Brüssel. Die EU-Kommission will Grenzwerte für Luftschadstoffe halbieren. Drohen wieder Fahrverbote? Das bedeutet der Plan für Deutschland.

Dem Autoverkehr in größeren Städten Deutschlands drohen nach einem Plan der EU-Kommission mittelfristig neue Beschränkungen – bis hin zu Fahrverboten. Die EU-Kommission legte am Mittwoch einen radikalen Plan zur Luftreinhaltung vor, mit dem die Grenzwerte für entscheidende Schadstoffe wie Stickoxid und Feinstaub bis 2030 ungefähr halbiert würden.

In vielen Städten Deutschlands liegen die Messwerte an besonders belasteten Straßen derzeit so deutlich darüber, dass offen ist, ob die neuen Vorgaben bis 2030 einzuhalten sind.

Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans sagte, die Luftverschmutzung in der Europäischen Union führe zum vorzeitigen Tod von jährlich fast 300.000 Menschen und bei vielen weiteren zu Herz- und Lungenerkrankungen oder Krebs. „Je länger wir warten, um diese Verschmutzung zu reduzieren, desto höher die Kosten für die Gesellschaft“, erklärte Timmermans.

Autos fahren am Neckartor in der Stuttgarter Innenstadt an einer Messstation für Feinstaub vorbei.
Autos fahren am Neckartor in der Stuttgarter Innenstadt an einer Messstation für Feinstaub vorbei. © Christoph Schmidt/dpa

Die vorgeschlagenen neuen Regeln würden die Todesfälle durch den Hauptschadstoff Feinstaub innerhalb von zehn Jahren um 75 Prozent verringern. Als radikale Neuerung will die EU-Kommission zugleich einen Anspruch auf Schadenersatz für Bürger einführen, die durch Luftverschmutzung gesundheitliche Schäden erleiden: Sie können allein oder vertreten durch Nichtregierungsorganisationen Schadenersatzklage erheben, wenn gegen die EU-Vorschriften verstoßen wird.

Warum auch Elektroautos von den neuen Grenzwerten betroffen wären

Mit dem Plan will sich die EU neuen Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2021 zu Schadstoffbegrenzungen annähern, diese allerdings nicht vollständig umsetzen. Für Stickoxid soll der Grenzwert für die durchschnittliche Jahresbelastung von 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft auf 20 Mikrogramm gesenkt werden – die WHO hatte 10 Mikrogramm empfohlen.

Die Grenzwerte für Feinpartikel sollen von 25 Mikrogramm auf künftig zehn Mikrogramm reduziert werden. Die WHO hat ihren Standard auf fünf Mikrogramm abgesenkt. Während Stickoxid ein Problem bei Verbrennungsmotoren ist, könnten die Auflagen für Feinstaub auch für Elektro-Autos zum Hindernis werden – die schädlichen Partikel entstehen unter anderem durch Abrieb von Reifen und Bremsen.

In Deutschland und vielen anderen EU-Mitgliedstaaten waren jahrelang die derzeit geltenden Grenzwerte in vielen Städten nicht eingehalten worden: Die EU-Kommission ging dagegen mit Vertragsverletzungsverfahren vor, die Deutsche Umwelthilfe setzte wegen der Verstöße gerichtlich Fahrverbote durch.

Die Lage hat sich aber zuletzt deutlich verbessert. 2021 wurden die Grenzwerte nur noch an jeweils einer Straße in Essen, München und Ludwigsburg überschritten. Die Kommission will nun durchsetzen, dass vorbeugende Luftqualitätspläne überall dort ausgearbeitet werden müssen, wo Grenzwertüberschreitungen im Jahr 2030 drohen.

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So kommt die EU-Kommission der Autoindustrie entgegen

Kritik an den Plänen kommt von der Union im Bundestag und im EU-Parlament. Der umweltpolitische Sprecher der Christdemokraten im EU-Parlament, Peter Liese, sagte: „Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, jetzt einen solchen Vorschlag zu machen, der zu einer erneuten Diskussion über Fahrverbote führen wird.“

Als Umweltpolitiker und Arzt könne er mit gutem Gewissen sagen, dass die Luft in den letzten 25 Jahren in Europa sehr viel besser geworden sei und in den letzten fünf Jahren nochmal sehr viel besser. „Gerade deswegen gibt es ja jetzt keine Diskussion mehr über Fahrverbote. Es ist viel wichtiger, endlich Fortschritte bei der Reduktion von Schiffsemissionen zu machen“, meinte Liese.

Arzt und Politiker: Peter Liese aus Meschede sitzt seit mehr als 20 Jahren im Europarlament. In der Corona-Pandemie galt er als  „Karl Lauterbach“ Brüssels.
Arzt und Politiker: Peter Liese aus Meschede sitzt seit mehr als 20 Jahren im Europarlament. In der Corona-Pandemie galt er als „Karl Lauterbach“ Brüssels. © picture alliance/dpa | Thierry Monasse

Unionsfraktionsvize Stefan Bilger forderte, die Bundesregierung müsse sich Verschärfungen widersetzen.

Der Autoindustrie kommt die Kommission aber an anderer Stelle entgegen: Die geplante Euro-7-Norm für Neufahrzeuge wird, anders als von den Herstellern befürchtet, wohl keine oder nur leichte Verschärfungen der Emissionsgrenzwerte für Pkw vorsehen; den Entwurf will die Kommission in zwei Wochen vorlegen.

Mit der Anhebung der Luftreinhalte-Vorschriften kurz nach neuen WHO-Standards gehe die Union mit „gutem Beispiel voran“, erklärte die Kommission. Bei einer ersten Überprüfung Ende 2028 soll geklärt werden, wann sich eine vollständige Angleichung an die WHO-Empfehlungen erreichen lässt. Die neuen Grenzwerte sind Teil eines größeren Pakets, das in der EU die Schadstoffbelastung in Luft und Wasser bis 2050 möglichst auf Null reduzieren soll.

Zu dem Paket gehören auch neue Vorschriften für die Abwasserbehandlung, die Aufnahme von 20 weiteren Substanzen in die Reinhaltungs-Auflagen und die Einführung einer Hersteller-Verantwortung für schädliche Substanzen, die aus ihren Produkten ins Wasser gelangen – das zielt vor allem auf Mikroplastik in Kosmetik und Pharmazieprodukten. Abwasser soll auch systematisch auf mehrere Viren, darunter Covid-19, kontrolliert werden.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.