Berlin. Früher Ideologe, heute Pragmatiker: So beschreibt Knut Fleckenstein vom Arbeiter-Samariter-Bund den Kanzler. Was ist da wirklich dran?

Zwischendurch musste man sich in der vergangenen Woche fragen, ob es mit der Ampel-Koalition von SPD, Grünen und FDP in Berlin überhaupt weitergeht. Angeblich gab es 45 Streitpunkte zwischen den Parteien zu klären, Wirtschaftsminister Robert Habeck machte seinem Unmut über einen vorzeitig bekanntgewordenen Gesetzesentwurf in den „Tagesthemen“ Luft, die Koalitionäre tagten eine ganze Nacht durch.

„Das ungute Gefühl, das bei vielen Bürgerinnen und Bürgern entstanden ist, nachdem die Pläne für ein vorgezogenes Verbot von Öl- und Gasheizungen veröffentlicht wurden, hätte man durch eine gute Vorbereitung vermeiden können“, sagt im „Scholz-Update“ Knut Fleckenstein, langjähriger SPD-Politiker im EU-Parlament, wo er unter anderem zuständig für Russland und die Ukraine war. „Es geht dabei nicht nur um Robert Habeck, sondern auch darum, dass die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung besser werden muss.“

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Er persönlich habe Verständnis dafür, wenn mit einem Politiker „mal die Gäule“ durchgehen, Menschen wie Olaf Scholz, denen das nie passiere, seien in dem Geschäft selten. Dessen wichtigster Grundsatz für seine Mitarbeiter und sich lautet: Wir sind niemals beleidigt, wir sind niemals hysterisch. „Scholz zeigt sehr wenig Gefühle in der Politik. Aber wenn er etwas zusagt, dann kann man sich darauf verlassen, dass er sich auch daranhält. Und wenn er etwas nicht will, kann man sich auch darauf verlassen, dass das nichts wird.“

Scholz und Schmidt: Fleiß und Disziplin eint beide

Das habe er mit Helmut Schmidt gemeinsam, dem anderen Hamburger Bundeskanzler, der Fleckenstein in seiner Zeit als Abgeordneter „einmal im Jahr empfangen hat, um mit mir über Politik zu sprechen“. Lassen sich die beiden miteinander vergleichen? „Scholz ist wie Schmidt ein disziplinierter, sehr hart arbeitender Politiker“, sagt Fleckenstein. „Was den öffentlichen Auftritt angeht und den Versuch, möglichst viele Menschen auf die Reise mitzunehmen, sind die beiden unterschiedlich“, sagt Fleckenstein.

Wobei er nachvollziehbar und verständlich finde, was Scholz sage, weil er sich mit den meisten Themen auskenne: „Ich kann mir aber vorstellen, dass es für Leute, die nicht in der Politik gearbeitet haben, schwerer ist, ihn zu verstehen. Ich glaube, es wäre gut, wenn die Parteivorsitzenden und der Fraktionsvorsitzende ein Teil der Öffentlichkeitsarbeit übernehmen würden und Olaf Scholz seine Arbeit machen ließen.“ Einen markanten Unterschied zu Helmut Schmidt gibt es auch noch: „Er ist höflicher, sehr viel höflicher, als es Helmut Schmidt war und erheblich weniger arrogant. Auch wenn man es manchmal anders bei Scholz vermutet: Eins ist er bestimmt nicht, nämlich arrogant.“

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Fleckenstein: Ukraine in der EU ist absurd

Fleckenstein kennt Olaf Scholz seit rund 44 Jahren: „Ich habe ihn das erste Mal wahrgenommen, als es bei der SPD im Kreis Wandsbek Wahlen gab, und der damalige Vorsitzende mit Olaf auf keinen Fall im Vorstand leben konnte und wollte, weil der damals noch ein bisschen linker war als heute. Daraufhin haben die Linken im Kreis alle auf eine Kandidatur verzichtet. So wurde ich Beisitzer im Vorstand der SPD Wandsbek.“ Scholz sei in seiner Anfangszeit als Politiker ideologisch unterwegs gewesen, nicht so pragmatisch wie jetzt als Bundeskanzler: „Wenn er sprach, hörte er sich scharf und kämpferisch an, das Abgewogene kam später.“

Knut Fleckenstein unterstützt mit dem Arbeiter-Samariter-Bund Menschen, die in der Ukraine unter dem Krieg leiden, und wird im Mai selbst dort hinfahren. Von den Plänen der Europäischen Union, die Ukraine zu einem Beitragskandidaten zu machen, hält er nichts: „Wir sollten die Ukraine unterstützen, wo wir nur können. Aber daraus ein Versprechen zu machen, der zu dem Gedanken führt, dass das Land innerhalb der nächsten zwei, drei Jahre in die EU kommt, ist gnadenlos absurd.“

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