Washington. Staat und Notenbank sichern Zugang zu Einlagen im Volumen von 175 Milliarden Dollar zu. Eine größere Krise soll so vermieden werden.

15 Jahre nach der durch marode US-Banken ausgelösten Weltfinanzkrise stemmen sich die US-Regierung und die Notenbank „Fed” nach der plötzlichen Pleite der „Silicon Valley Bank” (SVB) in Kalifornien mit Macht gegen einen Domino-Effekt im Kreditwesen.

Parallel zur fieberhaften Suche nach einem solventen Käufer für das Institut, das auch in Europa Start-ups der Tech-Branche finanzierte, sicherten die obersten Regulierer am Sonntagabend in einem seltenen Kraftakt zu, dass sämtliche Kunden der gescheiterten Bank ab diesem Montagmorgen über rund 175 Milliarden Dollar Einlagen regulär verfügen können.

Pleite der Silicon Valley Bank: Steuerzahler sollen nicht dafür zahlen

Normalerweise sind Einlagen nur bis zur gesetzlichen Höchstgrenze von 250:000 Dollar gesichert. Wäre es dabei geblieben, hätte sich laut Regierung und „Fed” ein Ansteckungs-Effekt einstellen können, der die gesamte Banken-Branche in Mitleidenschaft gezogen hätte. Außerdem wären viele Unternehmen zahlungsunfähig geworden.

Die staatlichen Maßnahmen sollen nach einer offiziellen Mitteilung nicht auf Kosten des Steuerzahlers gehen, der 2008 für die billionenschwere Rettung der Banken in der damaligen Finanzkrise aufkommen musste. Präsident Joe Biden, für den der Fall potenziell eine ernste politische Gefahr darstellt, kündigte für den heutigen Montag eine Erklärung an. „Ich bin fest entschlossen, die Verantwortlichen für dieses Schlamassel zur Rechenschaft zu ziehen”, sagte er am Sonntagabend.

Bisher haben die Banken PNC Financial und Royal Bank of Canada (RBC) sowie die europäisch-asiatische Großbank HSBC leichtes Interesse an einer Übernahme der SVB-Bank bekundet. Ausgang offen.

USA: Schwerster Kollaps einer US-Bank seit der Lehmann-Pleite

Mit der schnellen Rettungs-Aktion, zu der am Sonntag auch die vorsorgliche Schließung der auf Anwaltskanzleien spezialisierten und ebenfalls in Schieflage geratenen „Signature Bank” in New York (Einlagenbestand: 90 Milliarden Dollar) gehörte, wollen die staatlichen Finanzaufseher einen möglichen Flächenbrand verhindern.

Erwartet wurde zuvor, dass es bei kleineren Regional-Banken bereits heute (Montag) zu großflächigen Konten-Räumungen kommen würde, weil Kunden das Vertrauen verlieren und ihre Guthaben in Sicherheit bringen wollten. Hintergrund: Der starke Zinsanstieg der „Fed” hatte dafür gesorgt, dass bei kleineren, weniger widerstandsfähigen Instituten der Wert von Anleiheportfolios deutlich gesunken ist. Müssten sie verkaufen, würden die Verluste real - die Liquidität der Häuser nähme drastisch ab.

Rückblick: Die amerikanische Einlagensicherung FDIC übernahm Ende vergangener Woche rigoros die Kontrolle über die SVB-Bank. Zuvor waren deren Aktien dramatisch abgestürzt. Binnen Stunden wurde ein Börsen-Verlust von 80 Milliarden Dollar generiert. Der Fall der SVB ist der schwerste Kollaps einer US-Bank seit dem Crash der Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008.

Polizeibeamte aus Santa Clara verlassen die Silicon Valley Bank.
Polizeibeamte aus Santa Clara verlassen die Silicon Valley Bank. © dpa | Jeff Chiu

Silicon Valley Bank: Guthaben über 250.000 Dollar sind derzeit nicht verfügbar

Auslöser für die Turbulenzen: Die SVB hatte versucht, durch die Platzierung neuer Aktien liquide zu bleiben. Verluste von fast zwei Milliarden Dollar aus dem Notverkauf von Wertpapieren aus dem Anleihe-Bestand sollten so ausgeglichen werden.

Das ging kolossal schief. Kunden misstrauten dem Institut aus Santa Clara, das vor 40 Jahren gegründet worden war und zuletzt mit einem Einlagen-Bestand von über 170 Milliarden Dollar auf Platz 16 der größten US-Banken stand, und leerten so schnell es ging ihre Konten.

Durch die staatliche Übernahme sind Guthaben über 250.000 Dollar derzeit für SVB-Kunden nicht verfügbar. Der TV-Streaming-Dienst Roku beispielsweise kann deshalb nicht über rund 500 Millionen Dollar seines Vermögens verfügen.

Kollaps womöglich kein Einzelfall: Analysten haben große Sorgen

Der frühere US-Finanz-Minister Larry Summers warnt vor „Überreaktionen” und skizziert die Lage bei SVB als Einzelfall, der nicht generalisiert werden könne. Marktteilnehmer sehen das anders. Indiz dafür waren zwischenzeitlich kumulierte Wertverluste der vier größten US-Banken – JP Morgan Chase, Bank of America, Citigroup und Wells Fargo – von über 50 Milliarden Dollar. Auch in Asien und Europa mussten Bank-Titel zum Ende der Woche teils herbe Verluste hinnehmen.

US-Präsident Joe Biden sah sich genötigt, am Montag selbst vor die Presse zu treten, um der aufkeimenden Unruhe an den Finanzmärkten die Spitze zu nehmen. „Die Amerikaner können sich darauf verlassen, dass das Bankensystem sicher ist”, sagte er bei einer vierminütigen Ansprache. Sämtliche Kundeneinlagen bei den beiden geschlossenen Kredit-Instituten – Silicon Valley Bank und Signature Bank – seien gesichert. Damit könnten knapp 40.000 Kunden über ihre Konten verfügen.

Biden betonte, dass die betroffenen Bank-Manager gefeuert und die Banken-Regulierung verstärkt werden. Der Steuerzahler werde nicht zur Schadenbsbegrenzung herangezogen. Die Kosten für die milliardenschwere Rettungsaktion unter staatlicher Aufsicht trage ein Not-Fonds, in den alle Banken einzahlten.

Die quasi über Nacht aufgetretene kalifornische Bank-Krise, die das Weiße Haus beschäftigt und für Biden eine ernste politische Gefahr darstellt, schwappt auch über den Atlantik.

Deutschland: Silicon Valley Bank auch hier aktiv

In England versuchte Finanzminister Jeremy Hunt durch staatliche Liquiditätshilfen die Auswirkungen auf britische Start-up-Unternehmen zu begrenzen, die mit der dortigen SVB-Tochter zusammenarbeiten. In Deutschland, wo SVB seit fünf Jahren von der Aufsichtsbehörde Bafin lizensiert ist und aus Frankfurt heraus operiert, war noch unklar, inwieweit Geschäftspartner wie der Kochboxen-Vertreiber Hellofresh betroffen sind.

Das akut größte Problem laut Wall Street Journal, das SVB-Kunden die in den USA oft wöchentlich angewiesenen Löhne nicht mehr zahlen können, weil sie oberhalb von 250.000 Dollar nicht mehr ungehindert an ihre Einlagen kommen, ist vorläufig abgewendet.

Experte fürchtet Massenentlassungen im Silicon Valley

Dennoch geht der Start-up-Experte Garry Tan von der Firma „Y Combinator” von Massenentlassungen im Silicon Valley aus. Seine Prophezeiung: Der Fall der SVB werde die Tech-Branche um ein Jahrzehnt zurückwerfen.

Einige Unternehmen begegnen dem „Gau” mit Verzweiflung und Galgenhumor: Die Firma Camp, die sich auf Kinder-Geschenke spezialisiert hat und bei SVB Kunde war, bot am Wochenende 40 Prozent Rabatt auf seine Produkte an; um an Barmittel zu kommen. Camps neues Konto liegt bei JP Morgan Chase, dem größten Finanzinstitut Amerikas.

Deutsche Banken derzeit wohl nicht in Gefahr

Finanz-Fachleute sehen deutsche Banken derzeit nicht in Gefahr, vom SVB-Skandal in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Überschuss-Reserven und Vorkehrungen für den Liquiditätsausgleich seien durch die Europäische Zentralbank (EZB) besser geregelt als in den USA, heißt es unter Volkswirten.

Für die USA gibt der bekannte Ökonom Mohamed El-Erian gewisse Entwarnung: „Durch sorgfältiges Bilanzmanagement und die Vermeidung weiterer geldpolitischer Fehler können das Ansteckungsrisiko und die systemische Bedrohung leicht bewältigt werden“, erklärte er via Twitter. Das US-Bankensystem sei „als Ganzes solide, was nicht heißt, dass es auch jede Bank ist.“