Berlin. Die Europäische Zentralbank dreht trotz der Sorgen im Bankensektor weiter an der Zinsschraube. Was die Währungshüter dabei antreibt.

Die Europäische Zentralbank (EZB) setzt ihren Kampf gegen die hohe Inflation fort und erhöht trotz der Sorgen vor einer neuen Bankenkrise noch einmal die Leitzinsen. Am Donnerstag verkündeten die europäischen Währungshüter die sechste Anhebung in Folge. Mit 0,5 Prozentpunkten fiel die Erhöhung erneut kräftig aus. Damit liegt der Einlagenzins, der ebenso relevant für Sparer wie auch für Kreditnehmer etwa von Hypothekendarlehen ist, mittlerweile bei drei Prozent. Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Warum hebt die EZB trotz Bankenkrise die Zinsen weiter an?

Steigende Zinsen gelten als Mittel, um die Inflation im Zaum zu halten. Die Teuerungsrate ist im Euroraum weiterhin viel zu hoch. Die EZB strebt eine jährliche Inflationsrate von zwei Prozent an, im Februar war der durchschnittliche Warenkorb für Verbraucherinnen und Verbraucher aber 8,5 Prozent teurer als ein Jahr zuvor, wie das Statistikamt Eurostat ermittelt hat.

In Deutschland lag die Teuerungsrate zuletzt bei 8,7 Prozent. Besonders problematisch: Die sogenannte Kerninflation ist im Euroraum zuletzt auf 5,6 Prozent gestiegen. In dieser Berechnung werden die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Lebensmittel herausgerechnet. Sie gilt als Hinweis dafür, ob die Inflationsbekämpfung der EZB Wirkung zeigt.

Woher kommt dieser Anstieg?

Viele Unternehmen haben das Umfeld steigender Preise genutzt, um noch mehr als nur die gestiegenen Material- oder Einkaufspreise draufzuschlagen und so die eigene Marge vergrößert. Wie das ifo-Institut für Deutschland herausgefunden hat, haben vor allem Unternehmen im Handel, dem Gastgewerbe, dem Verkehr sowie im Baugewerbe kräftig an der Preisschraube gedreht. Entsprechend sprudeln bei vielen Unternehmen derzeit die Gewinne.

Sind die Löhne ein Preistreiber?

Der Abschluss der Deutschen Post am vergangenen Wochenende ließ aufhorchen: Über alle Einkommensgruppen hinweg würden Beschäftigte im Schnitt 11,5 Prozent mehr erhalten, in der Spitze seien etwa bei Paketsortierern und Zustellern sogar 20 beziehungsweise 18 Prozent drin, teilte die Post mit. Immer wieder wurde in den vergangenen zwei Jahren vor der sogenannten Lohn-Preis-Spirale gewarnt: Steigende Preise führen zu höheren Löhnen, die wiederum zu höheren Preisen führen. Und so weiter.

Ein Teufelskreislauf, bei dem all jene die Verlierer sind, deren Einkommen nicht im selben Tenpo mitwachsen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lud gar Gewerkschaften und Arbeitgeber zur konzertierten Aktion, um diese Gefahr zu bannen. Allerdings bilden Abschlüsse wie nun bei der Post eher die Ausnahme. Real, also unter Berücksichtigung der Inflationsrate, hatten Beschäftigte in Deutschland im vergangenen Jahr 3,7 Prozent weniger Lohn zur Verfügung als im Jahr zuvor.

Ist der weitere Zinsanstieg für das Finanzsystem gefährlich?

Die Pleite der Silicon Valley Bank (SVB) sorgt für Nervosität – nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa. „Ihre Einlagen sind sicher“, versprach US-Präsident Joe Biden am Montag, nachdem zunächst die SVB und dann auch noch die New Yorker Signature Bank in die Knie gegangen waren. Laut Scholz müsse man sich in Deutschland keine „großen Sorgen“ machen. Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) betonte, er sehe die Stabilität des europäischen Finanzsystems nicht gefährdet.

Der Silicon Valley Bank allerdings ist die Zinswende zum Verhängnis geworden. Sie hatte massiv in US-Staatsanleihen mit langer Laufzeit investiert. Diese wurden im Rahmen der Zinswende weniger wert. Da Anleger Geld abzogen, weil sie bei anderen Instituten höhere Zinsen in Aussicht hatten, musste die SVB ihre Anleihen abstoßen, um liquide zu bleiben – mit teils hohen Verlusten.

„Die EZB hat in einem sehr kurzen Zeitraum die Leitzinsen um 3 Prozentpunkte erhöht. Sie muss eine Zinspolitik betreiben, die auch die Risiken für die Konjunktur und die Finanzmärkte berücksichtigt“, sagte Silke Tober, Leiterin des Referats Geldpolitik am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung unserer Redaktion. „Auch mit Blick auf die Inflation wäre es deshalb sinnvoll, wenn es heute der letzte Zinsschritt ist.“

Schaden steigende Zinsen Banken?

Im Gegensatz zu vielen anderen Branchen gelten Banken häufig als Profiteure höherer Zinsen, immerhin erwirtschaften sie Erträge über das Zinsgeschäft. Allerdings braucht dieser Effekt eine gewisse Vorlaufzeit, ehe er sich einstellt. Kurzfristig sorgen steigende Zinsen auch bei Banken für Risiken. Denn nicht nur Staatsanleihen mit langer Laufzeit verlieren bei steigenden Zinsen an Wert. Auch für Aktien stellen sie für gewöhnlich ein großes Risiko dar, da Kredite für Unternehmen entsprechend teurer werden. Gerade schnell wachsende Branchen, die auf billiges Geld angewiesen sind, haben damit ein Problem.

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Halten Banken solche Wertpapiere, verlieren diese an Wert. Müssen sie verkauft werden, weil die Banken wie im Falle der Silicon Valley Bank zeitnah Geld brauchen, steht ein Verlust zu Buche. So mussten die 359 Sparkassen hierzulande im vergangenen Jahr fast 8 Milliarden Euro auf Anleihen, Aktien und andere Wertpapiere abschreiben, wie der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) am Dienstag bekanntgegeben hat. Für gewöhnlich sind große Banken allerdings breit aufgestellt in ihren Anlagen, um solchen Risiken zu begegnen. Das war bei der Silicon Valley Bank offenbar nicht der Fall.

Was heißt der Zinsschritt für amerikanische Banken?

Zunächst einmal wenig. Die EZB hinkt gemessen an ihrem amerikanischen Pendant, der Fed, noch hinterher. Die Fed hatte im Februar zum achten Mal in Folge die Leitzinsen auf eine Spanne von 4,5 bis 4,75 Prozent angehoben. In der kommenden Woche steht die Zinsentscheidung der Fed an – auf ihr liegt angesichts der strauchelnden Banken ein besonderes Augenmerk.

Eigentlich hatte Fed-Chef Jerome Powell vor einer Woche noch ein schnelleres Tempo der Zinserhöhungen in Aussicht gestellt. Nun könnte es durchaus sein, dass die Fed die Zinsen nur um 25 Basispunkte anhebt – manche Analysten glauben sogar, sie könnte angesichts der Situation ganz auf einen Zinsschritt verzichten. Dafür würde sprechen, dass sich die Inflationsrate in den USA im Februar auf 6,0 Prozent abgeschwächt hatte. Im Januar hatte sie noch bei 6,4 Prozent gelegen.

Selbst eine Zinssenkung ist nicht mehr ausgeschlossen. Als am Mittwoch die strauchelende Credit Suisse die Börsenkurse nach unten zog, schloss die Technologiebörse NASDAQ im Plus. Es wird spekuliert, dass in diesem Umfeld womöglich die Fed den Rückwärtsgang einlegen könnte. Davon würden Wachstumsunternehmen etwa aus der Technologiebranche profitieren.

Wie geht es mit der Inflation weiter?

Die Gefahr, dass sich die Inflation auf hohem Niveau verfestigt, ist keineswegs gebannt. Trotzdem gibt es Anzeichen leichter Entspannung. „Die Containerpreise sind massiv gesunken, die Energiepreise zurückgegangen. Auch wenn Lohnabschlüsse derzeit höher ausfallen, so gibt es keinen großen Druck, der die Preise insgesamt treibt“, sagt Ökonomin Tobler. Sie rechnet damit, dass sich die Inflation zügig abschwächen dürfte.

Voraussetzung dafür: Es darf kein neuer Schock kommen. Schon im Vorjahr gingen viele Ökonomen und auch die EZB davon aus, dass die hohe Inflation, die aus den gestörten Lieferketten und den Corona-Lockdowns in China resultierte, zurückgehen werde. Der Ukraine-Krieg kehrte diese Parameter um und sorgte dafür, dass die Inflation weiter in die Höhe schoss.