. © dpa | Britta Pedersen
Millionen Fans weltweit haben am Samstagabend beim 61. ESC-Finale mitgefiebert. 26 Kandidaten waren in Stockholm ins Rennen gegangen. Deutschland ist auf dem letzten Platz gelandet.
Millionen Fans weltweit haben am Samstagabend beim 61. ESC-Finale mitgefiebert. 26 Kandidaten waren in Stockholm ins Rennen gegangen. Deutschland ist auf dem letzten Platz gelandet. © dpa | Britta Pedersen
Den Anfang des 61. Eurovision Song Contests in Stockholm machte die 19-Jährige Laura Tesoro. Sie ging mit „What’s The Pressure“ für Belgien ins Rennen ...
Den Anfang des 61. Eurovision Song Contests in Stockholm machte die 19-Jährige Laura Tesoro. Sie ging mit „What’s The Pressure“ für Belgien ins Rennen ... © dpa | Britta Pedersen
... und brachte den Funk auf die Bühne.
... und brachte den Funk auf die Bühne. © dpa | Maja Suslin
Gabriela Gunčíková ging mit „I Stand“ für die Tschechische Republik an den Start.
Gabriela Gunčíková ging mit „I Stand“ für die Tschechische Republik an den Start. © dpa | Britta Pedersen
Mit einem bodenlangen, weißen Kleid vertrat sie Tschechien, das zum fünften Mal beim ESC dabei war.
Mit einem bodenlangen, weißen Kleid vertrat sie Tschechien, das zum fünften Mal beim ESC dabei war. © dpa | Maja Suslin
Er galt als einer der ESC-Favoriten: Douwe Bob mit „Slow Down“.
Er galt als einer der ESC-Favoriten: Douwe Bob mit „Slow Down“. © dpa | Britta Pedersen
Er sang für die Niederlande – mit Tattoo am Hals.
Er sang für die Niederlande – mit Tattoo am Hals. © dpa | Britta Pedersen
Samra Rahimli mit ihrem Song „Miracle“ für Aserbaidschan.
Samra Rahimli mit ihrem Song „Miracle“ für Aserbaidschan. © dpa | Britta Pedersen
Rahimli trat mit männlicher Verstärkung und goldenem Ganzkörper-Anzug auf.
Rahimli trat mit männlicher Verstärkung und goldenem Ganzkörper-Anzug auf. © dpa | Britta Pedersen
Für Ungarn ging Freddie mit „Pioneer“ an den Start.
Für Ungarn ging Freddie mit „Pioneer“ an den Start. © dpa | Britta Pedersen
Ein sehr gut aussehendes, singendes Model – die Stimme wie ein Reibeisen.
Ein sehr gut aussehendes, singendes Model – die Stimme wie ein Reibeisen. © dpa | Maja Suslin
Für Italien kam Francesca Michielin mit „No Degree Of Separation“. Sehr unschuldig im Vergleich zur Künstlerin aus Aserbaidschan etwa.
Für Italien kam Francesca Michielin mit „No Degree Of Separation“. Sehr unschuldig im Vergleich zur Künstlerin aus Aserbaidschan etwa. © dpa | Britta Pedersen
Hovi Star und seine Haartolle sangen für Israel.
Hovi Star und seine Haartolle sangen für Israel. © dpa | Britta Pedersen
„Made Of Stars“ hörte sich ganz ordentlich an – mehr noch imponierte die glitzernde Bühne.
„Made Of Stars“ hörte sich ganz ordentlich an – mehr noch imponierte die glitzernde Bühne. © dpa | Britta Pedersen
Poli Genova war schon zum zweiten Mal dabei.
Poli Genova war schon zum zweiten Mal dabei. © dpa | Britta Pedersen
Sie sang für Bulgarien „If Love Was A Crime“.
Sie sang für Bulgarien „If Love Was A Crime“. © dpa | Britta Pedersen
Gastgeberland Schweden schickte den 17-jährigen Frans mit „If I Were Sorry“ ins Rennen. Das Publikum flippte aus. Kreischalarm in der Globe Arena.
Gastgeberland Schweden schickte den 17-jährigen Frans mit „If I Were Sorry“ ins Rennen. Das Publikum flippte aus. Kreischalarm in der Globe Arena. © dpa | Britta Pedersen
Der Song ist gut. Und Frans blieb total relaxed und sympathisch.
Der Song ist gut. Und Frans blieb total relaxed und sympathisch. © dpa | Britta Pedersen
 Der nächste Sommerhit?
Der nächste Sommerhit? © dpa | Maja Suslin
Ja - mie - Lee ! Ja - mie - Lee ! Ja - mie - Lee ! Ja - mie - Lee !
Ja - mie - Lee ! Ja - mie - Lee ! Ja - mie - Lee ! Ja - mie - Lee ! © dpa | Britta Pedersen
Jamie-Lee mit ihrem Song
Jamie-Lee mit ihrem Song "Ghost". © dpa | Britta Pedersen
Jamie-Lee trug ein blaues Tütü-Kleid und ein Blumennest auf dem Kopf.
Jamie-Lee trug ein blaues Tütü-Kleid und ein Blumennest auf dem Kopf. © dpa | Britta Pedersen
Sie ging als Zehnte an den Start. „Ein klasse Auftritt“, sagte ARD-Kommentator Peter Urban. Am Ende gab es allerdings nur elf Punkte – und den letzten Platz.
Sie ging als Zehnte an den Start. „Ein klasse Auftritt“, sagte ARD-Kommentator Peter Urban. Am Ende gab es allerdings nur elf Punkte – und den letzten Platz. © dpa | Britta Pedersen
Für Frankreich trat der favorisierte Amir auf. Er schmetterte den Song „J’ai cherché“.
Für Frankreich trat der favorisierte Amir auf. Er schmetterte den Song „J’ai cherché“. © dpa | Britta Pedersen
Kommentator Peter Urban verglich sein Äußeres mit Elyas M’Barek.
Kommentator Peter Urban verglich sein Äußeres mit Elyas M’Barek. © dpa | Britta Pedersen
Polen schickte Michal Szpak mit „Colour Of Your Life“ auf die ESC-Bühne.
Polen schickte Michal Szpak mit „Colour Of Your Life“ auf die ESC-Bühne. © dpa | Britta Pedersen
Trotz gewöhnungsbedürftigem Outfit und langer Haarpracht wirkte der Song doch recht langweilig.
Trotz gewöhnungsbedürftigem Outfit und langer Haarpracht wirkte der Song doch recht langweilig. © dpa | Maja Suslin
Eine tolle Stimme aus Australien. Dami Im sang „Sound Of Silence“ – mit viel Pathos.
Eine tolle Stimme aus Australien. Dami Im sang „Sound Of Silence“ – mit viel Pathos. © dpa | Britta Pedersen
Australien war zum zweiten Mal beim ESC dabei. Die Australier sind große Fans des Song Contests ...
Australien war zum zweiten Mal beim ESC dabei. Die Australier sind große Fans des Song Contests ... © dpa | Britta Pedersen
... und überzeugten mit ihrem Auftritt. Am Ende musste sich Dami Im nur Jamala aus der Ukraine geschlagen geben.
... und überzeugten mit ihrem Auftritt. Am Ende musste sich Dami Im nur Jamala aus der Ukraine geschlagen geben. © dpa | Maja Suslin
Zypern schickte seine harten Kerle nach Stockholm.
Zypern schickte seine harten Kerle nach Stockholm. © dpa | Britta Pedersen
Die Band Minus One präsentierte den Song „Alter Ego“.
Die Band Minus One präsentierte den Song „Alter Ego“. © dpa | Britta Pedersen
Mit der Startnummer 15 trällerte Sanja Vučič für Serbien.
Mit der Startnummer 15 trällerte Sanja Vučič für Serbien. © dpa | Britta Pedersen
Die serbische Sängerin wurde von vier weiteren Damen im schwarzen Lederoutfit tänzerisch begleitet.
Die serbische Sängerin wurde von vier weiteren Damen im schwarzen Lederoutfit tänzerisch begleitet. © dpa | Maja Suslin
Litauen schickte Donny Montell ins Rennen und gab die Mainstream-Nummer „I’ve Been Waiting For This Night“ zum Besten.
Litauen schickte Donny Montell ins Rennen und gab die Mainstream-Nummer „I’ve Been Waiting For This Night“ zum Besten. © dpa | Britta Pedersen
Nebelmaschine und Outfitwechsel!
Nebelmaschine und Outfitwechsel! © dpa | Maja Suslin
Für Kroatien ging Nina Kraljić mit „Lighthouse“ an den Start. Den Song haben zwei Österreicher geschrieben.
Für Kroatien ging Nina Kraljić mit „Lighthouse“ an den Start. Den Song haben zwei Österreicher geschrieben. © dpa | Maja Suslin
Auch dieses Jahr bot der ESC das obligatorische Wechselkleid.
Auch dieses Jahr bot der ESC das obligatorische Wechselkleid. © dpa | Maja Suslin
Der nächste Favorit war Russland mit Sergey Lazarev.
Der nächste Favorit war Russland mit Sergey Lazarev. © dpa | Britta Pedersen
Die Popnummer war relativ lahm, die Choreographie dafür umso aufwendiger.
Die Popnummer war relativ lahm, die Choreographie dafür umso aufwendiger. © dpa | Maja Suslin
Peter Urban kommentierte: „Der russische Marco Reus.“
Peter Urban kommentierte: „Der russische Marco Reus.“ © dpa | Britta Pedersen
Spanien wollte mit Barei den ESC-Pokal holen.
Spanien wollte mit Barei den ESC-Pokal holen. © dpa | Maja Suslin
Sie trat als Neunzehnte mit dem Song „Say Yay!“ auf.
Sie trat als Neunzehnte mit dem Song „Say Yay!“ auf. © dpa | Maja Suslin
Lettland versuchte es mit Justs und „Heartbeat“.
Lettland versuchte es mit Justs und „Heartbeat“. © dpa | Maja Suslin
Eine solide Disco-Nummer.
Eine solide Disco-Nummer. © dpa | Britta Pedersen
Ein heftig diskutierter ESC-Beitrag aus der Ukraine, der von der Deportation der Krimtataren handelt, kam von Jamala legte ihren ganzen Schmerz in den Song „1944“. Sie holte die begehrte Trophäe und schafft es auf Platz eins.
Ein heftig diskutierter ESC-Beitrag aus der Ukraine, der von der Deportation der Krimtataren handelt, kam von Jamala legte ihren ganzen Schmerz in den Song „1944“. Sie holte die begehrte Trophäe und schafft es auf Platz eins. © dpa | Britta Pedersen
Endlich wieder Glitzer. Malta wurde von Ira Losco und ihrem Song „Walk On Water“ vertreten.
Endlich wieder Glitzer. Malta wurde von Ira Losco und ihrem Song „Walk On Water“ vertreten. © dpa | Maja Suslin
Sie ist im vierten Monat schwanger.
Sie ist im vierten Monat schwanger. © dpa | Britta Pedersen
Die „Young Georgian Lolitaz“, eine Indie-Rockband aus Georgien startete auf Platz 23. Mit „Midnight Gold“ lieferten ...
Die „Young Georgian Lolitaz“, eine Indie-Rockband aus Georgien startete auf Platz 23. Mit „Midnight Gold“ lieferten ... © dpa | Britta Pedersen
... die Jungs einen soliden Indie-Song.
... die Jungs einen soliden Indie-Song. © dpa | Britta Pedersen
Österreich schickte die hübsche Zoë mit „Loin d’ici“ ins Rennen.
Österreich schickte die hübsche Zoë mit „Loin d’ici“ ins Rennen. © dpa | Britta Pedersen
Joe and Jake kamen aus Großbritannien.
Joe and Jake kamen aus Großbritannien. © dpa | Britta Pedersen
Die Zwei hatten den Song „You’re Not Alone“im Angebot.
Die Zwei hatten den Song „You’re Not Alone“im Angebot. © dpa | Britta Pedersen
Die letzte Nummer des Abends: Iveta Mukuchyan aus Armenien.
Die letzte Nummer des Abends: Iveta Mukuchyan aus Armenien. © dpa | Britta Pedersen
„Love Wave“ wurde mit viel nackter Haut in Szene gesetzt.
„Love Wave“ wurde mit viel nackter Haut in Szene gesetzt. © dpa | Britta Pedersen
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Den Mitglieder des Kalush Orchestra gelange es trotz der widrigen Umstände, für den Eurovision Song Contest nach Italien zu kommen. In ihrem Lied heißt es: "Ich werde immer meinen Weg nach Hause finden, auch wenn alle Straßen zerstört sind." Für viele Ukrainer, sagt Sänger Oleh Psiuk, sei der Song mittlerweile zu einer Hymne geworden.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.