Berlin. Nie mehr arbeiten und trotzdem entspannt leben: Diesen Traum träumen viele. Mit Strategie und Disziplin kann der Wirklichkeit werden.

  • Mit 40 in den Ruhestand? Das klingt nicht gerade realistisch
  • Doch es gibt eine Bewegung, die sich genau das auf die Fahnen geschrieben haben
  • Wie die Rente mit 40 funktionieren kann, lesen Sie hier

Mit 40 den Stift fallen lassen, eine Runde Sekt zum Ausstand spendieren und dann fröhlich pfeifend in den Sonnenuntergang reiten: So klingt das Versprechen der F.I.R.E-Bewegung. Deren Anhängerinnen und Anhänger habe sich dem Traum vom Frühruhestand verschrieben – und nehmen dafür ein mitunter entbehrungsreiches Leben auf sich. Was es mit der Idee auf sich hat, wie der Traum gelingen kann und welche Probleme er mit sich bringen kann, erfahren Sie hier.

Was heißt F.I.R.E.?

F.I.R.E. steht für „Financial Independence, Retire Early”, zu Deutsch: Finanzielle Unabhängigkeit und Frühruhestand“. Der Name ist Programm, die Bewegung setzt alles daran, möglichst früh nicht mehr arbeiten zu müssen und dabei nicht auf die Sozialkassen angewiesen zu sein. In anderen Worten: Anhänger der Bewegung versuchen, in möglichst kurzer Zeit ein möglichst großes Vermögen anzuhäufen, um dann für den Rest des Lebens nicht mehr auf Erwerbsarbeit angewiesen zu sein.

Die finanzielle Freiheit soll dabei mit spätestens 40 Jahren gelingen, idealerweise sogar schon mit 30. Die F.I-R-E.-Idee stammt aus den USA, wo sie sich im Zuge der Finanzkrise der 2000er entwickelte, findet sich aber in Grundzügen auch schon im Calvinismus des 17. Jahrhunderts. In Europa und Deutschland ist die Finanzphilosophie auch als „Frugalismus“ bekannt, abgeleitet vom lateinischen Wort „frugalis“, das mit „sparsam“, „wirtschaftlich“ und „ordentlich“ übersetzt werden kann.

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    Wie funktioniert Frugalismus?

    Kern des Frugalismus sind Konsumverzicht, möglichst hohes Erwerbseinkommen in der Gegenwart sowie eine ausgefuchste Anlagestrategie. Beim Konsumverzicht werden einerseits Ausgaben geprüft, die unnötig erscheinen können, etwa Essen gehen, neue Kleidung oder immer neue Elektronik.

    Andererseits wird bewusster konsumiert, also etwa viel selbst gekocht, Defektes repariert oder Gebrauchtes gekauft. Im Endeffekt werden Gürtel enger geschnallt und Ausgaben auf das Nötigste reduziert. So gespartes Geld wird dann investiert.

    Gleichzeitig versuchen Frugalisten, ein möglichst hohes Einkommen zu erzielen, das es ermöglicht, möglichst viel davon für später auf die Seite zu legen. Um den eigenen Marktwert zu steigern, setzen sie unter anderem auf Fortbildungen und Gehaltsverhandlungen. Die Grundlage bildet dabei eine möglichst gute Ausbildung.

    Wie investieren Frugalisten?

    Frugalistinnen setzen beim Investieren vor allem auf risikostreuende und thesaurierende Fonds oder ETFs. Sie gehen dabei nicht spekulativ vor, sondern halten ihre Anlagen über einen langen Zeitraum, um von Zinsen und Zinseszinsen zu profitieren. Statt aktiv gemanagte und somit teure Fonds zu besparen, sind die Anhänger der Bewegung darauf aus, möglichst effiziente Portfolios zu errichten – also ihr Geld kostengünstig selbst zu verwalten.

    Als finanziellen Anker nutzen Frugalisten Tagesgeld oder Festgeld. Die bringen im derzeitigen Zinstief zwar wenig bis keine Rendite, sind bis 100.000 Euro pro Kundin und Bank aber EU-weit durch die Einlagensicherung geschützt. Sichere Alternativen bieten auch Rohstoffe, Staatsanleihen oder Immobilien.

    Wie viel sparen Frugalisten?

    Abhängig vom jeweiligen Nettoeinkommen sparen Frugalistinnen zwischen mindestens 30 bis, im Extremfall, 80 Prozent ihres Verdiensts. Das Ziel ist dabei die finanzielle Freiheit, ein stark auslegungsfähiger Begriff. Um die zu erreichen, nutzen Frugalisten oft das Konzept der 4-Prozent-Regel. Sie geht zurück auf die Trinity-Studie aus dem Jahr 1998 und besagt vereinfacht formuliert, dass ein Ruheständler pro Jahr nur vier Prozent seines Vermögens ausgeben kann, ohne langfristig in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten.

    Ein simples Rechenbeispiel verrät, wie hoch die Summer aller Einlagen sein muss, damit der Traum vom Frühruhestand nicht platzt: Wer pro Jahr Ausgaben von 40.000 Euro hat, braucht eine Million Euro erspartes Vermögen, oder das 25fache der jährlichen Ausgaben, um 25 Jahre vor dem eigentlichen Renteneintrittsalter in Ruhestand zu gehen. Wer noch früher raus will, braucht entsprechend mehr, wer länger arbeiten mag, weniger.

    Welche Probleme gibt es?

    Frugalismus ist nicht frei von Problemen. So berücksichtigt die Idee etwa nicht, dass Unvorhersehbares eintritt. Ein schwerer Unfall oder lange Krankheit können zu höheren Ausgaben führen, die das Ersparte zu schnell aufbrauchen. Auch die Familiengründung ist in der reinen Lehre – also dem angepeilten Ruhestand mit 40 – nicht eingeplant, genauso wenig der Jobverlust. Und was passiert, wenn eine Person pflegebedürftig wird oder Steuern auf Kapitalerträge erhöht werden? Lesen Sie dazu: Wie wird die Rente versteuert?

    SystemDie gesetzliche Rente funktioniert nach dem Äquvivalenz- und dem Solidarprinzip.
    Renten-ArtenGrund-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenrente
    AusnahmenSelbstständige und Freiberufler sind in der Regel von der Versicherungspflicht befreit.
    FinanzierungDie gesetzliche Rente in Deutschland ist grundsätzlich umlagenfinanziert.
    ProblemeDie Unterfinanzierung resultiert hauptsächlich aus der zunehmend älter werdenden Bevölkerung in Deutschland.
    Drei SäulenDie Altersvorsorge in Deutschland umfasst die gesetzliche, betriebliche und private Altersvorsorge.
    UrsprungDie gesetzliche Rente wurde am 22. Juli 1889 unter Reichskanzler Otto von Bismarck offiziell eingeführt.

    Auch richtet sich die Idee vor allem an die obere Mittelschicht, Frugalisten finden sich entsprechend häufig in gut bezahlten Jobs der IT- oder Finanzbranche. Geringverdienende sind schlicht nicht in der Lage, die hohen Sparbeträge zu erzielen, um später sorglos allein von den Erträgen ihres Vermögens zu leben.

    Ethische Fragen stellen sich ebenfalls: Ist es vertretbar, dass sich Gutverdienende billige Wohnungen mieten, obwohl sie finanziell gesehen in der Lage wären, teurere Objekte zu beziehen? Schließlich treten sie so zu Geringverdienenden in Konkurrenz um denselben Pool an Wohnraum, während diese wiederrum kein Geld haben, teurere Wohnungen zu mieten.

    Zuletzt bedeutet Frugalismus auch die Nachteile bewussten Verzichts: Wer sich im Alter von 20 die Urlaubsreisen spart, verpasst vielleicht prägende Erlebnisse, die sich nicht mehr nachholen lassen. Unter den ambitionierten Sparzielen kann auch das soziale Leben leiden, wenn – überspitzt formuliert – statt Ausgehen Dosenravioli auf dem Programm stehen. Und wenn Finanzen ohne Not zum alles bestimmenden Lebensinhalt werden, können Partnerschaft oder Familie darunter leiden.

    Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.