Berlin. Mehr Schwung bei der Energiewende wünscht sich der Energiekonzern Vattenfall. Deutschland müsse mehr Windanlagen im Meer zulassen.

Umweltschützer bekommen neue Mitstreiter aus der Industrie. Der Vattenfall-Chef in Deutschland schlägt sich auf die Seite der „Grünen“ und Ökobewussten: „Wenn die Bundesregierung es ernst meint mit der Energiewende, brauchen wir einen geregelten Kohleausstieg“, sagt der Vorsitzende der Geschäftsführung von Vattenfall, Tuomo Hatakka, unserer Redaktion. De facto verabschiede sich die Bundesrepublik ohnehin schon von dem fossilen Brennstoff: „Niemand baut mehr neue Kohlekraftwerke.“

Die Bundesregierung müsse den Ausstieg verantwortungsbewusst umsetzen und sozialverträglich gestalten, gibt der Manager der künftigen Regierung schon jetzt mit auf den Weg. Noch haben sich Union und SPD bei ihren Sondierungen nicht auf einen Zeitplan für den Kohleausstieg geeinigt – dieser soll bis Ende des Jahres festgelegt werden. Als Vorbild sieht Hatakka den deutschen Steinkohlebergbau, der über die Jahre langsam abgewickelt wurde.

Stromerzeugung aus Kohle ist besonders klimaschädlich

Bei der Stromerzeugung aus Kohle entsteht besonders viel klimaschädliches Kohlendioxid (CO₂). So stießen die Kraftwerke laut Umweltbundesamt 2014 für eine verbrauchte Kilowattstunde Strom aus CO₂ Braunkohle etwa 1150 Gramm aus. Bei Steinkohle waren es knapp 900 Gramm.

Zum Vergleich: Für eine Kilowattstunde Strom aus Erdgas wurden etwa 370 Gramm CO₂ freigesetzt. Insgesamt wird etwa die Hälfte aller CO₂-Emissionen in Deutschland von der Energiewirtschaft verursacht, größtenteils durch Kohle.

Vattenfall selbst will innerhalb einer Generation als erster Strom- und Wärmekonzern fossilfrei werden und beispielsweise in der Hauptstadt bis 2030 keine Steinkohle mehr verwenden. Bereits Ende 2016 hat der schwedische Staatskonzern sein Braunkohlegeschäft in der Lausitz und Sachsen an den tschechischen EPH-Konzern verkauft und im Mai 2017 seinen letzten Braunkohleblock in Berlin abgeschaltet und sich damit von der besonders Kohlendioxid-intensiven Braunkohle verabschiedet.

Regierung soll mehr Offshore-Windanlagen zulassen

Noch bestehende Kraftwerke in Hamburg und Berlin, die auch Fernwärme herstellen, sollen auf Gas umgestellt werden. Große Kohlekraftwerke betreiben in Deutschland unter anderem noch RWE, Uniper (früher ein Teil von Eon) und Steag. Vattenfall setzt in Deutschland auf Erneuerbare Energien, Fernwärme sowie Strom- und Gasvertrieb. Und neue digitale Geschäfte.

Vor allem beim Ausbau der Windenergie wünscht sich Hatakka in Deutschland mehr Tempo. „Das Ausbauziel bis 2030 für Offshore-Anlagen sollte von derzeit 15 auf mindestens 20 Gigawatt Leistung erhöht werden.“ Vattenfall betreibt bereits die Anlagen Dan Tysk und Sandbank in der Nordsee und will weitere bauen. Strom aus Erneuerbaren Energien sei im Vergleich zu Strom aus herkömmlichen Kraftwerken inzwischen nahezu wettbewerbsfähig, sagt Hatakka.

Entlastungen für neue Technologien gefordert

Um den Kohleausstieg hinzubekommen, will Vattenfall auch Fernwärme ohne fossile Brennstoffe erzeugen. Dafür plant das Unternehmen, Biomasse zu nutzen sowie industrielle Abwärme; und es will sogenannte Power-to-Heat-Anlagen bauen, die Strom in Wärme umwandeln. Aus der Wärme ließe sich wiederum Energie gewinnen – das Fernwärmenetz in Berlin oder Hamburg wäre dann ein Stromspeicher.

Für solche Anlagen, eine entsteht gerade in Berlin, wünscht sich Hatakka vom Gesetzgeber eine Entlastung, das heißt weniger Steuern und Abgaben – entsprechend schneller wäre der Kohleausstieg möglich, weil natürlich auch andere Firmen die Chancen nutzen können. Insgesamt will Vattenfall in den kommenden fünf Jahren zwei Milliarden Euro ins Wärmegeschäft investieren.

Förderung für Ölheizungen soll entfallen

Der Vattenfall-Deutschland-Chef fordert auch, Ölheizungen in Privatwohnungen nicht länger zu fördern. „Das ist eine völlige Fehlsteuerung, wenn es um die Energiewende und weniger CO2-Ausstoß geht.“ Anlagen mit dem fossilen Brennstoff hätten noch einen Anteil von 28 Prozent am deutschen Wärmemarkt. Sie durch umweltfreundlichere zu ersetzen biete große Chancen für die Wirtschaft.

Nicht unwichtig bei der Energiewende ist aus Sicht des Vattenfall-Managers der technische Fortschritt. „Wir haben total unterschätzt, wie schnell die Technologieentwicklung bei Erneuerbaren Energien war und wie beeindruckend die Kosten dort gesunken sind.“ Entsprechendes Tempo erwartet er auch in anderen Bereichen der Energiewirtschaft, etwa dank Digitalisierung, die etwa das Fernwärmenetz effizienter machen werde.

Wirtschaftlichkeit noch nicht zufriedenstellend

Grundsätzlich sei 2017 gut gelaufen, sagt Hatakka. „Wir wachsen in den drei Kernbereichen Erneuerbare Energien, Gas- und Stromvertrieb sowie bei Wärme. Und wir sind profitabel in allen Geschäftsbereichen.“ Die Tendenz sei positiv, aber es gebe bei der Wirtschaftlichkeit noch Handlungsbedarf. Seit dem Verkauf des Kohlegeschäfts sei die Verwaltung konzernweit überdimensioniert, sagt Hatakka. Hier werden Stellen wegfallen. Wie viele, ist noch unklar.

Es soll aber ohne betriebsbedingte Kündigungen laufen. Schon letztes Jahr kündigte Vattenfall an, konzernweit 500 Arbeitsplätze bei Personal, Einkauf und Finanzen aus, 200 davon in Deutschland streichen zu wollen. Insgesamt beschäftigt der Konzern etwa 20.000 Mitarbeiter, knapp 7000 davon in Deutschland.

Kohlekraftwerk Moorburg wird nicht verkauft

Ein Steinkohlekraftwerk wird Vattenfall bis auf weiteres wohl behalten: Moorburg in Hamburg. Das modernste und effizienteste Kraftwerk dieser Art Europas sei wichtig für die Versorgungssicherheit im Norden Deutschlands, sagt Hatakka. Sie werde noch wichtiger, wenn das letzte Kernkraftwerk in der Region abgeschaltet sei.

In Moorburg merkt Vattenfall allerdings schon, wie sehr Erneuerbare Energien den deutschen Strommix bestimmen: Die Anlage wird immer wieder gedrosselt. „Wenn der Wind bläst und die Sonne scheint, ist die Auslastung in Moorburg deutlich niedriger.“ Und das sei 2017 häufiger vorgekommen. Ein Verkauf des Kraftwerks sei nicht geplant.

Stellenabbau bei Wasserkraft in Thüringen

Wenig Freude bereitet dem Konzern derzeit eine andere Anlage: Das Pumpspeicherwerk Goldisthal in Thüringen. „Solche Energiespeicher werden von der Politik nicht genug geschätzt“, sagt Hatakka und könnte sich eine Förderung vorstellen. „Die Flexibilitätsleistung, die Pumpspeicherwerke für das Energiesystem erbringen, muss endlich einen Preis bekommen“, fordert er.

Bei einem Pumpspeicher wird Strom genutzt, um Wasser in einen Stausee zu pumpen. Mit dem Wasser lässt sich dann bei Bedarf ein Generator betreiben, der Strom erzeugt. Der Stausee wirkt wie eine riesige Batterie.

„Wir haben ein Problem mit der Wirtschaftlichkeit.“ Das bedeutet: „Die Zahl der Mitarbeiter wird um 40 Prozent, wie immer sozialverträglich, sinken“, sagt der Vattenfall-Deutschland-Chef. In der Sparte arbeiten 400 Beschäftigte. Ein Verkauf ist nicht vorgesehen. Vattenfall hat Anlagen mit einer Leistung von etwa 3000 Megawatt, insgesamt gibt es in Deutschland Pumpspeicher mit einer Leistung zwischen 6000 und 7000 Megawatt.