Ahrweiler. Schwere Unwetter haben im Westen Deutschlands für Hochwasser und immense Zerstörung gesorgt. Die Menschen vor Ort sind verzweifelt.
Mechanisch arbeiten sie sich durch die Trümmer. Alte und Junge, Frauen und Männer, selbst Jugendliche packen an. Es wird kaum geredet. Der Schock sitzt tief. Mindestens 90 Frauen und Männer starben durch das Hochwasser im Kreis Ahrweiler in Rheinland Pfalz. "Wir können es nicht fassen", sagt ein Mann, der mit einer Schippe versucht, den Schlamm, der zwanzig Zentimeter dick auf dem Boden klebt, aus dem Wohnzimmer zu schaufeln. „Alles ist möglich. Wir wissen nicht, was wir in den Kellern finden“, sagt ein Feuerwehr-Abschnittsleiter am Samstag in Bad Neuenahr-Ahrweiler. „Leider müssen noch deutlich mehr Tote befürchtet werden.“
Noch steht ihnen allen die Angst ins Gesicht geschrieben. Und die Blicke auf ihre Häuser, die einst mit gepflegten Blumenkästen für Idylle sorgten, sind verhangen. Werden wir je wieder hier wohnen können? Diese Frage liegt ihnen wie ein Stein auf der Seele.
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Hochwasser im Westen: Die Katastrophe ist noch nicht vorbei
Und noch ist es nicht vorbei. An vielen Stellen spielen sich immer noch dramatische Szenen ab. Nicht nur in den Orten wie Ahrweiler oder Schuld. Auch im benachbarten Marienthal brechen Häuser ein und verschwinden wie Spielzeuge. Um nicht mit weggespült zu werden, bringen sich die Leute nach dem Unwetter auf den Dächern in Sicherheit.
Ein Ehepaar mit seinen Eltern sitzt hilflos auf dem Doppelhaus: Die jüngeren Leute auf der einen Seite, die älteren auf der anderen. Dann versucht der Sohn, die Eltern auf ihre Seite zu ziehen. Es ist unglaublich: Gerade, als sie es geschafft haben, bricht das Haus zusammen. Szenen, von denen man glaubt, dass sie nur in Filmen vorkommen. Eine Nachbarin sagt: "Die sind bestimmt einfach nur glücklich, dass sie mit dem Leben davon gekommen sind." Was danach kommt? Darüber will man jetzt noch nicht nachdenken.
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Menschen retten sich vor dem Hochwasser auf die Dächer
Nur wenige Meter weiter spielt sich eine ähnlich dramatische Szene ab: Eine junge Familie mit ihren zwei kleinen Kindern hat sich vor den Fluten auf das Spitzdach ihres Hauses gerettet. Es ist ein Hangeln – wer dabei zusieht, hat sofort Angst, dass die Leute nicht heile ankommen. Doch sie schaffen es. Gerade als sie oben sind, es ist geradezu unvorstellbar, bricht die Vorderwand des Hauses ein. Die Anwohner auf der Straße schlagen die Hände vors Gesicht. Dann hört man das tröstende Geräusch: Ein Hubschrauber kommt und bringt die Familienmitglieder in Sicherheit. "So etwas mit kleinen Kindern auszuhalten, das ist doch eigentlich unmöglich", sagt jemand.
Trotz des Chaos in den Straßen laufen die Rettungsaktionen rund: "Wir haben bis zu 20 Hubschrauber im Einsatz", so Lars Brummer von der Polizei Koblenz. "Teilweise mit Seilwinden. Viele Geräte können wir auch nachts einsetzen." Von den Häuserdächern hätte man gottseidank alle Menschen retten können. "Wir sind Tag und Nacht im Einsatz."
In Minuten wurden in Orten wie Marienthal, Schuld oder Ahrweiler Lebensträume und Existenzen vernichtet: Es sind nicht einmal alte Häuser, die nach den Unwettern einfach so in sich zusammensacken, sondern wunderschöne neue, die aussahen, als könnte sie nichts von ihrem Platz vertreiben. Aber sie standen eben mitten in der Strömung.
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Hochwasser: Kleine Bäche wurden zu reißenden Strömen
Besucher, aber auch die Anwohner selbst können es immer noch nicht glauben: Der Fluss Ahr, in dem sich noch vor wenigen Tagen jemand einen Jux gemacht hatte und sich mit einem Liegestuhl reingesetzt hatte, weil ja nicht viel Wasser drin war, schwoll innerhalb von wenigen Stunden von 40 Zentimeter auf sieben bis acht Meter an. Das schmale Flüsschen füllte bei Hochwasser plötzlich das ganze Tal aus. Mit einer Strömung, die alles mitriss, was sich in den Weg stellte: Autos, Brücken, Möbel.
Ein beißender Geruch geht jetzt von dem Fluss aus, der sonst so friedlich durch die prachtvollen kleinen Urlaubsorte fließt. "Es stinkt so sehr, dass man irre Kopfschmerzen kriegt", sagt ein junger Mann. "Das liegt am Öl, das in die Ahr geflossen ist, aus den Tanks", erklärt ein Senior, der nasse Sessel und Stühle von der Straße fischt.
Autos wurden davongespült wie Spielzeug
Tagsüber versuchen sie, alle zusammen das Chaos zu beherrschen. Und sind froh, dass sie ihr Leben haben. Abends gehen sie hoch auf die Weinberge. Wer Glück hat, hat einen Platz in einer Pension gefunden. Manche schlafen dort in ihren Autos. Doch die meisten haben ja ihre Autos verloren in der Flut. Überhaupt Autos: Die seien, so erzählen sie im Ort, aus Orten von oberhalb nahezu massenweise an ihnen vorbeigeschwommen. "Alle mit Rücklichtern an", sagt ein Frau. "Durch einen Kurzschluss waren einfach die Lichter an. Es war gespenstisch."
Selbst Gastanks seien durchs Wasser geschwommen. Weil die gezischt haben, rief ein Mann den Nachbarn zu: "Macht die Kerzen aus! Macht unbedingt die Kerzen aus!". Weil der Strom ausgefallen ist, sind Kerzen die einzige Möglichkeit, ein wenig Licht zu haben. "Da hätte einen doch der Schlag treffen können."
Hochwasser: Die Bilder der Katastrophe
Jetzt heißt es im Ort, dass dringend Stromgeneratoren gebraucht werden. "Wir sind komplett abgeschnitten von allem", sagt eine Frau und ist den Tränen nah. Telefon, Handy – nichts geht. Sie weiß nicht, ob ihre Eltern noch leben. "Meine Mutter hab ich noch über die Weinberge in das Haus ihrer Schwester laufen sehen, aber danach hab ich nichts mehr von ihr gehört."
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Unwetter und Hochwasser: Zahl der Vermissten unbekannt
Lars Brummer von der Polizei sagt, dass man immer noch nicht weiß, wieviel Vermisste es gibt. "Wir haben einfach noch keinen Überblick. Das Telefonnetz ist immer noch komplett ausgefallen." Man wisse also nicht, ob die Leute in ihren Häusern sind. Natürlich sei die Ungewissheit schlimm. Doch in dem Punkt könne er den Menschen nicht weiterhelfen. "Aber wenn einer anruft und sagt, Onkel und Tante sitzen auf dem Dach, da werden wir sofort aktiv."
Holzlatten, Möbel, Autos – es ist eine seltsame Ansammlung von allem, was die Anwohner nun versuchen, zum Teil mit Baggern, zum Teil mit bloßen Händen irgendwohin zu schaffen. Hauptsache, aus dem Weg. Sie wollen nach vorne schauen, aber es ist schwer. Selbst die Verpflegung ist ein Problem. Manche Geschäfte wurden überflutet. Existenzen vernichtet. Fleischereien, Bäckereien, Frisöre, auch Supermärkte. "Und die Läden, die geöffnet haben, die haben nichts mehr. Alle Lebensmittel ausverkauft", sagt eine Frau, die mit den Tränen kämpft.
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