Berlin. Aldi schließt seine Läden ab November um 20 Uhr. Es könnte bei der Verkürzung der Öffnungszeiten aber nicht nur ums Stromsparen gehen.

Aldi Nord geht voran: Von November an schließen zahlreiche Märkte des Discounters bereits um 20 Uhr statt um 21 oder 22 Uhr. Das Ziel: teure Energie sparen. Andere Supermarktketten machen an einzelnen Standorten ohnehin früher das Licht aus. Experten vermuten, dass das Vorgehen noch etwas anderes kaschieren soll: Personalmangel. Und es könnte eine neue Debatte um den Ladenschluss entfachen.

Bereits im September hatte Thomas Gutberlet, Chef der hessischen Supermarktkette Tegut, vorgeschlagen, alle in der Branche sollten früher schließen, um Energie zu sparen. Weil der Wettbewerb in der Branche hoch ist, fand das zunächst kaum Resonanz. Aldi, üblicherweise auch bei der Preisgestaltung der Taktgeber, ging dann im Oktober damit der Idee an die Öffentlichkeit.

Die große Freiheit beim Einkaufen ist allerdings schon länger vorbei: In Berlin etwa schließen einzelne Supermärkte bereits seit Wochen um 21 statt 22 Uhr. Vor der Corona-Pandemie im Jahr 2019 ließen sich in der Hauptstadt problemlos bis 23.30 Uhr eingelegte Gurken, Nudeln und Klopapier im Supermarkt einkaufen. Manche Läden hatten sogar rund um die Uhr auf. Die Idee ist also nicht neu, der Hintergrund nicht nur Energiesparen.

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Aldi, Lidl & Co.: Stromkosten sind ein großer Kostenfaktor

Die Stromkosten sind ein großer Block in den Ausgaben von Aldi, Lidl, Rewe, Edeka & Co. Und sie sind kräftig gestiegen. Der HDE berichtete im Juli, dass ein Supermarkt mit 1000 Quadratmeter Größe inzwischen 140.000 statt 80.000 Euro für Strom ausgeben müsse. Und dass diese Mehrausgaben nicht vollständig über teurere Waren an die Kunden weitergegeben werden könnten.

Schließen die Märkte früher, lässt sich also Strom sparen – allerdings nicht so viel, wie vermutet. Denn die Kühlung muss rund um die Uhr laufen, damit die Waren nicht verderben. Und sie verbraucht mit 48 Prozent fast die Hälfte des gesamten Stroms, wie das EHI Retail Institut in Köln ermittelt hat. Das EHI forscht im Auftrag des Handels und berät Unternehmen.

„Wenn die Unternehmen jetzt früher schließen, lösen sie auch ein mögliches Personalproblem in ihrem Geschäft“, sagt Stefanie Nutzenberger, im Bundesvorstand der Gewerkschaft Verdi zuständig für den Handel. „Beschäftigte aus dem Handel haben sich andere Jobs gesucht, die vor allem bessere Arbeitszeiten haben. Die Branche ist für Nachwuchs unattraktiv.“ Sie spricht davon, dass Beschäftigte prekär eingesetzt worden seien.

Aldi, Lidl & Co.: Handel fehlen auch Fachkräfte

Der Handel leidet wie viele andere Branchen auch unter dem Fachkräftemangel. In der Corona-Pandemie haben sich viele Beschäftigte in Deutschland in weniger gut bezahlter Arbeit neue Jobs gesucht. Verständlich aus Sicht der Gewerkschaft: „Beschäftigte im Einzelhandel sind oft gut ausgebildet, haben eine hohe soziale Kompetenz und können schnell reagieren – solche Personen sind auch in anderen Branchen gefragt“, sagt Nutzenberger.

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Im Handel sind besonders viele Menschen in Teilzeit beschäftigt, oft mit Arbeitszeiten am Morgen oder Abend. Tatsächlich ist die Zahl der Vollzeitbeschäftigten seit 2006, als der Ladenschluss Ländersache wurde, von 1,22 Millionen auf 1,19 Millionen im vergangenen Jahr gesunken. Gleichzeitig sind immer mehr Menschen in Teilzeit beschäftigt. Nach gut 658.000 im Jahr 2006 waren es 2021 rund 1,143 Millionen.

Vor allem im Lebensmitteleinzelhandel zeigen sich Lücken: Bereits in der Vergangenheit standen Kunden vor schlecht befüllten Regalen. Frischetheken für Käse und Wurst sind zum Teil oft nicht mehr nach 18 Uhr besetzt. Wie zu hören ist, fehlt Fachpersonal.

UnternehmenAldi
Gründung1961 in Essen
GründerKarl Albrecht und Theo Albrecht
Umsatz121,1 Milliarden USD (2021)
HauptsitzEssen
Mitarbeiterzahl77.661 (Aldi Nord) 181.334 (Aldi Süd)

Aldi, Lidl, Rewe & Co.: Lohnen sich lange Öffnungszeiten?

Und häufig ist der Umsatz nach 21 Uhr auch übersichtlich. Oder wie es ein Mitarbeiter in einer zentral gelegenen Berliner Lidl-Filiale sagte: „Für die drei Bier, die wir um 22 Uhr verkaufen, lohnt es sich nicht, den Laden offen zu halten.“ Hinzu kommt, dass die Menschen wegen der hohen Inflation weniger ausgeben. Der Ausblick des Handels ist deshalb düster.

Stromsparen, fehlendes Personal, Kaufzurückhaltung: All das könnte eine neue Debatte über den Ladenschluss an sich entfachen. „Es hat keinen Sinn, am Sonnabend um 23 Uhr Bier zu verkaufen. Das hat keine gesellschaftliche Relevanz“, sagt Verdi-Vorstandsmitglied Nutzenberger.

Hintergrund: Fachkräftemangel – In diesen Jobs fehlt das meiste Personal

„Es wird keine Probleme mit der Versorgung der Bevölkerung geben, wenn früher geschlossen wird.“ Für sie „rächt sich die umfassende Freigabe der Ladenschlusszeiten in manchen Bundesländern“. Nur Bayern und das Saarland begrenzen die Öffnungszeiten von Montag bis Sonnabend auf 6 bis 20 Uhr.

Gewerkschaft: Keiner isst mehr, weil Läden länger offen sind

Die Branche beruft sich auf den Service, den sie dem Kunden bieten. Ein Manager schränkt aber ein: „Nur weil länger geöffnet ist, isst der Kunde ja nicht mehr.“ Der Umsatz verteilt sich also nur weiter über den Tag. Oder auch nicht, wie die aktuelle Situation zeigt.

Nutzenberger hält engere Regeln für deutlich besser als die bestehende Lösung: „Geregelte Ladenschlusszeiten sind von Vorteil. Das gibt den Kunden klare Zeiten, wann geöffnet ist, und verbessert die Arbeitsbedingungen im Handel. Dann wird die Branche auch wieder attraktiver.“

Deutschlands Einzelhändler setzten nach Angaben des Handelsverbands HDE 2021 rund 588,7 Milliarden Euro um, 36,9 Prozent davon entfielen auf den Lebensmitteleinzelhandel, den die vier großen Ketten dominieren: Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) stehen für drei Viertel des Geschäfts, wie die Ernährungsindustrie ermittelt hat. Apotheken, Brennstoffhändler, Autohäuser und Tankstellen zählen nicht zum klassischen Einzelhandel.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.