Hamburg. 85 Prozent der 40 größten Lebensversicherungsanbieter kürzen nicht mehr wie bisher die Überschussbeteiligung: Was Kunden wissen müssen.

Das ist eine Überraschung: Obwohl die Zinsen am Kapitalmarkt 2018 weiter gefallen sind, halten 85 Prozent der 40 größten Lebensversicherer die Überschussbeteiligung der klassischen Lebens- und Rentenversicherung in diesem Jahr stabil. Drei Anbieter erhöhen die Verzinsung der Kundenguthaben sogar wieder.

Nach einer Analyse des „Hamburger Abendblattes“ beträgt der Durchschnittswert der 40 größten Anbieter, die einen Marktanteil von mehr als 80 Prozent haben, in diesem Jahr 2,37 Prozent und sinkt erstmals seit 2008 nicht.

Die Überschussbeteiligung, die 2018 stabil bei 2,37 Prozent lag, ist die laufende Verzinsung für das bisher angesparte Kundenkapital. Sie wird jedes Jahr neu festgelegt. Antworten auf die wichtigsten Fragen zur beliebtesten Altersvorsorge der Deutschen.

Was ist der Grund für die Entwicklung?

Bei der seit Jahren anhaltenden Talfahrt der Überschussbeteiligung ist jetzt offenbar der Tiefpunkt erreicht. „Es gibt kaum noch Spielraum für weitere Senkungen, denn die Werte sind schon sehr niedrig“, sagt Axel Kleinlein, Vorstandsvorsitzender des Bundes der Versicherten dem „Hamburger Abendblatt“.

Die Entwicklung zeichnete sich schon 2018 ab, als 17 der 40 größten Lebensversicherer die Überschussbeteiligung nicht weiter senkten. Große Anbieter wie Allianz (2,80 Prozent), Nürnberger (2,50) oder R+V (2,60) halten ihre Verzinsung schon das zweite Jahr in Folge stabil.

Die Entlastung kommt aber weniger von der Zinsfront, sondern vom Gesetzgeber. Er hat die Vorschriften zur Bildung der Zinszusatzreserve entschärft. Sie soll dafür sorgen, dass auch bei historisch niedrigen Zinsen die Garantiezinsen von bis zu vier Prozent aus Altverträgen dauerhaft erfüllt werden können.

„Statt 20 Milliarden Euro pro Jahr müssen die Versicherer nun nur noch je fünf Milliarden Euro in den Jahren 2018 und 2019 Jahr in die Zinszusatzreserve geben“, sagt Kerstin Becker-Eiselen von der Verbraucherzentrale Hamburg.

Welche Bedeutung hat die Zinszusatzreserve?

Seit 2011 haben die Versicherer Zinszusatzreserven von 65 Milliarden Euro gebildet. Bleiben die Zinsen am Kapitalmarkt auf dem niedrigen Niveau, wäre dieser Kapitalpuffer nach der bisherigen Berechnungsmethode bis 2024 auf rund 130 Milliarden Euro angestiegen – und die Policenanbieter hätten extrem viel Geld in Rücklagen stecken müssen.

„Für viele Versicherer wäre das mittelfristig existenzbedrohend geworden“, sagt Henning Kühl, Chefaktuar bei Policen direkt. Deshalb wurde die Formel zur Berechnung der Zinszusatzreserve vom Bundesfinanzministerium geändert. Auf Grund der neuen Berechnungsweise wächst der Kapitalpuffer auf etwa 77 Milliarden bis 2024.

Nach Darstellung des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft (GDV) bleiben so etwa 50 Milliarden Euro mehr, die für das Erwirtschaften von Renditen für die Besitzer von Lebensversicherungen eingesetzt werden können.

„Dass die Versicherer so wieder mehr Spielraum haben, heißt aber nicht, dass die Kunden automatisch davon profitieren. Denn viele bekommen nur ihren Garantiezins und keine zusätzlichen Überschüsse“, sagt Kleinlein. Daran werde sich auch so schnell nichts ändern.

Gefährdet die geringere Zinszusatzreserve den Garantiezins?

Das ist wohl nicht zu erwarten. „Um die Sicherheit der Lebensversicherung muss sich niemand Sorgen machen“, sagt ein Sprecher des Branchenverbandes GDV. Berechnungen haben ergeben, dass die Lebensversicherer bei einer Zinszusatzreserve von 80 Milliarden Euro zur Finanzierung aller Garantien in etwa eine durchschnittliche Kapitalverzinsung von 1,25 Prozent erzielen müssen. Tatsächlich lag dieser Wert 2017 bei 3,5 Prozent.

Werden die Überschussbeteiligungen künftig wieder steigen?

Nach wie vor müssen Versicherer über 80 Prozent der Kundengelder in festverzinslichen Wertpapieren anlegen. Im vergangenen Jahr lag aber die Durchschnittsrendite einer zehnjährigen Bundesanleihe bei 0,45 Prozent. „Auch in diesem Jahr rechnen wir kaum mit höheren Werten“, sagt Jochen Intelmann, Chefvolkswirt der Hamburger Sparkasse (Haspa).

Nur durch ältere, deutlich höher verzinste Anlagen und durch Investitionen in Immobilien, Infrastrukturprojekte und alternative Energien können die Versicherer überhaupt noch eine Rendite von mehr als drei Prozent mit ihren Kapitalanlagen erwirtschaften.

Unter diesen Bedingungen ist nicht zu erwarten, dass die Überschussbeteiligungen schnell wieder steigen werden, wenn sich das Zinsumfeld nicht verbessert“, sagt Heermann. Eher könnten die Kunden künftig mit stabilen Überschussbeteiligungen rechnen.

Warum hat die Debeka ihre Überschussbeteiligung gesenkt?

Nur Debeka, Ergo Direkt und Deutsche Ärzteversicherung haben in diesem Jahr ihre Überschussbeteiligung gesenkt. Die Debeka ist die größte Gesellschaft von den drei Anbietern und begründet das mit den niedrigen Zinsen.

„Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, das Kapitalanlageergebnis durch die Veräußerung hoch verzinslicher Wertpapiere künstlich zu erhöhen“, sagt ein Sprecher des Unternehmens. Denn das sei betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll. Außerdem betreffe die Senkung nur zehn Prozent aller Policen im Bestand der Debeka.

Soll ich meine Lebensversicherung jetzt kündigen?

„Das ist meist nicht ratsam und erfordert eine gründliche Beratung“, sagt Becker-Eiselen. Eine vorzeitige Kündigung ist außerdem meist mit Einbußen verbunden – lieber sollte man eine Lebensversicherung verkaufen. „Besonders ist davon abzuraten, wenn der Vertrag noch mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung kombiniert ist.“

Aber die Verbraucherzentrale rät davon ab, neue Policen für die Altersvorsorge abzuschließen. Viele Gesellschaften bieten auch gar keine klassischen Tarife mehr an.

Dieser Artikel ist zuerst auf abendblatt.de erschienen.