Rom/Berlin . Der Rechtsnationalist Matteo Salvini hat bei der Europawahl in Italien abgeräumt. Wie der Lega-Chef die Empörung im Land ausnutzte.

Er lacht. Er jubelt. Er wirft Luftküsschen in die Menge. Matteo Salvini liebt die ganz große Geste. Nach dem Erdrutschsieg der Lega bei den Europawahlen mit knapp 35 Prozent fühlt sich Matteo Salvini als der Superstar der italienischen Politik.

Die Lega ist die mit Abstand stärkste Partei bei der EU-Wahl, der Koalitionspartner Fünf Sterne abgestraft. Was will man mehr? Salvini feiert den Triumph mit einem Twitter-Foto in Siegerpose vor einem Regal mit Fußballsymbolen und Goldikone. Er trägt eine Baseballmütze mit der Aufschrift „Make America great again“, dem Motto von US-Präsident Donald Trump. Strahlend dankt Salvini seinen Wählern. Er küsst ein Blechkreuz, das er aus der Tasche zieht. Ein bisschen Kitsch gehört dazu.

Mit dem Ergebnis verfünffachte der stellvertretende Ministerpräsident den Anteil seiner Lega im Vergleich zu den letzten Europawahlen. Seine gegen Mi­granten und Flüchtlinge, gegen Brüssel und die traditionellen Regeln von Demokratie und Rechtsstaat zielende Wahlkampagne hat sich ausgezahlt.

Italien: Salvini hat mit Lega landesweit abgeräumt

Selbst in Riace in Kalabrien haben Salvini & Co. gewonnen. In dem Dorf, das lange Zeit als Vorbildgemeinde für die Aufnahme von Flüchtlingen galt, hat die Lega mehr als 30 Prozent geholt und ist auf Platz eins gelandet. Der migrantenfreundliche Bürgermeister Domenico „Mimmo“ Lucano schaffte es bei der gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahl nicht einmal in den Gemeinderat.

Salvini fühlt sich von der Masse getragen. Nun fordert er von seinem Koalitionspartner Tribut. Er will im Kabinett Steuersenkungen, mehr Autonomie für norditalienische Regionen und vor allem einen Bruch der EU-Schuldenbremse durchboxen.

Lega-Chef als „Priester“ und „Kreuzfahrer“

Der Politologe Ilvo Diamanti nennt den Lega-Chef wegen dessen Auftretens auch einen „Priester“ und „Kreuzfahrer“. Mit religiösen Symbolen und der Bitte um göttliche Hilfe begebe er sich zugleich auf die Suche nach dem Feind, der aufgrund seiner Andersartigkeit als bedrohlich wahrgenommen werde. Anders sei die Lage bei der Fünf-Sterne-Bewegung, betont Diamanti.

Die Erwartungen an das von ihr gegen Salvini durchgesetzte Bürgereinkommen hätten sich nicht erfüllt. Viele Familien erhalten dadurch allenfalls rund 50 Euro mehr an monatlicher Unterstützung. Ein Durchbruch sieht anders aus.

Bei den letzten Europawahlen 2014 hatte Matteo Renzi von den Demokraten als „Verschrotter“ der alten Politiker-Eliten 40 Prozent der Wählerstimmen errungen.

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Salvini segelt auf der Welle der Wut der Menschen

Mit Angriffen auf Brüssel und das angeblich für dessen Sparkurs verantwortliche Berlin segelte er auf der Welle der Wut vieler Italiener. Renzi konnte die damit geweckten Hoffnungen an eine Verbesserung der miesen Wirtschaftsaussichten und der Verminderung der hohen Arbeitslosigkeit jedoch nicht schnell genug erfüllen. Er wurde im Handumdrehen zum meistgehassten Politiker des Landes.

Mit der gleichen Aggressivität verspricht Salvini nun eine Rückkehr in goldene alte Zeiten, in denen Italien noch nicht den Stürmen der Globalisierung standhalten musste. Kritik der UN an geplanten Strafen für Flüchtlingsretter wischt er weg, indem er sie lächerlich macht.

Eine internationale Organisation, die Steuerzahler Milliarden Euro koste und totalitäre Regime wie Nordkorea und die Türkei als Mitglieder führe, halte Italien Moralpredigten? Das sei doch einfach zum Lachen – wie in der italienischen TV-Sendung „Scherz beiseite“, spottet der Innenminister.

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Blauer Brief aus Brüssel wird erwartet – zu hohe Ausgaben?

Noch in dieser Woche wird in Rom ein blauer Brief aus Brüssel erwartet. Darin soll die Ausgabenpolitik der Regierung in Rom kritisiert werden, heißt es. Will Italien weitere Schritte für ein EU-Vertragsverletzungsverfahren verhindern, müsste es voraussichtlich binnen 48 Stunden Fragen nach Maßnahmen zum Schuldenabbau beantworten. Ohne eine Einigung droht Italien ein hohes Bußgeld.

Noch bevor das Schreiben in Rom eintrifft, fragt Salvini seine Anhänger über Twitter provokant: „Findet ihr es etwa normal, dass Europa von uns in einem historischen Moment mit fünf Millionen Arbeitslosen drei Milliarden Euro Bußgeld fordert?“ Für den alles überragenden Wahlsieger kann es darauf nur eine Antwort geben: „Wir werden diese Regeln ändern.“

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Dass nationalistische Parteien wie die Lega im Europaparlament trotz Wahlerfolgen weiterhin weit entfernt von einer Mehrheit sind, lässt der ununterbrochen im Wahlkampfmodus auftretende Populist bewusst außer Acht.

Salvini fletscht mit den Zähnen. Auch wenn er grinst, kann er seine Aggressivität kaum unterdrücken. Dem hat sein eher brav wirkender Koalitionspartner Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Partei – wie Salvini Vize-Ministerpräsident – nichts entgegenzusetzen. Innerhalb nur eines Jahres verlor die Anti-Establishment-Partei knapp die Hälfte ihrer Wähler. Plötzlich auf das Format eines Juniorpartners reduziert, bleibt Di Maio nur noch eine Nebenrolle.

Mehr Autonomie für die Regionen im Norden


Salvini führt sich auf wie der König von Italien. Er ist der starke Mann, der sein Programm nun im Parlament durchpauken möchte. Er will zunächst das umstrittene Sicherheitsdekret mit verschärften Strafen für Flüchtlingsretter verabschieden. Auch die von der Fünf-Sterne-Partei als Maßnahmen für Reiche verschrienen Steuersenkungen und die weitgehenden

Autonomieregelungen für industrialisierte Regionen im Norden Italiens liegen Salvini am Herzen. Di Maio und seine Partei werden vermutlich beides durchwinken. Denn bei Neuwahlen würden die Fünf Sterne einen beträchtlichen Teil ihrer Abgeordneten verlieren – und damit auch goldene Pensionsansprüche.

Im Rausch des Erfolgs scheut Salvini nicht davor zurück, zwei Parteifreunde zu rühmen, gegen die wegen des Verdachts auf Korruption ermittelt wird. „Einen Teil meines Sieges widme ich Armando Siri und Attilio Fontana und all denen, die in ein Getümmel hineingezogen wurden“, sagt er in der wichtigsten italienischen Talkshow, „Porta a Porta“.

Salvinis Wirtschaftsberater musste Amt aufgeben – Ermittlungen wegen Schmiergeld

Salvinis Wirtschaftsberater, der bereits wegen betrügerischen Bankrotts verurteilte Armando Siri, musste sein Amt vor Kurzem aufgeben, nachdem Ermittlungen gegen ihn im Rahmen eines Schmiergeldskandals aufgenommen worden waren. Attilio Fontana, der Gouverneur der Lombardei, geriet wegen Verdachts auf Amtsmissbrauch ins Visier der Justiz. Salvini stellt sich kompromisslos hinter beide Politiker.

Der Muskelmann der italienischen Politik fühlt sich so stark, dass einige um ihr Amt zittern. Zum Beispiel Ministerpräsident Giuseppe Conte. Der farblose Regierungschef war von Lega und Fünf-Sterne-Partei als Platzhalter und Schlichter eingesetzt worden. Conte sei überzeugt, dass sich Salvini an seine Stelle setzen wolle, heißt es im Palazzo Chigi, dem Amtssitz des Ministerpräsidenten.